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Foto: Maxi Braun

„TTIP ist die Büchse der Pandora“

25. September 2014

Boris Loheide (attac) zu den dramatischen Dimensionen des EU/USA-Handels- und Investitionsschutzabkommens (TTIP) – global, wie lokal – Thema 10/14 Freier Handel

choices: TTIP soll bis zu 180.000 neue Jobs bringen, neue Wachstumsimpulse setzen, zu Lohnsteigerungen führen. Was hat attac gegen Wirtschaftswachstum?
Boris Loheide:
Wir haben tatsächlich was gegen die absolute Notwendigkeit von Wachstum in einer Gesellschaft, die nahezu ausgewachsen ist. Das gilt für Europa ebenso, wie für die USA. Unsere Kritik setzt schon beim Begriff „Wirtschaftswachstum“ an, der kein Wachstum von Lebensqualität bedeutet. Ein billiges T-Shirt, das ich nach zweimal Waschen wegschmeiße, weil es danach scheiße aussieht oder nicht mehr sitzt, führt zu Wirtschaftswachstum. Produktion, Einzelhandel, Müllabfuhr. Aber: Der Baumwollanbau war unökologisch, und die Leute, die sie gepflückt haben, sind wahrscheinlich unterbezahlt. Das alles ist Wachstum, kostet Ressourcen und Arbeit, bringt aber niemandem was.

Boris Loheide
Foto: Bernhard Krebs
Boris Loheide (39) ist promovierter Volkswirt, Kölner Kontaktperson von attac und Unterstützer des internationalen und dezentralen Aktionstages gegen TTIP am 11. Oktober.

Kommen wir konkret auf TTIP zu sprechen: Was ist daran so schrecklich?
TTIP ist zuvorderst ein massiver Demokratieabbau. Es wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Bei 80 bis 90 Prozent der Verhandlungen sind Wirtschaftslobbyisten als Berater dabei. Gewerkschafter dürfen vielleicht in einem von zehn Fällen teilnehmen. Umweltaktivisten sind noch seltener beteiligt …


es handelt sich immerhin um ein Handelsabkommen…
… aber Handel braucht Input: Also Arbeiter, die die Produkte erarbeiten, die die Umwelt jetzt oder später als Müll aufnehmen muss. Das nicht zu beachten, wie das ifo-Institut, ist ideologisch und undiskutabel.

In der öffentlichen Diskussion ist auch immer wieder zu hören, der Rechtsstaat werde durch TTIP ausgehöhlt.
Kommt TTIP, werden Konzerne Staaten verklagen können, wenn ihre potenziellen Gewinne bedroht sind. Vattenfall verklagt derzeit die Bundesregierung wegen des Atomausstiegs. Wegen eines Politikwechsels, den rund 80 Prozent der Bevölkerung richtig finden, soll der Steuerzahler jetzt mehrere Milliarden Euro zahlen? Vattenfalls Argumentation geht ungefähr so: Wenn ihr nicht demokratisch gehandelt hättet, hätten wir noch ein paar Jahre lang mit unseren Meilern Millionen verdienen können. Beim Investorenschutz geht es um das Wegklagen von demokratisch verfassten Gesetzen. Darum beschreiten sie ja auch ungern den normalen Klageweg: Da träfen sie erstens auf unabhängige Richter und zweitens kostet ein ordentliches Verfahren dem Unternehmen Zeit. Schiedsgerichte sind da beliebter.

Ist doch denkbar, dass deshalb wichtige Investitionen nicht getätigt werden. Ein Unternehmer wird entgegnen: Zeit ist Geld.
In diesem Fall Steuergeld, also unser Geld. In einem Investor-Schiedsverfahren verliert meist der Staat. Entweder durch einen Vergleich oder weil er verurteilt wird auf Schadensersatz. Und eine Einspruchsmöglichkeit gibt es nicht.

Wie muss man sich das vorstellen?
Da sitzen dann drei Anwälte und spielen sich die Bälle zu und am Ende zahlt, wie gesagt, eigentlich immer der Staat. Die Anwälte selbst haben natürlich Interesse an möglichst vielen Verfahren – die verdienen ja dran.

Kommen wir vom Globalen aufs Lokale …
… sind wir schon längst, genaugenommen im Rheinauhafen. Da sitzt die Vertretung einer Kanzlei. Die sind auf solche Investorenklagen spezialisiert. Das ist eine der wenigen Kanzleien, die durch einen Vertragstext wie dem von TTIP überhaupt noch durchsteigen. Im Gegensatz zu den Parlamentariern, die drüber abstimmen sollen.

Im Rheinauhafen gibt es also potenzielle Profiteure von TTIP. Wie sieht es mit der Kommune als Ganzes aus?
Die profitiert nicht – im Gegenteil. Mit TTIP würde zum Beispiel jede Form der Rekommunalisierung illegal. Was die Berliner in einem Bürgerbegehren durchgesetzt haben, dass der Wasserbetrieb wieder der Kommune gehört, wäre verboten. Nach TTIP könnte man einem privaten Müllentsorger nicht mehr sagen: So, ihr hattet jetzt zehn Jahre unsere Müllentsorgung, habt aber nur die Preise erhöht, gleichzeitig die Arbeitsbedingungen verschlechtert, und die Mülltonnen holt ihr auch nicht ordentlich ab, und darum wollen wir das wieder in unsere Hand nehmen. Die Stadt könnte den privaten Anbieter wechseln. Nur der würde es nicht besser machen, als der erste. Müllabfuhr kann man beliebig durch Wasserversorgung, Wohnungsbau, ÖPNV, Bildung, Gesundheit und so weiter ersetzen. TTIP ist die Büchse der Pandora – einmal geöffnet ist die kommunale Selbstbestimmung futsch.

Was bliebe dann?
(lacht) Nur eine Revolution.

Wie reagiert die Stadt Köln auf diese dramatische Situation?
Wie die meisten Kommunen mit der Vogel-Strauß-Methode.

Die kommunale Selbstbestimmung steht auf dem Spiel und keinen interessiert es?
Es gibt eine Gegenbewegung, und die wird immer stärker. Die orientiert sich an der französischen Initiative „10.000 TTIP-freie Kommunen“. Die Stadt Erkelenz im Kreis Heinsberg zum Beispiel hat es vorgemacht. Erkelenz ist eine TTIP-freie Kommune. Erkelenz lehnt als Stadt das Abkommen ab. Dasselbe würden wir uns auch für Köln wünschen und wollen den Stadtrat dazu bringen Köln ebenfalls zur TTIP-freien Stadt zu machen.

Das ist eine der Forderungen am 11. Oktober, dem internationalen Aktionstag gegen TTIP?
Ja, das ist eine unserer Kernforderungen. Hier und in vielen weiteren Städten. Die Menschen wollen Essen ohne Gentechnik, gezähmte Finanzmärkte, kein Fracking, kulturelle Vielfalt, ordentliche Löhne, Datenschutz und eine Politik, die die Wirtschaft regelt? Dann wollen sie Handelshemmnisse. Darum auch unser Aufruf: Sei ein „Handelshemmnis“!

INTERVIEW: BERNHARD KREBS

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