4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage
Rumänien 2007, Laufzeit: 113 Min., FSK 16
Regie: Cristian Mungiu
Darsteller: Anamaria Marinca, Laura Vasiliu, Vladimir Ivanov, Alexandru Potocean, Luminita Gheorghiu, Adi Carauleanu
Rumänien 1987: Nicolae Ceausescus Diktatur liegt in ihren letzten Zügen. Eine junge Studentin will heimlich ihr Kind abtreiben. Ihre Kommilitonin hilft ihr bei der verbotenen Prozedur.
Quentin Tarantino trat mit Grindhouse-Trash an, David Fincher mit einem Thriller im 70er Look, Fatih Akin mit einem kunstvoll verschachtelten Generationen-Drama – das Rennen 2007 in Cannes aber machte dieser schlichte, ernüchternde Film, der filmisch auf den ersten Blick ganz unspektakulär seine Protagonistinnen begleitet. „Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage“ ist der erste Film, der für Rumänien die Goldene Palme gewinnt. Darin folgt Regisseur Christan Mungiu für einen Tag der jungen Studentin Otilia (großartig: Anamaria Marinca), die ihrer Mitbewohnerin bei einer illegalen Abtreibung beisteht. Die Stationen der traumatischen Irrfahrt strukturieren den Film: Otilia beim Schwarzmarkt im Studentenwohnheim, unterwegs zwecks Organisation des Hotelzimmers und Verabredung mit dem Engelmacher (in der Tat ein Mann!), bei der Abtreibung im Hotelzimmer, auf der Geburtstagsfeier der Mutter ihres Freundes.
Freundschaft und Vertrauen unter der Diktatur
Dabei steht nicht Gabita (Laura Vasiliu) im Mittelpunkt, die ihre Schwangerschaft schon viel zu lang vor sich hergetragen hat, die überfordert ist und unbeholfen agiert. Mungiu interessiert sich für die Macherin Otilia, die sich mit den alltäglichen, staatlichen Repressalien arrangiert hat und verhältnismäßig tough durch die grauen Straßenzüge stiefelt, kaltschnäuzig den neugierigen Fragen Fremder ausweicht und notfalls rasch improvisiert. Ruhelos treibt es Otilia voran. Als die Beteiligten schließlich im Hotelzimmer sind, variiert der bis dahin recht seriös wirkende Engelmacher (Vlad Ivanov) seine Forderungen und verlangt von beiden Frauen sexuelle Zuwendung. Verliefen Otilias Gefälligkeiten bisher mechanisch, verrichtet die Studentin die nächsten Aktionen unter Schock. Mungiu gönnt ihr keine Pause: Ihr Freund zeigt für die Situation kein Verständnis, Gabita lässt sie auflaufen. Otilia demonstriert, wie wichtig Freundschaft und Vertrauen unter einer Diktatur sind. Mungiu zeigt, dass Freundschaft und Vertrauen unter einer Diktatur nicht selbstverständlich sind. 1987 ist Ceausescu seit 13 Jahren Präsident, die Diktatur ist gefestigt, der Apparat funktioniert. Man benötigt keine uniformierten Staatsdiener mehr, um für Unruhe zu sorgen. Selbstschutz und Misstrauen sind Tugenden. Und die greifen weiter, als Otilia es vermutet hätte.
Die perfekte Bildsprache
Otilia hilft und ist allein. Die Aktion ist ihr Antrieb. Verschnauft sie, droht sie zusammenzubrechen. Mungiu findet für ihre Geschichte die perfekte Bildsprache: Mal folgt er seiner ruhelosen Heldin dicht und wacklig mit der Steadycam, mal zelebriert er Otilias Ohnmacht in minutenlangen Standbildern. Ulrich Seidls „Import – Export“, ein weiterer Cannes-Anwärter 2007, bietet momentan ein ähnlich tristes und erschütterndes Bild des aktuellen Europas und seiner östlichen Nachbarn. Auch hier werden dokumentarisch trostlose Alltagsszenen aneinandergereiht. Während Seidl gnadenlos das heutige Arm-Reich-Gefälle drapiert, entwickelt Mungiu mit vergleichbaren Bildern eine höhere Sogwirkung: Bei ihm ist es nicht nur der Ekel und das Entsetzen angesichts alltäglicher, unmenschlicher Umstände. Mungiu stellt die abgestumpfte Menschlichkeit nicht bloß aus und reiht sie aneinander. Bei ihm wirkt das Dokumentarische vielleicht stilisiert, aber nie künstlich arrangiert. Ein fünfminütiges, filmisches Stillleben berührt hier ehrlicher als jeder künstliche Überentwurf. Mungiu geht tiefer. Seine Protagonistin bietet Identifikation. Er liefert nicht nur Diskussionsansätze, er entlässt den Zuschauer darüber hinaus in einem Schockzustand – ohne bloß schocken zu wollen. Mungiu ist zudem, anders als Seidl, nicht zynisch, er erzählt emotional. Inhaltlich mag das für das verwöhnt westliche Auge eine Zumutung sein – filmisch liefert hier Christian Mungiu mit kleinen Mitteln großes Kino. Kino, das berührt. Ein verdienter Gewinner.
(Hartmut Ernst)
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