Vergiss mein Ich
Deutschland 2014, Laufzeit: 93 Min., FSK 12
Regie: Jan Schomburg
Darsteller: Maria Schrader, Johannes Krisch, Ronald Zehrfeld
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Aufregendes Identitäts-Drama
Identitätsinszenierungen
„Vergiss mein Ich“ von Jan Schomburg
Lena (Maria Schrader) erkrankt an akuter Entzündung des Gehirns, was für die energische Intellektuelle zu einem radikalen Bruch in der eigenen Biografie wird. Sie kann sich nach wie vor in ihrer Umwelt bewegen und Dinge als solche erkennen, nur der persönliche Bezug ist verloren. Auch die Emotionen auf den Gesichtern der ihr nun fremd gewordenen Nächsten, muss sie neu lesen lernen. Aus dem Nebel des Ichverlusts folgen wir der Protagonistin bei der Wiederentdeckung ihres Lebens, das sich uns ebenfalls nachträglich erschließt und eine neue Offenheit auf alles wirft, das früher als Gewissheit verzeichnet wurde. Es ist eine tiefgreifende Frage, der Lena folgt: Was bleibt übrig, wenn unser Körper vergeht oder Schaden nimmt? Gibt es, aller postmoderner Dekonstruktion zum Trotz, doch ein wahres Selbst, das sich immer wieder zu den gleichen Personen hingezogen fühlt, dieselben Interessen verfolgt?
In seinem zweiten Film nach „Über uns das All“entlarvt Schomburg auf spielerische Weise die vermeintlichen Sicherheiten unseres Alltags in provokativen Fragen. Seine Figur verlässt die akademischen Gefilde samt elitärem Gestus, erfreut sich an geschmacklosen Kleidungsstücken, spontanen sexuellen Begegnungen und habituellen Brüchen. Warum war man sich früher eigentlich zu schade, um auf die Kirmes zu gehen? Wie tief ist die Liebe zum Ehemann und jahrelangen Weggefährten wirklich? Und werden einen die engsten Freunde immer noch mögen, wenn man den Drang verspürt, ein(e) ganz Andere(r) zu werden?
So wird eine Begegnung mit dem jungen Roman (Ronald Zehrfeld) zu einer komplexen Situation voller Wortwitz und Spontanität, aber auch leichtem Unwohlsein. Es wird nicht ganz klar, inwieweit er von ihrem Zustand einfach nur fasziniert ist oder ihn für sich ausnutzt; für Lena bietet sich jedoch, durch die abgeworfene Last der persönlichen Sozialisation, auch eine Möglichkeit, die eigene Sexualität auf unvoreingenommene Weise zu erforschen. Ronald Zehrfeld verblüfft hier in einer Szene mit unerwartetem Mut zur Intimität.
Doch es geht Schomburg nicht nur um die relativistische These, dass im Grunde alles auch anders sein könnte; er zeigt ebenfalls, in einigen Szenen der Nähe, wie auch Kontinuität sich selbst immer wieder neu hervorbringt. Bei ihrer langsamen Genesung beginnt Lena mehr und mehr mit Fragmenten zu spielen, Texten, die sie selbst geschrieben hat, Filmszenen, an die sie sich noch erinnern kann. Alles wird zum Puzzlestück der eigenen Existenz. Und letztlich ist die Botschaft, die „Vergiss mein Ich“ andeutet, eine sehr liebevolle: Jene Lücke, die Lenas Geschichte in ihrer vollen Theatralität ausmacht, erleben wir im Kleinen jeden Tag. Hinter jeder Festschreibung, die wir aus Gewohnheit machen, verbirgt sich ein Anders-Werden, oft nur zu marginal, um wahrgenommen zu werden und dennoch stark genug, um niemals mit sich selbst völlig übereinzustimmen.
In einer grandiosen Einstellung zeigt Schomburg in der Unschärfe zwei sich liebende nackte Körper, so gefilmt, dass jeder von ihnen sich zu vervielfachen scheint, sich auffächert in einer Fülle an möglichen Anderen, die in jener Umarmung aufgehen können.
Pssst!
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