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Europa: eine Idee mit Symbolkraft
Foto: Jan Schliecker

„Das Europaparlament wird belagert von Lobbyisten“

05. Mai 2014

Sven Giegold klärt auf, was die Wählerstimmen bewirken können – Thema 05/14 Europa

choices: Herr Giegold, ist die Europäische Union solch eine militaristische und imperialistische Großmacht, wie manche LINKE beteuern?
Sven Giegold
: Das ist Unsinn. Die EU ist nicht militaristisch. Es gibt noch nicht einmal ein regelmäßiges Treffen der Verteidigungsminister. Natürlich vertritt die EU die Interessen einer reichen Weltregion. Bei der Frage der Nahrungsmittelsubventionen oder der Beschaffung von Rohstoffen spielt Europa eine kritikwürdige Rolle. Insgesamt aber hat die europäische Einigung Frieden auf unseren Kontinenten gebracht.

Die Grünen sind völlig proeuropäisch?
Natürlich, aber proeuropäisch sein heißt ja nicht unkritisch sein. Wir wenden uns gegen ein Europa der Lobbyisten und fordern ein soziales Europa. Es darf aber auch nicht die Zeit zurückgedreht werden. Es dürfen nicht mehr einzelne Nationalstaaten in Europa gegeneinander agieren. Es ist gut, dass wir uns von diesem Zustand wegentwickelt haben.

Sven Giegold
Foto: Presse
Sven Giegold (44) ist Mitbegründer von Attac-Deutschland und seit 2009 Mitglied im Europaparlament und nun einer von zwei Spitzenkandidaten der Grünen zur Europawahl.

Betreibt die Europäische Union eigentlich ökologische Politik?
Wenn Europa wirklich etwas erreicht hat, dann ist das eine starke Umweltpolitik. Zehn Prozent der Fläche der EU steht unter Naturschutz. Wir haben strenge Regeln gegen umweltschädliche Chemikalien. Natürlich möchten wir Grüne vor allem eine ehrgeizige EU-Klimapolitik und Energieunabhängigkeit durch Erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Die EU machte aber schon immer eine ökologischere Politik als die einzelnen Mitgliedsländer.

Also alles eitel Sonnenschein?
Nein, es wurde zum Beispiel durch die Hintertür versucht, die Kommunen zu zwingen, Ausschreibungsverfahren zur Trinkwasserversorgung durchzuführen. Diese Initiative der EU-Kommission, die privaten Anbietern den Markt hierzulande geöffnet hätte, haben wir Grünen abgelehnt und wurde dann durch eine europaweite Bürgerinitiative verhindert. Das hat gezeigt, dass Demokratie in Europa funktioniert. Wenn Bürger grenzüberschreitend protestieren, reagieren die europäischen Institutionen.

Bezüglich Gentechnik hat die EU aber auch kein grünes Profil gezeigt.
Es ging kürzlich darum, dass europaweit der Anbau von einer neuen Monsanto-Genmais-Sorte verhindert wird. Die Mehrheit der Mitgliedsländer war dafür. Es lag an der Großen Koalition, die ein solches Verbot verhindert hat.

Auch bei der europaweiten Schadstoffbegrenzung bei Autos hatte die Bundesregierung keine Vorreiterrolle?
Im Gegenteil, die Bundesregierung hat die Regelungen verwässert, so dass wirklich schadstoffarme Autos erst viel später auf den Markt kommen werden. Sie hört eher auf die Lobbyisten von Luxusautos als auf die Umweltverbände.

Aber bezüglich des Atomausstiegs ist Berlin doch vorbildlich?
Die Bundesregierung handelt hier doppelzüngig. Auf der einen Seite gibt es den Atomausstieg. Auf der anderen Seite lässt Frau Merkel durch ihren Energiekommissar Oettinger den Atomausstieg ausbremsen. Er behindert außerdem systematisch den Ausbau der Erneuerbaren Energien und verschleppt so die Energiewende. Oettinger will sogar noch eine Amtszeit. Wir sagen: Bloß nicht.

Andere Länder in der EU steigen aber nicht aus der Atomenergie aus?
Das ist richtig. Weltweit aber ist die Atomenergie auf dem Rückzug. Sie ist nicht wirtschaftlich. Im Europaparlament ist die grüne Fraktion übrigens die einzige, die geschlossen für den Atomausstieg ist. Selbst die linke Fraktion ist gespalten. Es gibt tschechische Atomfetischisten, die meinen, dass Atomenergie sicher ist, sobald der Kapitalismus überwunden ist. Ziemlich verstrahlt.

Wer hat eigentlich mehr Macht in Europa, das Europaparlament oder die Bundeskanzlerin?
Das kommt darauf an. Bei der Euro-Krise wurde viel in Hinterzimmern verhandelt. Die Rettungsprogramme mit den strengen Auflagen, die zu großen sozialen Ungerechtigkeiten führten, wurden von Merkel und Schäuble durchgesetzt. Ich bin mir sicher, dass diese Programme im Europaparlament keine Mehrheit gehabt hätten. Bei der Gesetzgebung ist das Europaparlament aber sehr einflussreich.

Ich sollte also am 25. Mai zur Wahl gehen?
Selbstverständlich! Das Europaparlament wird belagert von Lobbyisten, die wissen, dass es sich lohnt, hier Einfluss zu nehmen. Viele Bürgerinnen und Bürger hingegen denken, dass ihre Stimme nichts bewirkt. Einige Fraktionen sind bezüglich der Lobbyisten sehr empfänglich, andere wiederum orientieren sich viel mehr am Gemeinwohl. Hier können die Wählerinnen und Wähler entscheiden, wer im Europaparlament das Sagen hat. Das Europaparlament hat durchaus Macht, die meisten Bürgerinnen und Bürger haben es nur noch nicht gemerkt.

Es wird aber auch eine große Anzahl an Europaparlamentarier geben, die die Europäische Einigung gar nicht wollen.
Ja, das finde ich absurd. Diese Leute lassen sich alimentieren auf Kosten des europäischen Steuerzahlers und wollen gleichzeitig das Projekt zerstören. Gerade wir Deutschen sollten es besser wissen. Immer, wenn wir unsere Politik nur an nationalen Interessen ausrichteten, ist das gründlich in die Hose gegangen.

Die AfD feiert Erfolge. Hat die etablierte Politik, inklusive der Grünen, versagt?
Bisher feiert die AfD nur in den Umfragen Erfolge. Wenn das europäische Projekt so stark in Misskredit gerät, dass sich europafeindliche Parteien gründen und Erfolge haben, müssen sich alle fragen, was sie falsch gemacht haben. Eines muss uns klar sein: Europa ist immer ein Kompromiss. Früher haben wir unsere Konflikte in Kriegen ausgetragen. Nun müssen wir Regelungen ertragen, die uns nicht immer als optimal erscheinen.

Steht die gemeinsame Währung eigentlich zur Disposition?
Gefährdet ist der Euro schon, wenn rechte und auch linke Populisten weiter an Einfluss gewinnen. Die CSU macht Peter Gauweiler zum stellvertretenden Parteivorsitzenden und lässt ihn seine ganze antieuropäische Renitenz auf höchster Ebene vortragen. Wenn einstige Proeuropäer der AfD hinterherlaufen, kann dies für Europa sehr gefährlich werden.

Kann man den Menschen nicht auch das Positive von Europa vermitteln?
Die europäische Idee ist doch ganz lebendig und längst Realität. Die europäische Jugend studiert, arbeitet, lebt und liebt doch schon längst nicht mehr nur im jeweiligen Heimatland. Europas Zusammenwachsen findet doch statt.

Interview: Lutz Debus

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