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Mühlberg, Kollmann, Baltes, Schmitt und Kemmerer
Foto: Katja Sindemann

Durch Alexa länger leben?

13. Juni 2018

„StreitKultur“-Podiumsdiskussion über die Digitale Revolution – Spezial 06/18

Wie die Digitalisierung Arbeitswelt, Gesellschaft, Datenschutz und Mediennutzung verändert, das diskutierte ein hochkarätiges Quartett in der von SPD Köln, Freie Volksbühne Köln e.V. und Volksbühne am Rudolfplatz neu initiierten Reihe „StreitKultur – Forum für aktuelle Fragen“. Annette Mühlberg, Leiterin der Projektgruppe „Digitalisierung“ beim ver.di-Bundesvorstand, Thomas Kemmerer, Newsroom DuMont-Schauberg, Tobias Kollmann, Professor für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen, und Josephine Schmitt, Postdoktorandin am Seminar für Psychologie, Medien und Kommunikationspsychologie der Universität zu Köln, thematisierten unter der Moderation von ZDF-Journalistin Ina Baltes unterschiedliche Aspekte zu „Digitale Revolution – Wenn Zukunft plötzlich Gegenwart ist“.

Die erste Frage, ob diese laut Studie 800 Millionen Jobs vernichten wird, konnte keiner beantworten, einig war man sich jedoch, dass Arbeitsplätze wegfallen und viele den Wechsel zu neu entstehenden Berufen nicht schaffen würden. Mühlberg plädierte dafür, diese Veränderungen der Arbeitswelt bewusst zu steuern. Kritik an deutschen Politikern, denen digitale Kompetenz fehle, wurde im Laufe der Diskussion mehrfach geäußert. So wurde etwa der Merkel-Sager von 2013, Internet sei für alle Neuland, kritisiert. Auch wurde das Fehlen einer Vision für zukünftige Internetnutzung bemängelt. Mühlberg forderte mehrfach, dass die Politik ethische und rechtliche Rahmenbedingungen schaffen müsse, erzählte, dass ihre Projektgruppe sich seit 15 Jahren mit dem Thema interdisziplinär auseinandersetze, verriet aber nicht, wie ein Konzept im Detail aussehen könnte.

In diesem Zusammenhang wurde von Schmitt und Kemmerer kritisiert, dass an vielen deutschen Schulen weder neue PCs noch Internet vorhanden seien und viele Lehrer keine Medienkompetenz hätten. Laut Studie gäbe es in der Lehrerschaft großen Widerstand gegen die Digitalisierung. Später verwahrte sich ein Publikumsgast gegen das „Lehrer-Bashing“. Tatsächlich dürfe die Situation in einigen Bundesländern verbesserungsbedürftig sein. Schmitt ergänzte, dass das WLAN-Angebot in deutschen Städten mangelhaft sei.

Großen Raum nimmt die Frage ein, warum die großen Digitalkonzerne in den USA beheimatet sind, während Deutschland nichts Vergleichbares vorzuweisen hat. Kollmann weist darauf hin, dass Facebook, Google, Apple und Co. die Möglichkeiten des Internets einfach schneller erkannt hätten. Hierzulande gäbe es nur vier Unicorns – Jungunternehmen, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind. Sein Vorschlag lautet, die Rahmenbedingungen zu verbessern und Start-ups länger zu fördern. In Großbritannien seien Investitionen etwa steuerlich absetzbar. Mühlberg bekräftigt, dass man nicht Gleiches, sondern Anderes wolle. Schließlich sei Facebook nicht grundrechtskonform, Amazon schlicht unmenschlich hinsichtlich der Arbeitsbedingungen. Schmitt hingegen meint, viele Angebote seien gut, Facebook erleichtere die weltweite Kommunikation. Kollmann erklärt, dass ähnliche Unternehmen wie studiVZ in Deutschland eingegangen seien. Kemmerer gibt einem Mentalitätsproblem die Schuld, dass Internetfirmen in Deutschland nicht prosperieren.

Der nächste Block ist der Datenschutzgrundverordnung gewidmet, die zum 25.5. in Kraft getreten ist. Kollmann erklärt, dass große Internetkonzerne viel Zeit in die Umsetzung der DSGVO investiert hätten, Klein- und Mittelunternehmen aber überfordert seien, vor allem bezüglich der Nachweispflicht. Grundsätzlich müsse man aufhören, das Wort „Daten“ negativ zu besetzen. Schmitt konstatiert, Ältere sähen Datenschutz kritisch, Jüngere jedoch nicht. Das „privacy paradox“ besagt, dass Nutzer zwar Hackerangriffe und Datendiebstahl beklagen, gleichzeitig aber die Angebote ohne Aufwand weiter nutzen wollen.

Baltes leitet die Diskussion über zur Frage nach dem Umgang mit dem Internet. Während laut Kemmerer in Deutschland der User oft nur stiller Mitleser sei, werde in Ländern mit weniger Demokratie das Internet aktiv für Beteiligung und Informationsaustausch genutzt, so Mühlberg. Schmitt bejaht, dass das Netz neue Beteiligungsmöglichkeiten eröffne, das Auswählen in der Informationsmenge jedoch digitale Kompetenz erfordere, sonst übernehme es der Algorithmus. Für viele sei Information nebenrangig. Fakt ist, dass extremistische Propaganda sich schnell, einfach und kostenlos im Internet verbreiten lasse. Kemmerer relativiert die Frage, ob wir in einer Blase leben: Einige ja, alle nein. Schmitt meint, dass wir auch früher durch die Auswahl von Zeitungen und Gesprächspartnern in einer Blase gelebt hätten. Laut Kollmann könne das Internet helfen, Weltprobleme bei Umwelt oder Gesundheit zu lösen. Er schließt mit der Bemerkung, dass Platon die Erfindung der Schrift kritisiert hätte.

Bei der Publikumsdiskussion über Risiken und Chancen des Internets verweist Mühlberg auf „social scoring“ in China: Datenbanken und Internetaktivitäten werden ausgewertet, das persönliche, soziale und politische Verhalten der User mit credit points bewertet. Ein negatives Rating hat Beschränkungen bei Reisen, Karriere und Kreditnahme zur Folge, ein positives erleichtert diese. Schmitt schildert, dass Großeltern sich über Whatsapp am Familienleben beteiligen können, Kemmerer meint, dass durch Sprachassistenten wie Alexa alten Menschen, die zuhause stürzen, auf sich aufmerksam machen könnten. Bei der Frage der Technikfolgenabschätzung geraten sich die Gäste schließlich noch in die Haare, so dass Ina Baltes das Motto der „StreitKultur“ für erfüllt sieht. Der Abend wurde von Saxophonisten Bernd Delbrügge melodisch umrahmt, was ihm einen Extra-Applaus sicherte.

Der nächste Termin von „StreitKultur“ findet am 17. September statt.

Katja Sindemann

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