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Zeitzeuge Bruno – fragt ihn alles
Foto: © Köln spricht

Sprechplattform des Friedens

12. Januar 2017

„Köln spricht“ macht das YUCA zum Wohnzimmer der Demokratie – Spezial 01/17

Die Bahn rattert über dem YUCA wie sie es immer tut. Doch wo Menschen normalerweise ausgelassen feiern, wurde am 8. Januar wiederholt die Demokratie verteidigt, debattiert, Shakespeare rezitiert, über Bananenernte und ihre Entwicklung gesprochen, konstruktive Politik definiert, Musik gehört und – am Wichtigsten – toleriert. Die Stimmung ist ausgelassen und entspannt, es gibt kostenloses Essen, der Raum ist mit Plakaten mit optimistischen Lebensweisheiten und Lichterketten geschmückt, die Zuschauer sitzen auf Sofas, Bierbänken oder direkt auf der Bühne, die Redner richten sich auf gemütlichen Ohrensesseln ein. Im Rahmen von „Köln spricht“, dem demokratischen Speakers‘ Corner (sprich Redner-Ecke) Kölns, wird schon seit Sommer möglichst jeden Monat eine Plattform für die geschaffen, die oft eine kluge Meinung, aber keine laute Stimme in der Öffentlichkeit haben.

„Wir lassen jetzt die Filterblasen platzen“


Nur zuhören oder auch selbst was sagen?, Foto: © Köln spricht

Im Raum herrschen Toleranz, Aussprache, Frieden und Interaktion. Nicht nur spannende Stimmen gibt es hier: Glücklicherweise gibt es auch mit mehreren hundert Leuten, die sich ins Yuca gedrängt haben, genügend Ohren. Die ehrenamtlichen Veranstalter haben ein buntes Programm aus Reden, Fragerunden, Poetry Slam, Jahresvorausblicken, Vorstellungen von Aktivistengruppen und Musik aufgestellt. Mikrofone wandern durch die Zuschauerreihen, damit Fragen, Zweifel und kontroverse Meinungen direkt geäußert und besprochen werden können. Redner werden mit lautem Klatschen begrüßt, verabschiedet und ermutigt. Auf den Ausruf eines Kriegsüberlebenden: „Kämpft um Europa. Europa brauchen wir, um den Frieden zu erhalten“, gibt es einen rauschenden Applaus.

„Ursache, Ziel, Inhalt und Appell meines Vortrags ist Frieden“

Das Programm ist in drei Blöcke unterteilt, sodass immer wieder Zeit für spontane Erörterungen oder auch einfach mal eine Pause zum Durchatmen bleibt. Mantragesänge für den Frieden gibt es mit Gereon, der für ganzheitliche Bildung als Königsweg zum Frieden appelliert. Der Jugendarbeiter, Buddhist und psychologische Coach zieht in einem sehr intensiven Monolog viele Parallelen zwischen verschiedenen Wissenschaften, Religionen und Philosophien und stellt die These auf, dass Dummheit sich durch die Feigheit, unser individuelles Potenzial zu bedienen, definiert. Diese Dummheit halte uns vom universellen Frieden ab. Er fordert das Publikum auf, mit ihm über Lösungsansätze nachzudenken. „Der Mensch ist nicht nur mit Wissen und Weisheit begabt. Er ist mit Liebe begabt.“ Gereon möchte der Menschheit durch diese Erkenntnisse helfen, selbstbestimmter, autarker und ganzheitlicher zu werden und erntet durch seine dynamischen Worte viel positives Feedback.

Später folgt eine Journalistendebatte mit zwei Berufstätigen von der Deutschen Welle und dem WDR, welche mit dem Publikum diskutieren, wie man 2017 den „unbeliebtesten Job der Welt“ verbessern könne. Begriffe wie Aleppo, der Putschversuch in der Türkei, Populismus im Zusammenhang mit den Medien im Jahre 2016 fallen. Es folgt eine harte Kritik zu den Berichten zum Ukrainekonflikt; ein lebendiger, dennoch immer respektvoller Schlagabtausch entsteht. Man versucht, die Angst der gegenwärtigen Gesellschaft zu erklären und Ideen für die Auflösung dieser Ängste zu finden.

Viel Gesellschafts- und Politikkritik wird geäußert – aber auch konstruktive Ideen und Vorschläge, wie man die angeprangerten Missstände ändern könne, sowie ein großer Batzen Selbstironie der angeblich „linksgrünversifften Gutmenschen“, wie einige Sprecher sich bezeichnen.

„Rock’n’Roll, meine Freunde!“


Frau Winzig singt im YUCA, Foto: © Köln spricht

Auch musikalisch gibt es ein großes Programm: Zunächst bezaubert die Singer-Songwriterin Frau Winzig mit Gitarre und Songs aus ihrem Leben, später heizt das Hip-Hop-Duo Magerquark mit ironisch-politischen Texten die Bude ein. Das Duo lernte bei einem vorherigen Festival der Demokratie die Veranstalter kennen und erklärte sich sofort bereit, auf den nächsten zu spielen. „Ein echter Köln-spricht-Moment“, meint der Moderator.

Demokratie trägt Karohemd, Hornbrille und Bowler-Hut

Die Zuschauer debattieren durch die offene Interaktion zwischen Redner und Publikum fleißig mit, rezitieren Kant, Brecht, Humboldt, wobei die meisten nicht mal 25 Jahre alt sind. Ist das der Weg? Der Weg, die Generationen Y und Z zu politisieren und aktionisieren? Wenn ja, dann hat die Handvoll an Ehrenamtlichen, welche „Köln spricht“ organisieren, etwas Großes geleistet, denn das Yuca ist zwischenzeitlich so voll, dass es einen Einlassstopp gibt.

Dabei hat die Gruppe bereits weitere „wilde Pläne“, wie Moderator Fabio Luca sie bezeichnet: Sie möchten mit dem Format weitere Stadtteile Kölns erobern und irgendwann auch mal ganz Deutschland. Einen Schritt haben sie bereits getan und haben im Herbst „Düsseldorf spricht“ gestartet.

Alle Reden des Tages werden später auf Facebook gestellt, um weiter vernetzt zu diskutieren. Zurzeit wird noch nach einem Termin für ein Wohnzimmer der Demokratie im Februar gesucht, damit wieder Raum für offene Diskussion geschaffen werden kann. Im Sommer verwandelt sich das Wohnzimmer wieder zum Outdoor-Festival und wandert nach draußen.

Info: www.facebook.com/koelnspricht

Alena Struzh

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