Tod – ein fürwahr zeitloses Thema. Ein stilles Einschlafen bildet die Ausgangssituation für die neue Inszenierung von Angie Hiesl und Roland Kaiser. In einer Soloperformance von Daniel Ernesto Müller spürt die Produktion auf dem Rudolfplatz den Geschichten einer verstorbenen Seniorin nach. Als Bühnenausstattung dient die aufgelöste Wohnungseinrichtung der Dame. Schränke, Kleidung, Geschirr, Bücher, Bettbezüge, Sessel, Stühle, Staubsauger, Regenschirme, Gehstöcke, ein Tisch mit Putzartikeln und vieles mehr. So weit, so wahr. Reine Fiktion ist dagegen die Biographie der einstigen Bewohnerin. Diese änderte sich bereits im Verlauf von zwei Aufführungen an der Stätte. Sie war Erika, dann Helene, wahlweise über 90 oder 82 Jahre alt. Ihren wirklichen Namen, ihre Adresse oder gar Fotos gehören nicht zur intimen Darbietung, die Schauspieler Daniel Ernesto Müller einfühlsam erzählt.
Mal erstaunt bis amüsiert obgleich der unzähligen Gebrauchsgegenstände, mal melancholisch angesichts der Abwesenheit der eigentlichen Protagonisten und der steten Präsenz des Todes flechtet Müller ein schimmerndes Netz gefüllt mit Geschichten und Impressionen: „... Die Nachttischlampe brannte noch … Alles riecht nach ihr … Überall Helene ...“ Dabei schlüpft der Akteur in die Rollen von Vater, Mutter, Tochter, Ehemann und schließlich jener Frau selbst. So vielfältig wie die aufgebahrten Objekte entfalten sich hier intensive Monologe über die Endlichkeit, um unter freiem Himmel aus dem Sterbebett zu entweichen. Die mehr als dreistündige Aufführung lässt vermutlich viele Passanten länger als geplant vor Ort verweilen, denn das Konzept des „Vorbeischauens“ und „Wunderns“ beinhaltet auch die Einbeziehung ins Geschehen. Mit direkter Ansprache und reichlich Improvisation zieht der Wohnungsauflöser seine Runden um die Besucher:innen und lässt besonders neugierige Gäste im einstigen Haushalt streunen. „Wer hat hier gelebt, und wer ist hier gestorben?“, lautet die schlichte Frage einer höchst präsenten Persönlichkeit mitten im Tod. „Aufgelöst“ offenbart ihre Liebenswürdigkeiten wie Absonderlichkeiten und erinnert an die Einsamkeit, die ihre festen Arme wie ein Eichenholzrahmen um das späte Bildnis vieler Menschen schließt. Allein, in einem abgeernteten Feld voller Erinnerungen. Bewegend.
Aufgelöst | 22.10. 14.30-18 Uhr | Köln, Rudolfplatz | Eintritt frei | www.angiehiesl-rolandkaiser.de
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