Über 35 Jahre bereicherte die in Sao Paulo geborene Brasilianerin Sônia Mota Kölns Tanzszene mit ihrer Erscheinung. Jetzt soll Schluss sein. Der Titel „Kein Ende“ sendet jedoch eine andere Botschaft. „Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht“, entgegnet sie dem Publikum in den Ehrenfeldstudios. Wer die heute 76-Jährige auf der Bühne sieht, kann verstehen, warum sie keine Entscheidung für ihre Zukunft fällen mag.
Schon mit dreißig Jahren sehen sich Tänzer – und noch drängender Tänzerinnen – mit der Altersfrage konfrontiert. Die Schwingen der weißen Schwäne zitiert Sônia Mota in ihrer von Carla Jordão choreographierten Produktion mit trockener Ironie. Die Brasilianerin begegnet dem Schönheitsdiktat mit zornigem Trotz, wenn sie sich das weiße Haar struppig in alle Himmelsrichtungen bürstet. Eine Spur quälender Resignation ist in diesem Solo durchaus enthalten. Die Ideale von Perfektion und Gleichmaß will sie abschütteln und bekennt rundheraus, dass schnelle Passagen, wie sie die Barockmusik vorgibt, nicht mehr ihr Ding seien. Tanz, der vom Leistungsdruck befreit ist, das sei die Zukunft.
Denn das Glück des Tanzens kennt Sônia Mota nur zu gut. Dafür gibt es keine Worte. Sie lässt eine Ahnung davon in den schnellen Passagen aufblitzen, in denen sie behände Drehungen und Schrittfolgen zeigt. Dann ist dieser besondere Zauber eines eben nicht mehr jungen Körpers da. In solchen Momenten beschenkt die 76-Jährige ihr Publikum mit einer Demonstration tänzerischer Ausstrahlungskraft, die eine Spur Erotik mit Eleganz und Lebenslust verbindet. In den Ehrenfeldstudios wird Sônia Motas Solo mit einem zweiten von Caroline Simon dargeboten. Der jüngeren Caroline Simon gelingt das seltene Kunststück, uns eine Vorstellung von der humorvollen Seite des Tanzes zu geben. Im Gegensatz zu ihren körperlich fordernden Passagen bleibt Sonia Motas Tanzporträt eher nachdenklich. Wie soll es für sie weitergehen? Soll sie im Garten die Blumen und Pflanzen versorgen, wie sie selbst sagt? Nein, hier ist das faszinierende Potenzial einer weiblichen Persönlichkeit zu sehen, die vom Leben und von Gefühlen erzählen kann, die anders sind als alles, was wir kennen. Nur braucht es dazu Choreographien, die diese Sprache auch zum Klingen bringen.
Sônia Mota: Kein Ende | 22., 23.11. 20 Uhr | Ehrenfeldstudios, Köln | 0221 84 63 95 80
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Mut zur Neugier
„Temptation“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 04/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Tanz auf Augenhöhe
„Chora“ in der Tanzfaktur – Tanz in NRW 12/23
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23