Angst: Das mächtigste aller Gefühle verdient einen ansprechenden Wohnsitz. Unüberwindbar muss er sein, denn Feinde gibt es viele. Franz Kafkas Erzählfragment „Der Bau“ (zwischen 1923 und 1924 entstanden) befasst sich mit dem Wahn der perfekten Vorsorge angesichts einer konstanten Bedrohung durch äußere wie innere Mächte. Die Alte Wursterei nimmt sich des Stoffes in dieser Spielzeit bereits als zweite Kölner Stätte nach dem Theater der Keller an.
Regisseur und Programmierer André Lehnert vom Disdance Project hetzt seine Protagonistin (Paula Scherf) als potentielles Opfer im täglichen Weltkrisenmarathon durch die Gänge eines weitverzweigten unterirdischen Baus. Aktuelle Nachrichten, pseudo-wissenschaftliche TV-Formate mit dubiosen Lifecoaches und auf Tag X wartende Prepper in Tarnanzügen füttern via Monitor die Visionen eines nahenden letzten Gefechts der Zivilisationen und einer gezielten Vorbereitung darauf. Scherf lebt 60 Minuten lang in dieser Choreografie erschütternder und dystopischer Halluzinationen. Die Schauspielerin wuchtet mit expressivem, verzweifeltem Tanz den eingesprochenen Text aus der Feder Kafkas in neue Dimensionen. Interaktive Module fordern das Publikum zum Dialog mit der getriebenen Kreatur über Sicherheit auf und versenden als geisterhafter Chor vor den Pforten des Bunkers mit ihren Smartphones anonyme Sehnsüchte und Ängste. Im steten Taumel der möglichen Katastrophe errichtet die Bau-Herrin neue Wälle zur Erweiterung ihrer Festung – nur um sich deren Unvollkommenheiten bewusst zu werden. Im permanenten Alarmzustand schärft die abgeschottete Bewohnerin ihre Waffen und offenbart sich dabei als Raubtier auf dem Sprung. Den ultimativen Schutz vor Gefahren bietet vielleicht nur der Tod – doch wessen? „Der Bau“ entriegelt die Pforten zum Abstieg in die menschliche Psyche, in der kein Frieden ruht.
Der Bau | 8., 9., 15., 16., 17., 22., 23.11. je 19.45 Uhr | Alte Wursterei | www.disdanceproject.de
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