Ein Farbanschlag auf das Kaiser-Wilhelm-II.-Denkmal zeigt: Die Debatte um den Umgang mit Denkmälern ist auch in Köln angekommen. Wie gehen wir mit unserer kolonialen Vergangenheit um?
Der Kaiser selbst hat den Anschlag so gut wie schadlos überstanden. Nur ein Klecks roter Farbe klebt am Stiefel Wilhelms, der im Windschatten des Doms auf der Hohenzollernbrücke, benannt nach seinem preußischen Königshaus, hoch oben auf einem Pferd thront. Unbekannte Aktivisten hatten das knapp fünf Meter große Reiterdenkmal in der Nacht zum 24. Juni mit Farbe besprücht. Vor allem der Sockel und das Pferd wurden in Mitleidenschaft gezogen. Zusätzlich brachten die Täter Botschaften mit antirassistischer und antikolonialistischer Kritik am Denkmal an. Die Farbe wurde mittlerweile entfernt. Der Staatsschutz ermittelt.
Nachdem in den USA und in Großbritannien im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung ehemalige Sklavenhändler und Südstaatengeneräle von ihren Sockeln gestoßen und teilweise im nächstgelegenen Fluss entsorgt wurden, kommt die Debatte auch in Deutschland, auch in Köln an. Denkmäler werden zu einem zentralen Schauplatz um Rassismusdebatten, und es wird kontrovers diskutiert. Der Express titelte: „Was soll das? Reiterdenkmal in Köln schwer verwundet“. Die Kölner Polizei informiert auf Facebook über den Vorfall. Wo nach Meldungen über Autounfälle und Diebstähle gähnende Leere herrscht, sammeln sich unter dieser Nachricht in kurzer Zeit über hundert Kommentare.
Der Tenor der einen Seite: Kritik an Rassismus schön und gut. Aber Farbattacken und Denkmalsstürze – das sei Bilderstürmerei, moralisch aufgeladenes Eliminieren von Geschichte. Auf der anderen Seite stehen die Befürworter einer kritischen Auseinandersetzung mit Denkmälern, gerade dort, wo sie Personen huldigen, die kolonialistische Politik befürwortet oder aktiv betrieben haben. Aus dieser Perspektive ist der Fall klar.
Zur Erinnerung: Kaiser Wilhelm II. hat Deutschland nicht nur in den Ersten Weltkrieg geführt. Unter seiner Herrschaft intensivierte das Deutsche Reich die Bemühungen um einen „Platz an der Sonne“. Die Phrase meinte die Eroberung möglichst großer Territorien in Afrika und Asien im imperialistischen Wettstreit mit den anderen europäischen Großmächten. Als sich in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika Aufstände organisierten, wurden sie brutal niedergeschlagen. Viele Historiker sprechen vom ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Zwischen 50 000 und 70 000 Herero und Nama verloren auf dem Gebiet des heutigen Namibia ihr Leben, viele in eigens errichteten Konzentrationslagern.
„Erinnerungskultur kann nie etwas Statisches sein“
Doch warum macht sich die Rassismusdebatte so stark an Denkmälern fest? Grundsätzlich gehören Denkmäler, ähnlich wie Straßennamen oder Statuen, zur Erinnerungskultur einer Gesellschaft. In ihrem Buch „Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur“ beschreibt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann deren zentrale Funktionen. Zunächst stellt diese Form des kollektiven Erinnerns der Öffentlichkeit „Zugänge zur Vergangenheit“ bereit, die über geschichtswissenschaftliches Spezialistentum hinausgehen. Erinnerungskultur kann so, beispielsweise durch Mahnmäler, eine kritische Auseinandersetzung mit Staats- und Gesellschaftsverbrechen befördern. Sie kann aber auch – und dazu eignen sich Denkmäler am besten – identitätsstiftend wirken, indem sie Personen und Ereignissen huldigt. Ihnen wird Vorbildcharakter für die Gegenwart zugeschrieben.
Prof. Dr. Marianne Bechhaus-Gerst ist Historikerin und Afrikanistin an der Universität zu Köln. In ihrer Forschung setzt sie sich mit deutscher Kolonialgeschichte und Erinnerungskultur auseinander. 2013 hat sie zusammen mit Anne-Kathrin Horstmann das Buch „Köln und der Deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche“ herausgegeben. Überreste der Kolonialvergangenheit, so erzählt sie, findet man in Köln vor allem bei Straßennamen mit kolonialen Bezügen: Das Afrika-Viertel in Nippes etwa oder die Wißmannstraße in Ehrenfeld, benannt nach dem Begründer der Kolonialtruppe Deutsch-Ostafrika, die Aufstände in Kolonien militärisch niederschlug. Wie sieht sie die Debatte um das Reiterdenkmal?
„Zunächst ist es wichtig, daran zu erinnern, dass Erinnerungskultur nie etwas Statisches sein kann. Jede Zeit entwickelt einen neue Perspektive auf bestimmte Kapitel der Geschichte.“ Vielen Menschen, so Bechhaus-Gerst, fiele diese ständige Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte nicht leicht. Und das ist einleuchtend: Folgt man Assmanns Definition von Erinnerungskultur, stehen mit Denkmälern nicht nur ein paar Blechfiguren zur Verhandlung, sondern auch Konstruktionen von Identität. Die Einsicht, dass rassistische Traditionslinien bis in die Gegenwart hineinreichen, kann schmerzhaft sein. In einigen Fällen, so die Historikerin, sei die Reflexion über Erinnerungskultur durchaus erfolgreich gewesen: „Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte niemand mehr in einer Joseph-Goebbels-Straße wohnen. Mit der Kolonialgeschichte tun sich aber viele noch schwer.“
Ähnlich sieht das Sami Omar. Der Autor und Moderator setzt sich in Artikeln und Veranstaltungen mit Rassismus, Diskriminierung und Kolonialismus auseinander. Wegen der Brisanz der Themen, zu denen er schon jahrelang arbeitet, gebe er gerade viele Interviews, erzählt er am Telefon. „In Deutschland sind wir relativ ungeübt im kritischen Umgang mit unserer kolonialen Geschichte. Das ist für mich der Hauptgrund, warum es bei dem Thema zu so großen Irritationen kommt. Es gibt kaum ein Bewusstsein für die Verbrechen durch die kolonialen Bestrebungen Deutschlands.“ Lange, so Omar, sei Deutschland damit beschäftigt gewesen, sich seiner geschichtlichen Verantwortung in Bezug auf den Holocaust zu stellen. Dabei sei aber die koloniale Vergangenheit in Vergessenheit geraten. Einen „geschichtlichen Auseinandersetzungstau“ nennt er das.
Perspektivwechsel und Partizipation
Sami Omar fordert einen Perspektivwechsel im Umgang mit Straßennamen und Denkmälern. Im Unterschied zu Museen, die zur Konservierung und Einordnung von Geschichte da sind, seien Straßennamen und Denkmäler vor allem Huldigungen. „Man möchte jemanden als Vorbild herausstellen, weil er sich um etwas verdient gemacht hat. Und das ist mein großes Problem. Für die weiße Mehrheitsgesellschaft sind diese Denkmäler kaum sichtbar. Sie müssen sich damit nicht auseinandersetzen. Wenn ich aber als schwarzer Mensch durch die Mohrenstraße laufe, bin ich damit konfrontiert, dass dort Dankbarkeit ausgedrückt wird für Personen, die gegen Menschen wie mich große Verbrechen begangen haben.“
Wie also umgehen mit der kolonialen Vergangenheit Kölns? Für Omar ist die Sache klar: Denkmäler und Straßennamen mit kolonialen Bezügen müssten abgerissen, müssten umbenannt werden. Ein Denkmal bleibe ein Denkmal, selbst mit Infotafel.
Etwas anders sieht das Azziza B. Malanda von der Initiative Decolonize Cologne, die kolonialkritische Stadtführungen organisiert. Malanda, die auch an ihrer Promotion in Geschichte arbeitet, sieht die Farbattacke auf das Kaiser-Wilhelm-Denkmal durchaus kritisch, fordert aber ebenfalls einen anderen Umgang mit Denkmälern.
„Uns als Initiative ist in erster Linie die Auseinandersetzung mit diesen Denkmälern wichtig. Also darauf hinzuweisen, wer Wilhelm II. war – wofür er stand und in welchen historischen Kontext er eingebunden war. Den meisten Menschen ist der koloniale Bezug gar nicht bewusst.“ Wichtig dabei sei ein partizipativer Umgang: „Es muss darum gehen, auch BIPoC vor Ort in die Diskussion um diese Denkmäler und Straßennamen miteinzubeziehen. Dann kann man im nächsten Schritt darüber diskutieren, wie man konkret mit ihnen umgeht: ob man sie umbenennt, kontextualisiert oder ähnliches.“ Austausch und Partizipation sind also Schlüsselforderungen. Seit kurzer Zeit befindet sich die Initiative in einem Dialog mit der Stadt über koloniale Objekte in den Museen Kölns.
In Bezug auf die Farbattacke auf das Reiterdenkmal gibt sich die Stadt auf Anfrage einsilbig. Aus der Pressestelle heißt es, antikolonialistische Kritik sei zwar nachvollziehbar, die Attacke allerding nicht hinnehmbar. „Sowohl die Person des Kaisers, als auch seine Handlungen sind Teil unserer deutschen Geschichte.“ In der Verwaltung werde gerade über eine „erläuternde und aufklärende Infotafel“ diskutiert. Bis zur Aufarbeitung über die koloniale Vergangenheit Kölns und ihrer Überreste im öffentlichen Stadtbild scheint es aber noch ein weiter Weg zu sein.
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