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I'm not there

I'm not there
USA 2007, Laufzeit: 135 Min., FSK 12
Regie: Todd Haynes
Darsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Heath Ledger, Richard Gere, Julianne Moore, Michelle Williams, Charlotte Gainsbourg, Ben Whishaw, Marcus Carl Franklin, David Cross, Kim Roberts

Das Leben und die Musik von Bob Dylan in einer stilistischen Melange aus Fake-Doku, Spielfilm und metaphorischer Annäherung.

Bob Dylan – zweifelsohne eine der einflussreichsten Figuren der Popkultur. Dass sich ihm nach Ray Charles, Johnny Cash, Ian Curtis und anderen nun auch ein biografischer Spielfilm widmet – es war wohl nur eine Frage der Zeit. Zumal es erste Anzeichen gab: Vor knapp drei Jahren erschien Martin Scorseses monumentaler, über 200minütiger Dokumentarfilm „No Direction Home“ über Bob Dylans Leben und Arbeit bis zum legendären Griff zur E-Gitarre Mitte der 60er Jahre. Im selben Jahr schrieb der renommierte Musikkritiker Greil Marcus auf knapp 300 Seiten „Die Biographie eines Songs“, indem er sich „Like a Rolling Stone“ widmete. Mit diesem Stück manifestierte sich eben jenes Einstöpseln der Gitarre erstmals auf Platte.

Ich sind viele andere

Nun also ein Spielfilm. Sechs unterschiedliche Schauspieler stellen den Musiker Bob Dylan dar, darunter eine Frau – Cate Blanchett – und ein kleiner schwarzer Junge. Das Prinzip sah man zuletzt in „Palindrome“ von Todd Solondz. Dort verhalf der Kunstgriff der Hauptfigur zu einer universalistischen Bedeutung. In „I’m not There“ hat der Verfremdungseffekt gleich mehrere Funktionen: Zum einen arbeitet er zusammen mit der unchronologischen Montage ganz klassisch gegen die Einfühlung des Zuschauers an und verbietet sich unaufhörlich den Glauben daran, dass das, was man hier sehe, die eine, echte, tatsächliche Wahrheit sei. Zum anderen wird die vielfältige Identität einer sich wandelnden Person anschaulich, die zugleich auch in jedem Augenblick viele verschiedene ist. „Ich ist ein anderer“, wird einmal der Dichter Arthur Rimbaud, eines der großen Vorbilder Dylans, zitiert. Denselben Ausspruch zitierte der strukturalistische Denker und Psychoanalytiker Jacques Lacan in den 50er Jahren, um die scheinbar stabile Einheit von Subjekt und Identität anzugreifen und damit den Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus stark zu prägen.

Wo ist die Vielheit eines Subjektes deutlicher zu erkennen als in der Popmusik? David Bowie und Madonna sind nur die bekanntesten Beispiele dafür, wie in der Popkultur ganz bewusst mit Identitäten gespielt wird. Für Bob Dylan ist es weniger ein Spiel denn ein Kampf, um sich immer wieder ständigen Zu- und Festschreibungen zu entziehen. Als Teenager hält er sich nostalgisch an amerikanische Rootsmusik und verehrt den Protestsänger Woody Guthrie, dessen Gitarrenkoffer der legendäre Satz „This Machine kills Fascists“ zierte. In New York kommt er in Berührung mit Texten von Rimbaud und anderen Literaten. Er widmet sich in seinen wortgewandten Texten dann zunehmend Themen der Gegenwart und wird 1963 von Joan Baez protegiert. Er steigt zum Star der Folk-Szene und zum Held der Gegenkultur auf. Als er 1965 auf seiner England-Tournee, bestens dokumentiert in D.A. Pennebakers legendärem Film „Don’t look back“, mit elektrifizierter Band auftritt, wird er ausgebuht, gar als Verräter, als „Judas“ beschimpft. Der große Erfolg beim Rockpublikum stellt sich dennoch ein, „Like a Rolling Stone“ gilt vielen als bester Song aller Zeiten, seine metaphorischen Texte als außergewöhnlich in der Popmusik. Dylans Aufstieg zum Rockstar und Sprachrohr einer ganzen Generation führt aber zu Problemen. Als er 1966 zudem mit dem Motorrad verunglückt, zieht er sich für Jahre aus der Öffentlichkeit zurück, geht nicht mehr auf Tour. Seine 1965 geschlossene Ehe mit einem Fotomodell wird nach zehn Jahren geschieden. Ende der 70er Jahre findet er zum Christentum, nimmt mehrere Alben mit Gospelsongs auf und predigt von der Bühne.

Dylan für Fortgeschrittene

Derlei unangenehme Seiten – Bob Dylan als Vorbild für Tom Cruise – lässt Todd Haynes in seiner faszinierenden, biografischen Reise nicht aus. Dylan, für dessen unterschiedliche Ich-Ausformungen Haynes nicht nur verschiedene Darsteller, sondern auch verschiedene Namen findet – der Name Bob Dylan fällt im ganzen Film an keiner Stelle – wird genauso als großartiger Musiker und Lyriker wie als gescheiterter Ehemann und misanthropischer Rüpel gezeigt.

Haynes fährt in „I’m not There“ eine geradezu überwältigende stilistische Bandbreite auf: Fotografien und grobkörnige, auf Authentizität abzielende Filmschnipsel wechseln mit surrealen Passagen, klassische Spielfilmszenen mit pseudodokumentarischen Interviews, metaphorische Westernszenarien mit Traumsequenzen. Haynes zitiert dabei auch Filmgeschichte. Zum Beispiel, indem er auf Fellinis Film „8 ½“ anspielt, und so die Selbstzweifel, die Flucht vor den Erwartungen und den Drang zur Neuerfindung, die den italienischen Regisseur zu seinem achteinhalbten Film inspirierten, mit Dylan kurzschließt. Und – auf der anderen Seite – gibt es mit einem kleinen Verweis auf Jean-Luc Godard eine Hommage an jenen Regisseur, der stets versuchte, neue Blickwinkel zu finden und festgefahrene Annahmen und Sichtweisen visuell aufzusprengen. Blickwinkel finden sich in Todd Haynes‘ überbordendem Werk unzählige. Ein paar dylanische Grundkenntnisse können indes nicht schaden, um da den Überblick zu behalten.

(Christian Meyer)

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