„Lohnt es sich eigentlich noch, trotz zunehmender Digitalisierung aufwendige Modelle des mittelalterlichen Kölns zu bauen?“, fragen sich die Mitarbeiter des Kölnischen Stadtmuseums. „Wie gewinnt man die Aufmerksamkeit der jungen Generation in Zeiten von Netflix und Co?“, fragt Chantal Eschenfelder, Direktorin des Frankfurter Städel Museums. Und „Wie können Kulturangebote geschaffen werden, die für Menschen vieler Kulturen interessant sind?“, fragt Soziologin Tunay Önder.
Gesellschaftlicher Wandel und Kulturnutzung gehen Hand in Hand – wie Kulturvermittlung in Zeiten von Digitalisierung, demografischem Wandel und Migration aussehen kann, diskutierte der Kölner Kulturrat Ende April unter dem Motto „KulturnutzerInnen von morgen“ mit 130 Akteuren aus Theorie und Praxis auf dem fünften Kulturpolitischen Symposium.
„Warum keiner kommt und wie man sie trotzdem gewinnen kann“
Um Antworten zu finden, müsse man die KulturnutzerInnen selbst fragen, meint Professor Tibor Kliment von der Rheinischen Fachhochschule, „sonst befinden wir uns in einer selbstreferentiellen Blase“. Gedacht, getan: Im Auftrag der Stadt Köln wurden in einer Studie über das Besucherpotential der freien, nicht kommerziellen Kulturszene – dem „unbekannten Riesen“ – 1000 repräsentativ ausgewählte Kölnerinnen und Kölner zu Ihrem Kulturkonsum befragt. Der provokanten Titel des Vortrags „Warum keiner kommt und wie man sie trotzdem gewinnen kann“ erwies sich dabei als nicht ganz wahrheitsgemäß: Die erstmals vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die freie Kulturszene in Köln etabliert und fast so gut besucht ist, wie die städtischen Bühnen – nur Altersschnitt und Bildungsniveau der Besucher sind höher. Gut die Hälfte der Kölner hat bereits mindestens einmal eine Kulturveranstaltung der freien Szene aufgesucht, für gut zwei Drittel ist diese unverzichtbar für Köln und für 40% sogar wichtiger als die städtischen Einrichtungen – für das Kölner Kulturamt tatsächlich eine Überraschung, wie dessen Leiterin Barbara Foerster zugibt.
Die Kulturnutzer hätten jedoch größtenteils einen „scheuklappenähnlichen Zugang“, so Kliment, die Vielfalt der Angebote werde kaum wahrgenommen und genutzt – die Hälfte der Theatergänger besuchten nur eine Spielstätte. 40% der Kölner wünschen sich, dass das Theater unterhaltsamer sei, für ein Drittel ist das Theater der freien Szene zu teuer.
Doch was folgt aus den Ergebnissen, die Einfluss auf den Kulturentwicklungsplan der Stadt haben sollen, wie die „Nicht-Besucher“ und die „Fast-Besucher“ gewinnen? Das Kulturmarketing müsse die freie Szene viel stärker im Blick haben, meint Kliment. Spielstätten könnten sich beispielsweise untereinander bewerben. Außerdem müssten der Unterhaltungsfaktor und die Bedürfnisse der Besucher in den Vordergrund gerückt werden: „Der Besucher möchte einfach Spaß haben.“
Eine Oper für Demenzkranke, ein interkulturelles Orchester und ein Café der Begegnung
Wie sich Kultur auf den gesellschaftlichen Wandel einstellen kann, zeigten „Best Cases“ – zukunftsweisende Projekte, die auf dem Symposium vorgestellt wurden. Viele der Programme fördern insbesondere die kulturelle und aktive Teilhabe zugewanderter, sozial schwächerer oder älterer Bürger – denn, meint Moderator Jörg Biesler, „syrische Flüchtlinge verstehen Theater dann, wenn sie selbst auf der Bühne stehen“. So kooperiert etwa das interkulturelle Landesjugendorchester NRW mit dem Verein „Zuflucht Kultur“, das Projekt „Oper für Jung und Alt“ der Oper Köln ermöglicht demenzkranken Menschen die Teilnahme an angepassten Vorstellungen und das Café Eden des Düsseldorfer Schauspielhauses schafft gemeinsam mit seinen Besuchern einen multikulturellen, offenen Ort für kulturelle Weiterbildung und Begegnungen „ohne Konsumzwang“.
Städel Museum als „Best Case“ in Sachen Digitalisierung
Auch die digitale Herausforderung betrifft alle Kultureinrichtungen: „Es ist nicht die Frage, ob wir für oder gegen Digitalisierung sind – die Digitalisierung ist einfach da“, so Chantal Eschenfelder vom Städel Museum in Frankfurt. Dabei stehen Kulturschaffende und Kulturvermittler gleichsam vor der Frage: wie die digitalen Möglichkeiten nutzen und das sinnliche Kulturerlebnis bewahren? So gehe es nicht darum, „das Museum durch virtuelle Räume zu ersetzen“, betont Eschenfelder, sondern um den Mehrwert, den digitale Angebote schaffen könnten.
Mit seinen zahlreichen Projekten nimmt das Städel Museum eine beeindruckende Vorreiterrolle ein, an dessen digitaler Strategie sich Kölner Museen ein Beispiel nehmen können und ausdrücklich auch sollen. E-Learning-Angebote zur Kunstgeschichte, eine eigene App, Digitorials mit spielerischen Möglichkeiten zur Vor- und Nachbereitung von Museumsbesuchen und eine interaktive digitale Sammlung sind nur einige der Angebote 2.0, die mit Fördergeldern und interdisziplinären Arbeitsgruppen verwirklicht wurden. So seien neue Zielgruppen, vor allem jüngere, gewonnen worden – „und sie kommen trotzdem noch ins Museum“, sagt Eschenfelder.
Das Theater als Forschungsfeld für Neue Medien
Kay Voges, freischaffender Regisseur und Intendant des Schauspiel Dortmunds setzt sich ebenfalls intensiv mit den Möglichkeiten der Digitalisierung auseinander und macht diese auch gleich selbst zum Gegenstand der kulturellen Auseinandersetzungen, denn, so ist er überzeugt: „Theater muss sich mit Gegenwart beschäftigen.“
Die Komplexität der Wirklichkeit werde durch Digitalisierung intensiviert, Theater könne diese „Tendenz zur Verkürzung der Wirklichkeit“ bewusst machen und dazu beitragen, als ein „neuer Evolutionsschritt mündig damit umgehen, was wir sehen und hören“. So muss sich in der preisgekrönten, medial unterstützten Inszenierung „Die Borderline Prozession“ der Zuschauer unweigerlich die Frage stellen: Inwieweit ist er selbst der Erzähler seiner eigenen Geschichte? In einem aufwendigen Projekt archivierte das Schauspiel Dortmund das Stück zudem als virtuelle, interaktive 3D-Animation. „Aber ist das noch Theater?“ fragt sich Voges, denn Theater sei immer auch ein kollektives Erlebnis.
Das Theater sei auch ein Forschungsfeld darüber, wie sich „Neue Medien und Kunst verstehen“. Da viele seiner langjährigen Mitarbeiter im digitalen Bereich wenig erfahren seien, kam er auf eine zukunftsträchtige Idee: Eine Akademie für Digitalität und Theater soll in Dortmund entstehen und das Fachpersonal der Zukunft technisch und künstlerisch ausbilden.
Stadt – Land – Kultur
Über die Frage, wie groß das kulturelle Gefälle zwischen Land und Stadt ist, waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde nicht einig: Während Rainer Land vom Kultur- und Sportamt im Rhein-Sieg-Kreis die Debatte um das Stadt-Land-Gefälle als Fiktion und Stigmatisierung bezeichnet, hält Professorin Susanne Hilger von der RheinEnergie Stiftung Kultur mit Fakten dagegen: So flössen noch immer nur 10% der Fördergelder in die ländlichen Regionen und für die freie Kulturszene fehle es auf dem Land schlicht an Klientel. Barbara Neundlinger von der Kulturpolitischen Gesellschaft ergänzt, dass „die Organisation des Lebens durch lange Wege auf dem Land“ eine ganz andere sei.
Muchtar Al Ghusain, Beigeordneter der Stadt Essen für Jugend, Bildung und Kultur, interessiert dagegen vielmehr das Nord-Süd-Gefälle in einer Stadt wie Essen selbst. Zudem kritisiert er die in seinen Augen zu zahlreichen Förderprogramme: Die kurzfristigen Förderungen weckten hohe Erwartungen und Legitimationsdruck und ließen die Institutionen am Ende doch allein, was vielfach zu Frust und Unsicherheit führe. Es müssten durch die Politik unterstützte langfristige Strukturen geschaffen werden.
Insgesamt vermittelte das Symposium jedoch ein vorsichtig positives Bild der derzeitigen Kultursszene. Diese zeigt sich an vielen Stellen offen für gesellschaftliche Veränderungen und setzt sich, mal mehr, mal weniger zaghaft, mit den Themen der KulturnutzerInnen von morgen auseinandersetzt – vor allem, aber nicht nur in der freien Szene. Das nächste kulturpolitische Symposium ist für 2020 geplant.
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