Kunst ist auch Reflexion der gesellschaftlichen Parameter, die bei der Schaffung visueller Werke gültig waren. Insofern müssen Arbeiten junger Künstler auch das Leben ihrer Zeit spiegeln. Die Kunsthalle Düsseldorf zeigt drei US-amerikanische Künstler aus dem digitalen Zeitalter. Nicht ohne Grund heißt die Ausstellung „Real Humans“, nach einer schwedischen Science-Fiction-Serie, in der menschenähnliche Roboter das Menschsein bereichern oder auch nicht. Wenn also die Reflexion der gesellschaftlichen Parameter stattfindet, dann müsste diese Ausstellung von Ian Cheng, Wu Tsang und Jordan Wolfson die momentane Selbstbefindlichkeit der US-amerikanischen Gesellschaft spiegeln. Interessanterweise muss der Besucher immer wieder Überschuhe tragen, um sich peinlich reinlich in den Videoinstallationen bewegen zu dürfen.
Rechts oder links, die erste Entscheidung die der Besucher im ersten Stock der Kunsthalle treffen muss. Ich entscheide nach dem Zufallsprinzip und befinde mich in einem großen Raum mit einem einsamen Monitor, im Hintergrund ein goldener Vorhang. „Shape of a Right Statement“ (5:15, 2008) von Wu Tsang basiert auf dem Youtube-Video „In my language“ der US-amerikanischen Autismus-Aktivistin Amelia Baggs von 2007, das mit Hilfe eines Sprachausgabegeräts ein Manifest formulierte. Tsang reinszeniert in seiner Arbeit diese Computerstimme in der Maske einer noch nicht kostümierten DragQueen als rührendes Plädoyer für die Akzeptanz jeglicher Form menschlichen Daseins, egal in welcher Identitätskonstruktion. Eine Thematik, die auch bei den Großbildflächen in „The Looks“ (2-Kanal-HD-Video, 10:00, 2015) und im preisgekrönten Spielfilm „Wildness“ (HD, 74:00, 2012) fortgeführt wird.
Bei Ian Cheng dagegen löst sich die Welt digital in ihre Bestandteile auf. In seinem Raum lässt sich vieles nicht mehr erfassen. Gleichzeitig kann man in „Baby ft. Nicoya“ (Echtzeitsimulation 2014) einem unendlichen Gespräch zwischen drei Robotern zuhören, während man gerade noch über ein gespraytes „oh my god“ nachdenkt. Daneben, alles simultan, „Something Thinking of You“ (Echtzeitsimulation 2015, Loop) entwirft Cheng ein Experiment, das die Grenzen des Verstandes auslotet. Vier Arbeiten werden dazu noch mit einer API-Sprache, eine Codierung für Programmierschnittstellen, verbunden, die die Aufmerksamkeitsmöglichkeiten der Besucher noch weiter in Frage stellt. Kein Zuckerschlecken fürs Gehirn. Eine Etage höher, kommen Kondome auf Schuhe und Leinwand. In Jordan Wolfsons „Rasperry Poser“ (Videoanimation, 13:54, Loop) fliegen sie mit roten Herzen gefüllt durch Landschaften und Räume voller Pop-Art-Requisiten. Im Ohr Beyonces „Beautiful Nightmare“, die Augen gefüllt mit martialisch-lieblich-erotischen Bildern, verfolgt man die Kondome durch eine Welt „endloser Wahlmöglichkeiten“, während sich ein kleiner Comic Bursche im Clip den Bauch aufschneidet und der Künstler als Punk verkleidet durch Paris streift. Was bleibt? Crippled sex und überfordertes Bewusstsein sind keine guten Zukunftsvisionen.
„Real Humans“ | bis 19.4. | Kunsthalle Düsseldorf | 0211 899 62 43
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