Bürokratie kann ordnen, aber auch Unüberschaubarkeit produzieren. Ein negatives Beispiel für die in Deutschland geschätzte wie gehasste „Herrschaft der Verwaltung“ schildert Ruždija Sejdović vom Kölner Verein Rom: „Vor nicht langer Zeit haben wir für eine Roma-Familie beim zuständigen Ausschuss eine Petition zum Bleiberecht gestellt. Das Gremium hat darauf positiv reagiert, doch am nächsten Tag wurden die Leute von der Polizei abgeholt und nach Albanien abgeschoben. Wie soll man das nachvollziehen?“ Ohne die 1986 gegründete Initiative würde die Öffentlichkeit von derartigen Vorfällen nichts erfahren, glaubt das Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Vereins, der für die Menschen- und Bürger:innenrechte von Sinti und Roma eintritt. Sejdović floh im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen vor rund 30 Jahren aus Montenegro und weiß um die Irrwege eines Hilfesuchenden. In der Vereinigung fand der Buchautor ein Zufluchtsort, der neben Beratungen und Begleitungen in behördlichen Angelegenheiten Weiterbildungsmöglichkeiten bot und bietet. Auch dank seines Engagements entstand in den vergangenen Jahren ein Dokumentationszentrum über Sinti und Roma, das zu den größten in Europa gehört. Neben 3.000 Büchern verfügen die freizugängliche Bibliothek und das Archiv über mehr als 6.000 Grafiken und historische Fotos, die Geschichte sowie Kultur von Sinti und Roma beleuchten. Alphabetisierungs- und Deutschkurse, Nachhilfe für Schüler:innen, Freizeitaktivitäten und Workshops ergänzen die kostenlosen Angebote des Hauses.
Im Verein weiß man um die globale Tradition von Vorurteilen gegenüber Minderheiten. Chancengleichheit und Bürgerrechte für Sinti und Roma sucht man auf der Weltkarte scheinbar vergeblich. „In Deutschland gibt es neben dem sichtbaren auch einen strukturellen Rassismus, der nicht zu greifen ist“, sagt Mitgründerin Doris Schmitz. Trotz aller politischen Bemühungen gebe es in Köln regelmäßig Blockaden, wenn es um das Bleiberecht von Sinti und Roma gehe. „Aus den Ämtern nehmen wir nicht selten einen unsichtbaren Widerstand wahr“, berichtet Schmitz und verweist auf ein früheres Projekt des Jugendamts zur Integration von Kindern und Jugendlichen, das gleichzeitig vom Sozial- und Ausländeramt blockiert worden sei. „Plötzlich wurden die Geldmittel eingestampft“, erinnert sich die Ehrenamtlerin. „Wir haben immer mit den Menschen gekämpft, dass sie ihre Rechte hier durchsetzen können. Man hat das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Es macht mich wütend und erschöpft mich“, stellt die ehemalige Sozialarbeiterin das Image einer weltoffenen Metropole in Frage.
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