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Je suis Karl

Je suis Karl
Deutschland, Tschechische Republik 2019, Laufzeit: 126 Min., FSK 12
Regie: Christian Schwochow
Darsteller: Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel
>> je-suis-karl.film/

Aufrüttelndes Thrillerdrama

We must think bigger!
„Je suis Karl“
von Christian Schwochow

„Es wird ein langer Weg bis zum Sieg sein“, verkündete der australische Rechtsterrorist Brenton Tarrant über sein internationales Netzwerk, bevor er 2019 über fünfzig Menschen in einer Moschee ermordete. Rechtsaußen in der großen Politik mögen derweil Le Pen & Co. in Frankreich (zuletzt) gestrauchelt haben, Trump mag (vorübergehend) abgewatscht sein und die Wählergunst für die AfD in Deutschland (derzeit) stagnieren. Doch die Neue Rechte bleibt am Ball. Unentwegt. Vor Ort auf den Straßen, weltweit Netz. Taktisch beschlagen führt sie ihre Mobilisierung voran und streckt die Arme aus. Verführt Verführbare. Indem sie Vorurteile, Zorn und Ängste schürt, indem sie sich rhetorisch versiert zu Opfer, Retter und Freiheitskämpfer verklärt, während ihre Anhänger die Waffen horten. Sie greifen an und bleiben ungreifbar. Und der Großteil der Gesellschaft ist empört, aber nicht wirklich alarmiert. Alles ist denkbar – vieles wird verdrängt. Regisseur Christian Schwochow schaut mit großer Sorge auf diese „Alles nicht so schlimm“-Haltung und erlebt auch das deutsche Kino als „zu still“. Jetzt macht er diesen Film. „Je suis Karl“, sagt er, „sollte und wollte unbedingt ein lauter Film werden.“

Karl (Jannis Niewöhner) sitzt im Führungskader der europaweit agierenden, jungen rechten Bewegung ReGeneration. Nachdem die junge Berlinerin Maxi (Luna Wedler) bei einem Bombenanschlag ihre Mutter und ihre zwei kleinen Brüder verliert und in Schmerz, Angst und Wut versinkt, heftet sich Karl an ihre Fersen und bietet sich an als empathischer Zuhörer und Tröster. Dem traumatisch unter Schuldgefühlen leidenden Vater (Milan Peschel) entfremdet, folgt Maxi ihrem attraktiven Verführer nach Prag, wo Karl eine Großveranstaltung aufzieht. Trotz nuancierter Skepsis fühlt sich Maxi zunehmend wohler im Kreis derer, die vorgeben, sie zu verstehen.

Ein Dialog mit Karl, in dem dieser Maxis Zweifel geschickt relativiert, Perspektiven verkehrt und mit Gegenfragen pariert ist ein Herzstück dieses Dramas. Während Maxi aufspringt, erscheint dem Führungskader von ReGeneration nach unbefriedigender Mobilisierung der Weg zum Sieg zu lang: „We must think bigger!“

Und genau das machen Schwochow und sein Drehbuchautor Thomas Wendrich. Sie spinnen das weiter, was angesichts populistischer Manipulationsmechanismen und wachsenden Aggressionspotenzials nicht abwegig erscheint beziehungsweise, siehe USA, längst passiert. „Je Suis Karl“ ist nicht bloß Bestandsaufnahme, sondern erwächst zu einer unangenehm greifbaren Dystopie. Denn das Fundament dieser Fiktion ist das reale Vorbild: Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung, die sich hip und cool und empathisch geben, die nicht bloß eine Ideologie vermarkten, sondern auch einen sympathischen Liefstyle, die vernetzt sind und medial bewandert. Die auch gemäßigte junge Menschen und Akademiker ins Boot holen. Die sich gezähmt artikulieren und die gewaltbereite Meute hinter sich wissen. Was also, fragt Schwochow, wäre, wenn die Neuen Rechten ernst machten und ihr Potenzial abriefen?

Und so spinnen Schwochow und Wendrich die maximale Eskalationsstufe, erzählen aber vor allem von der Kunst der Verführung. Die Grundmechanismen dahinter sind trivial, man kennt das aus „Star Wars“, wo Schmerz und Frust geschürt zu Verbitterung und Hass, sprich: zur Dunklen Seite der Macht führen. Schwochow erzählt davon ganz bitter lebensnah im Hier und Jetzt.

 

Stark in seinem spannend verdichteten Thrillerdrama sind die Darsteller. Stark die Dialoge. Die Details. Das Fundament, auf dem er aufbaut, die Recherche. Und, nicht zuletzt, der Nebenschauplatz: der Blick auf den Vater, der traumatisiert in Berlin zurückbleibt, was Schwochow eindrucksvoll visualisiert. Betrüblich bleibt, dass das Gros der Anhängerschaft solcher Bewegungen nicht vergleichbar schicksalsgeschlagen sind wie Maxi, sondern aus ungleich niedrigeren Beweggründen mitlaufen. „Je suis Karl“ ist ein Film über Maxi, über die Macht der Verführung und das Kalkül der Neuen Rechten. „Je Suis Karl“ ist kein Film über Karl.

(Hartmut Ernst)

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