Paterson
USA 2016, Laufzeit: 115 Min., FSK 0
Regie: Jim Jarmusch
Darsteller: Adam Driver, Golshifteh Farahani, Kara Hayward, Jared Gilman
>> paterson-derfilm.de/
Hommage an die kleinen Momente des Alltags
Beobachtung zweiter Ordnung
„Paterson“ von Jim Jarmusch
Will man das: So heißen wie die Stadt, in der man wohnt? Das ist in etwa so, als stünde man mit einem rotbraunen Anzug vor einer Backsteinmauer. Genau so unscheinbar ist Paterson (Adam Driver /„Star Wars“, „Frances Ha“), der Protagonist des neuen Films von Jim Jarmusch. Der heißt nicht nur wie der Film, sondern eben auch wie die Stadt, in der er wohnt und durch die er sich unauffällig bewegt. Den Ort gibt es wirklich: 150.000 Einwohner leben hier. Mit den Great Falls des Passaic River gibt es einen beachtlichen Wasserfall, den aber angesichts der trostlosen Umgebung nur wenige Touristen aufsuchen dürften. Durch William Carlos Williams' Gedichtzyklus „Paterson“ zählt – so erfährt man auf Wikipedia – die Stadt im Bundesstaat New Jersey zu den denkwürdigsten Orten der amerikanischen Literaturgeschichte. Beides – die Wasserfälle als auch die Gedichte von Williams – spielen in Jarmuschs Film eine bedeutsame Rolle.
Alltagspoesie
Paterson ist Busfahrer. Jeden Tag wacht er zur selben Zeit von alleine auf, küsst seine Frau Laura (Golshifteh Farahani /“Alles über Elly“, „Eden“), die weiterschläft, und frühstückt in der Küche. Dann nimmt er seinen Henkelmann und schlendert vorbei an den Backsteinmauern alter Fabriken zum Busdepot. Nach der Schicht geht er wieder nach Hause, dreht abends eine Runde mit dem Hund Marvin (die englische Bulldogge Nellie erhielt in diesem Jahr für ihren Auftritt in „Paterson“ posthum den Palm Dog Award in Cannes), der ihn immer zu seiner Stammkneipe führt, wo er ein Bier trinkt, um anschließend ins Bett zu fallen. Die Tage unterscheiden sich nicht. In einem Punkt unterscheidet sich Patersons tägliche Routine allerdings von der vieler anderer Arbeiter: Schon vor der ersten Schicht schreibt Paterson in sein Notizheft kleine Verse. In der Mittagspause setzt er sich an den Wasserfall und schreibt weiter an seinen Gedichten. Inspiriert wird er von Gesprächen, die er im Bus aufschnappt, Straßenszenen oder auch nur einer Streichholzschachtel, die bei ihm zu Hause auf dem Küchentisch liegt. Seine Frau liebt Paterson ebenso wie seine Gedichte und schon lange bittet sie ihn, die Texte zu kopieren, um sie Verlagen anzubieten. Auch Laura sprudelt über vor Kreativität: Jeden Abend, wenn Paterson nach Hause kommt, sind neue Teile der Wohnung in Lauras Lieblingsfarben Schwarz und Weiß umgestaltet – Vorhänge, Teppiche, Kleider, Schränke und Türrahmen erhalten ein neues Dekor. Außerdem backt sie schwarzweiße Muffins und will demnächst auch Country-Musik machen – natürlich mit schwarzweißer Gitarre und in einem ihrer selbstgestalteten Outfits.
Momentaufnahmen
Jim Jarmusch zelebriert die Augenblicke, die Paterson zu seinen Gedichten inspirieren, mit bedächtiger Anmut. Und wenn Paterson dann beginnt, in sein Notizbuch zu schreiben, dringen die Worte dem Kinozuschauer nicht nur gesprochen ins Ohr, die Zeilen breiten sich auch groß auf der Leinwand aus, legen sich elegant über die Bilder. Jarmuschs liebevolle Inszenierung dieser künstlerischen Feier des Alltäglichen fußt auf seiner eigenen Liebe für die Gedichte von Ron Padgett, der seine Texte zur Verfügung gestellt und auch neue Zeilen für den Film geschrieben hat. Jim Jarmusch hatte bereits vor 20 Jahren die Idee für den Film. Tatsächlich ist „Paterson“ wie viele seiner Filme eine atmosphärische Skizze und zugleich ein Bekenntnis zur zarten Kraft der Poesie – auch und natürlich trotz der Präsenz von Literatur, vor allem der filmischen. Denn die Leichtigkeit, der leise Humor mit Running Gags, das Sentiment und die kleinen Momente der Magie, mit denen Jim Jarmusch das Leben seines Protagonisten einfängt, ist Poesie. Seine Filme waren immer schon eher Momentaufnahmen als Stories. Geschweige denn, dass sich die Charaktere groß entwickeln oder gar auf eine Heldenreise gehen. Das können andere machen. Jarmusch interessiert sich auch in seinem neuesten Film für die kleinen Details und das große Ganze, aber eher als Beobachter. Genauer gesagt als Beobachter zweiter Ordnung, denn am liebsten beobachtet er in seinen Filmen Menschen, die beobachten. Und zu beobachten gibt es in seinen minimalistischen Settings viel. Alles scheint gleich und ist doch immer ein wenig anders. Mit Patersons Augen entwickeln wir einen Blick für die Details, die mit der gewonnenen Aufmerksamkeit an Größe und Bedeutung gewinnen. Kein Wunder, dass bei all der Passivität – er schafft es ja nicht mal, seine Gedichte zu kopieren – in einer der Kneipenszenen nicht nur der Zuschauer, sondern auch alle Barbesucher vollkommen perplex sind, als Paterson aus seinem Gleichmut heraustritt und mit actiongeladener Präzision in einen Konflikt eingreift. Wahrscheinlich ist selbst Paterson, in beeindruckender Weise mit großer Zurückhaltung von einem den gesamten Film beherrschenden Adam Driver gespielt, überrascht von dem, was er da gerade tut. Schnell fällt er zurück in seine Beobachterperspektive. So können auch wir wieder ungestört beobachten, wie er beobachtet...
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