„Facebook – like mich am A...“ prangt groß über der Facebook-Präsenz der Kölner attac-Gruppe. Die „Datenkrake“ steht im Verein unter scharfer Kritik, an diesem Abend jedoch sorgt sie (und das Thema des Abends) für eine ungewöhnlich große Menschenmenge im Allerweltshaus. Die schon mal Kohlebagger besetzenden Aktivisten luden zu einer Vorlesung über „Kunst und Politik“, teilten das bei Facebook mit, und über 2000 Menschen klickten sich „interessiert“. Wer das Allerweltshaus in Ehrenfeld kennt, wird allerdings stutzig. Und auch attac haben reagiert und flugs einen weiteren Termin eingerichtet, der vermutlich an der Universität in größeren Räumen stattfinden wird.
Dem Facebook-Erfolg verdankt die Veranstaltung dann auch alle ihre Besucher – bis auf drei, wenn man den Handzeichen glauben mag. Sie erwartet zunächst ein kurzer Film über eine attac-Aktion, bei der kürzlich der „Neoliberalismus ins Museum“ gebracht wurde, symbolisch als Performance, weil für die geplante Ausstellung gleichen Namens kein Museum seine Räume zur Verfügung stellte. Ein Beispiel für die Mischform aus Kunst und Politik, in diesem Fall die Kunst als Ausdrucksform einer Gruppe politisch Aktiver, frei nach Beuys‘ Motto „Jeder Mensch ist ein Künstler“.
Die Vortragende Laura Held leitet die Bibliothek der Bundeskunsthalle in Bonn, wo sie auch mit dem Thema in Berührung kommt. „Ich sehe, dass Kataloge und Ausstellungen voll sind von politisch auch radikalen Aussagen, aber dass die ohne Auswirkungen bleiben.“
In ihrem Vortrag stellt sie politisch wirkende Kunst vor. Anhand kurzer Beispiele jagt man durch die Zeit, beginnend in der Avantgarde mit dem Futurismus, über symbolträchtige Wandbilder der mexikanischen Revolution unter anderem von Diego Rivera, zum Dadaismus mit zeitgenössischen Berichten von Ausstellungen in Köln und Berlin – inklusive deren Schließung durch die Polizei.
Die Beispiele sind sehr kurz vorgestellt, teilweise sortiert nach einzelnen Strömungen, teilweise örtlich (z.B. Kunst in Lateinamerika) oder thematisch, wie der Feminismus in der Kunst. Das Ganze bietet höchstens Anregungen zum weiteren Informieren und einen ganz groben Überblick darüber, was es schon mal gegeben hat – ohne dabei eine weitere Bewertung oder Klassifizierung vorzunehmen. Dabei kommen einem doch ganz aktuelle Verbindungen in den Sinn, etwa wenn die Neue Slowenische Kunst sich gegen die Diktatur wendete und ab 1992 einen eigenen Staat ausrief, Papiere ausstellte und Geld druckte. Gleiche Aktionen also, mit denen heute sogenannte „Reichsbürger“ die Nachrichten beherrschen. Irgendwie zu vergleichen? Zur Sprache kommt das an diesem Abend nicht, zu wenig Zeit scheint für die Beispiele zu sein. Und auch bei den Formen der ganz aktuellen (politischen) Kunst reicht es hier nur zu einer Aufzählung der möglichen Aktionen, von Stillstehen über „spect acting“ zu öffentlich inszenierten Gerichtsverfahren.
Die Möglichkeit für Fragen und Anmerkungen wird danach rege genutzt. Auf die Frage, ob Kunst heute noch Revolutionen hervorrufen könne oder doch nur die erreiche, die sich sowieso für Politik interessierten, bringt Laura Held den Markt ins Spiel: „Es gibt sehr viele Künstler, die mit provokanten Thesen sehr viel Geld verdienen“, so Laura Held. Der Kunstmarkt fahre sehr darauf ab, dass radikale Thesen gezeigt werden, die dann aber in diesem Umfeld der Kunst bleiben. „Der offizielle Kunstbetrieb ist voll mit politischen Botschaften, doch viele von den Besuchern, die ins Museum gehen, und auch die Sammler, sind überhaupt nicht politisch aktiv.“ Die Wirkung der Kunst könnte also auch einen gegenteiligen Effekt der Katharsis haben und eben keine Revolutionen starten.
Auf der anderen Seite fragen sich die Aktiven der attac-Gruppe, wie sie weiterhin Kunst nutzen können, um Menschen im öffentlichen Raum aufmerksam zu machen auf Missstände und Möglichkeiten des Engagements. Gar nicht so einfach, erzählt eine Besucherin, da die Flächen eigentlich voll seien mit Werbung – oder im Privatbesitz. Die großen Street Arts haben durch „City Leaks“ auch in Köln politische Statements gut sichtbar gemacht. Doch die errungene Aufmerksamkeit wird durch neue Werbeformen wieder abgegriffen, die eben solche Kunstwerke imitieren.
Ein aktiver Ausweg heißt Ad-Busting. Das kreative Verändern bestehender Plakate und Werbesprüche wird von attac bald in einem Workshop ausprobiert. Wer mitmachen will (Anmeldung unter koeln@attac.de), kann kreativ mit Farbe und Schere umgehen, in der Gruppe den öffentlichen Raum zurück erobern und dabei Spaß haben – kleine Grenzüberschreitungen inklusive.
Info: Wiederholung des Vortrags am Mi 9.11. an der Universität. Der Raum steht
noch nicht fest.
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