Was heißt es, sich auf Augenhöhe zu begegnen? Das Britney X Festival am Offenbachplatz stellte am Wochenende diese Frage mit einem facettenreichen Programm: Tanz und Theater, Gespräche und Vorträge – oft mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
„Ohne Humor sind wir verloren“, meint Susan Bagdach, Geschäftsführerin des interkulturellen Frauen- und Mädchengesundheitszentrums Holla e.V., zu ihrem Vortrag „Almania! Ich wünsche mir was“ am vergangenen Samstag. „Humor und Geduld. Das braucht man, um gegen Vorurteile zu bestehen.“
Zusammen mit Ryan Khiro und Roken Umalnur erzählte sie vom vermeintlichen Anderssein, von Vorurteilen und dem Empfinden von Kultur. Khiro und Umalnur kamen vor einigen Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland.
„Flüchtling“, dieses Wort, da sind sich die drei Frauen einig, grenzt aus. In der Schule noch Jahre nach der Ankunft in Deutschland als Paradebeispiel eines Menschen auf der Flucht herhalten zu müssen, wieder und wieder auf Hautfarbe, Akzent und Geburtsort reduziert zu werden, treibe den Keil stetig tiefer zwischen diejenigen, die „schon immer“ in Deutschland leben, und jene, die endlich ankommen wollen.
„Manchmal vergesse ich, dass ich aus Syrien komme“, so Khiro. Die Erinnerung an das alte Zuhause aber bleibt. Es hat einen Grund, dass Ryan Khiro und Roken Umalnur aus Syrien geflohen sind. Krieg und Unterdrückung durch eine patriarchale, frauenverachtende Regierung und selbst durch die eigene Familie – das hat jeder schon einmal gehört. Über den Zusammenhalt syrischer Frauen untereinander jedoch, wird geschwiegen.
Susan Bagdach erzählt von gelebter Körperlichkeit, einem offenem Umgang mit der eigenen Sexualität und Empowerment in syrischen Frauenkreisen, das sie in Deutschland vermisse. Integration sei einfach, hieß es, als Khiros Familie die Möglichkeit erhielt, nach Deutschland zu kommen: „‚Ihr müsst nur die Sprache lernen‘ – das klang zu gut um wahr zu sein.“ Sprache als Schlüssel zur Kommunikation im anfangs fremden Land sei unumstritten ein großer Schritt zum Dazugehören, es helfe aber nicht, wenn die Kommunikation, die Bemühungen einseitig blieben.
„Einsame Freiheit ist keine Freiheit für uns“, erklärt Bagdach. Der Vortrag schließt unter großem Applaus.
Freiheit, gerade Handlungsfreiheit, war auch das Thema von Gabriele Stöcker, Frauenärztin und seit zwölf Jahren Beraterin bei Pro Familia in Köln. „Mein Bauch gehört (übrigens immer noch) mir!“ – der Vortrag am Donnerstag behandelte das Thema Schwangerschaftsabbruch in Deutschland. Auf der Leinwand steht das Cover der Juni-Ausgabe des „Stern“ von 1971 mit seinem Banner „Wir haben abgetrieben!“ über den Gesichtern prominenter Frauen der Zeit. Siebenundvierzig Jahre später scheint der Ausspruch noch immer ein Tabubruch. Es habe sich eben nicht viel geändert: „Damals wie heute“, so Stöcker, „ging es nie um Abtreibung selbst, sondern um die Frage ‚Wer kontrolliert die Frau?‘“
Patriarchale Muster von Staat und Kirche trügen ihren Anteil daran, dass eine Entscheidung, die allein bei den betroffenen Frauen liegen sollte, auf politischer Ebene debattiert würde. Was gerade vielen jüngeren Frauen nicht bewusst sei: Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland eine geduldete Straftat.
„Es gibt in Deutschland nicht das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch“, erklärt Stöcker, „dabei sollte jede Frau das Recht haben zu entscheiden, wann sie Kinder bekommt, wie viele Kinder sie bekommt und ob sie Kinder bekommt.“
Einen ärztlichen Schwangerschaftsabbruch zu erschweren und zu kriminalisieren, bedeute dabei nicht nur Unterdrückung, sondern auch eine erhöhte Sterberate von Frauen, die ungewollt schwanger sind. Es müsse mit Vorurteilen aufgeräumt werden, dass Abtreibungen nur von ungebildeten Teenagern und sozial schwachen Frauen in Anspruch genommen würden und vor allem, dass Frauen einer Abtreibung jemals leichtfertig gegenüberstünden.
Derzeit wird §219A des StGB von der Regierung neu verhandelt – es ist der Paragraph zum Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Bis zum Herbst dieses Jahres bleibt abzuwarten, ob und in wiefern es zu einer Reform kommt.
„Es geht um Freiheit“, so Charlotte Sprenger und Matthias Köhler, Kuratoren des Festivals zur Eröffnung am Donnerstag. „Es geht darum, einen nicht unbedingt harmonischen, aber angstfreien Raum zu schaffen.“
Und gemeint war dabei nicht nur das Festival. Britney X gab den Anstoß und sagte mit seinem Programm klar und deutlich: „Wir müssen reden!“
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