„Nichttanzen – gibt es das überhaupt?“, hat Vera Skoronel, eine derbedeutendsten Choreographinnen der 1920er Jahre, einmal provokant gefragt. Wirft man heute einen Blick auf Social Media-Plattformen wie TikTok oder Youtube, kann man sich kaum vorstellen, dass es sie ohne Tanz geben würde. Keine Generation zuvor hat ihr Bedürfnis nach tänzerischem Ausdruckso leidenschaftlich realisiert wie die gegenwärtige Altersgruppe zwischen 15 und 25 Jahren. Wenn davon in den Tempeln der staatlichen Tanzkultur auch wenig zu sehen ist. Tanz ist immer schon extrovertierte Selbstdarstellung gewesen, die nach einer Bühne verlangte, auf der sich der Narziss im Licht der Aufmerksamkeit sonnen kann. Glamour als Verheißung des Erfolgs soll die Menschen auch heute mit Schönheit verführen.
Für das Deutsche Tanzarchiv sind das keine Überraschungen, dort besitzt man ein gutes Gedächtnis. Alles schon einmal dagewesen – und die mediale Verwandtschaft ist denn auch verblüffend. Das Museum des Archivs zeigt unter dem Titel „It‘s Me“, wie man die Selbstdarstellung im Tanz kommerzialisierte. So wurden etwa von Anna Pawlowa, dem Star der Jahrhundertwende, Fotokarten in Umlauf gebracht, die sie idealisiert darstellten. Bild und Abbild, das hatte damals schon wenig miteinander zu tun. Der Tanz als Medium der Illusion eignete sich perfekt als Zulieferer der Unterhaltungsindustrie. Identitäten ließen sich lukrativ frisieren, sodass Tänzerinnen wie die Pawlowa oder Josephine Baker bereits in ihren Zwanzigern Autobiografien schrieben. Die Ausstellung geht aber noch einen Schritt weiter in die Zukunft und fertigte KI-Porträts von einigen historischen Stars an, wie Lilian Harvey, Anita Berber, Josephine Baker oder Valeska Gert. Die dann in der Farbversion noch realistischer als die schwarzweißen Originale aussehen.
Die Ausstellung kokettiert selbst mit dem schönen Schein, indem sie sich ganz der Lust am Bild hingibt. Vergangenheit und Gegenwart bleiben im Dialog mit zahllosen Bildschirmen im Smartphone-Format, auf denen Tanzvideos zu sehen sind. Es lohnt sich, die kurzen Takes mehrmals anzusehen, da sie voller versteckter Referenzen an die Klassiker der Moderne sind.
It‘s Me | bis 1.3. | Tanzmuseum, Deutsches Tanzarchiv Köln | 0221 888 95 400
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