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Wyrwoll (Mod.), Langevoort (Philharmonie), Übersetzerin, Dutta (Akademie), Dziewior (Museum), Meyer (Oper) und Bachmann (Schauspiel)
Foto: Robert Cherkowski

Eine Stadt von Welt?

23. März 2018

Diskussion zu „Kultur in der Stadt“ mit den Spartenchefs – Spezial 03/18

Sehen und gesehen werden. Die Neugier auf den ersten öffentlichen Auftritt von Madhusree Dutta, der neuen künstlerischen Leiterin der Akadamie der Künste der Welt mag groß gewesen und zog gewiss einen Teil des Publikums an, das sich zur Podiumsdiskussion im Kinosaal des Museum Ludwig einfand. Wie mag sie ticken, die 1959 in Indien geborene Filmemacherin, Kuratorin und Autorin, die fortan kreative Töne in der Akademie angeben und die Nachfolge von Ekaterina Degot antreten wird? Welche Richtung mag sie anstreben und von welcher Linie weicht sie ab? Die Tatsache, dass sich neben ihr auch die IntendantInnen des Schauspiel Köln, der Oper, der Philharmonie sowie der Direktor des Museum Ludwig einfanden, war dem Zuschauerandrang zuträglich und füllte den Saal mit einem beflissenen Abonnentenpublikum fortgeschrittenen Alters, Künstlernaturen in exzentrischer Aufmachung und lokaler Prominenz, die ihr Interesse an der Kölner Kulturlandschaft demonstrieren wollten. Zwischen Louwrens Langevoort (Philharmonie), Yilmaz Dziewior (Museum Ludwig), Birgit Meyer (Oper) und Stefan Bachmann (Schauspiel-Köln) wirkte Dutta bald wie ein Zaungast der eigenen Veranstaltung. Moderatorin und Akademie-Gründungsmitglied Regina Wyrwoll führte durch einen Abend, der sich der Frage widmete, wie interkulturell die vermeintlich bunte Stadt ist, wenn es um ihr Kulturangebot geht.

Einer Idee des Schriftstellers Navid Kermani folgend vor 6 Jahren ins Leben gerufen, war es seither das erklärte Ziel der „Akadamie“, das bestehende Kulturangebot der Stadt mit internationalen und interkulturellen Vernetzungen und Projekten zu ergänzen und Kooperationen mit bestehenden Institutionen einzugehen. Wie international kann und wie international darf die Kölner Kulturszene werden, ohne eigene Identität einzubüßen, und ist das Publikum bereit, mitzuziehen?

Logisch, dass die Frage, wie die Welt die deutsche Kulturlandschaft wird bereichern können, zur Frage führen wird, was deutsch ist, was Kultur ist und was deutsche Kultur ist. Speziell Schauspiel-Intendant Bachmann konnte ein Lied davon singen. Seit fünf Jahren im Mülheimer Exil gestrandet, hat er gelernt, die vermeintliche Fremde zu schätzen: „Ich habe das Gefühl, dass sich unser Publikum durch den Standpunkt in Mülheim ein wenig mehr durchmischt hat. Sicher ist das Stammpublikum noch immer weiblich und zirka Mitte 50, aber ich glaube, dass wir durch die Interimsspielstätte auch neue Besucherschichten gewinnen konnten.“ So betont er, dass es nicht zuletzt die Pflicht eines Theaters sei, sich an seine Umgebung anzupassen, die Fühler zu spreizen und Inspirationen dort anzunehmen, wo man sie findet: „Natürlich hätte ich mit Sitz in der Innenstadt ein anderes Programm gemacht, aber dort wäre vielleicht auch nicht so ein Stück wie ‚Die Lücke‘ entstanden, das sich mit dem Nagelbombenanschlag in der Keupstraße auseinandersetzt und das nicht nur bei der türkischen Community vor Ort auf Resonanz gestoßen ist, sondern auch über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen wurde.“

Wenn es darum geht, den Saal zu füllen, weiß Bachmann dennoch, dass nichts über deutsche Hausmannskost geht: „Dann macht man halt Schiller. Schiller geht immer. Mittlerweile geht Brecht genauso gut. Wenn man Schiller oder Brecht nimmt, weiß man, dass das ausverkaufte Säle mit sich bringt. Neben Stammpublikum ziehen die Klassiker eben auch Schulklassen an. Das füllt Sitzreihen.“ Dass es sich gerade bei Schulklassen nicht unbedingt um die freiwilligsten Besucher handelt, weiß er selbst: „Das ist für viele der Schüler vielleicht der einzige Theaterbesuch im Leben.“

Auch Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig, muss eingestehen, dass städtische Kulturinstitutionen vielleicht doch nicht immer die besten Indikatoren für die gelebte Interkulturalität sind. So selbstverständlich die Ausstellungen thematisch alle Kontinente abdecken oder sich immer wieder der ohnehin entgrenzten Pop Art widmen, bleibt das Publikum doch eher homogen: „Wenn ich mir die Besucher ansehe, dann muss ich ehrlich sein, dass ich nicht den Querschnitt der Bevölkerung sehe. Köln mag eine bunte Stadt mit einer großen türkischen Community sein, aber das nimmt man bei uns eher selten wahr.“

Der entscheidende Schritt, so Dziewior, sei nicht der, den der Besucher über die Schwelle ins Museum tut, sondern der, den das Museum auf die Gäste zu machen müsse, die sonst fernbliebe: „Wir können die Zuschauerschichten, die sich sonst nicht in Museen begeben würden, erreichen, doch es ist eben auch mit einem gewissen Aufwand verbunden, Führungen und ein Programm anzubieten, von dem sich eben auch türkische Besucher angesprochen fühlen. Leicht ist es nicht.“

Die Frage, wie viel der Stadt die Internationalität, von Lippenbekentnissen abgesehen, wirklich wert ist und welchen Aufwand man zu leisten bereit ist, steht im Raum, wird jedoch, des lieben Friedens willen, nur angekratzt. Auch eine Erwähnung der finanziellen Situation der Akademie nach den Kürzungen des Etats um 40 Prozent im vergangenen November bleibt an diesem Abend auffällig abwesend. Viel lieber kreiste die Runde weiter um den Begriff der Internationalität in der Kunst, der so unklar im Raum stand, dass ein jeder die Gelegenheit nutzte, eigene Schwerpunkte zu setzen.

Opernintendantin Meyer und Louwrens Langevoort von der Philharmonie merkten an, dass die globalisierte Kulturlandschaft unter den Konzert- und Opernbesuchern der Stadt auf keinerlei Widerstand gestoßen wäre, solange die aus aller Welt stammenden Musiker und Sänger ihre internationalen Fertigkeiten in den Dienst der Klassiker stellen würden. Die Kunst als solche, das merkte Langevoort an, habe ohnehin ihre ganz eigenen Wege, Nationengrenzen zu transzendieren und sich eine ganz eigene, neue Welt zusammenromantisieren. „Nehmen wir ‚Carmen‘, die Oper, als Beispiel. Da ist eine Geschichte über Irrungen und Wirrungen im spanischen Sevilla, die ein französischer Autor ersonnen hat und die von einem französischen Komponisten vertont wurde, die beide nie in Spanien waren und deren Werk trotzdem die Welt erobert hat. Dass Musik sich über solche Grenzen erhebt, war immer klar, und ich verstehe nicht, warum jetzt plötzlich mit solchen Diskussionen angefangen wird.“

Dutta hörte, stets mit einer Übersetzerin an ihrer Seite, den Ausführungen der sie umgebenden Intendantenschaft aufmerksam zu, lachte und nickte. Dennoch schien es mehrmals so, als wirkten die Kölner Befindlichkeiten und Balanceakte rund um Internationalität und Selbstbehauptung wie der etwas kleinliche Abglanz jener kulturellen Identitätskrisen, die sie in ihrer Heimat Indien auf sehr viel dramatischere Arten erlebt. „Widersprüche und kulturelle Konflikte gehören in meiner Heimatstadt Mumbai zum Alltag. Es ist eine Stadt der Tradition und des Wandels, eine postkoloniale und postindustrielle Stadt, eine Stadt voller Vibration und Innovation, voller Migration und Diversität und doch eine Stadt der fundamentalen, radikalen Politik. Es ist eine Stadt, die in tiefer Armut steckt und gleichzeitig von großer Opulenz und Pracht geprägt ist und auch die Heimat einer weltweit beliebten, opulenten Filmwirtschaft namens Bollywood.“

Dass Diskurse besonders dort erbittert geführt werden, wo die sozialen Schluchten klaffen, ist für sie nicht neu. So betonte sie, dass ihre Heimat noch immer mit den Spätfolgen kolonialer Fremdbestimmung zu kämpfen habe, gleichzeitig jedoch entscheidend und nicht ausschließlich zum Schlechten geprägt worden sei. Zwar liegen die Kolonialzeiten lang zurück, doch ist Englisch noch immer eine der 22 gültigen Amtssprachen, die den Alltag bestimmen. „Ich selbst spreche fünf dieser Sprachen. Man spricht eine Sprache zuhause. Man spricht eine Sprache in der Schule, in den Ämtern und auf der Straße mit den Menschen. Es ist auch keine Kunst, sie zu lernen. Es passiert ganz organisch aus sich heraus, um den Alltag zu meistern und am Leben teilzunehmen und niemand glaubt, dass seine eigene Sprache das einzig wahre Indisch ist. So groß das Trauma der Kolonialzeit auch ist, hat uns die Amtssprache Englisch, die seit dieser Zeit gängig ist, doch auch eine Öffnung nach Westen ermöglicht, die letztlich sehr wertvoll war.“

So bleibt Erstarrung in festgefahrenen Mustern die größte Gefahr für eine Kulturlandschaft im Zustand sich immer mehr beschleunigender tektonischer Verschiebung. Eine Einsicht, die ein jeder der Anwesenden auf der Bühne und im Publikum schnell abzunicken bereit war. Wie weit der gute Vorsatz trägt, wird sich zeigen, wenn viele der Gäste sich zur nächsten ausverkauften Schiller-Vorstellung in Mülheim wiedersehen.

Robert Cherkowski

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