Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.585 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Wohin soll’s denn gehen?
Foto-Montage: Alexander Schneider

Der Mittelfinger der Linken

30. März 2017

DiEM25 von Yanis Varoufakis ist ein linkes und europäisches Projekt – THEMA 04/17 ZUKUNFT JETZT

Europa rückt nach rechts. Und die Linke, die schaut zu? Dem Eindruck kann man sich derzeit nicht ganz erwehren. Die öffentlichen und politischen Diskurse werden gegenwärtig ganz klar von einer nationalistischen Agenda in den Ländern Europas dominiert. In den Niederlanden trieb der Rechtsaußen Geert Wilders die Parteien der Mitte bis zur Wahl vor sich her und Marine Le Pen schickt sich an französische Staatspräsidentin zu werden – im Falle eines Wahlsiegs kündigte sie bereits an, Frankreich aus der EU zu führen. Und in Deutschland hofft die AfD auf einer möglichen Bugwelle aus Wahlsiegen ihrer rechten Verbündeten in Europa gestärkt bis zur Bundestagswahl im September zu surfen. Die Ideen von Freihandel, Freizügigkeit und Humanität stehen, nüchtern betrachtet, gerade nicht hoch im Kurs.


Aber schaut die Linke tatsächlich nur zu? Die niederschmetternde Antwort lautet: Bis auf wenige Ausnahmen, ja. Auch, weil nicht wenige selbst eine Anti-EU-Agenda verfolgen. Statt Konzepte zu entwickeln, wie die EU demokratischer und sozialer gestaltet werden könnte, tun sie es den Rechten gleich und reden nicht selten einer Nationalisierung von Wirtschaft und Sozialem das Wort. Eine erfrischende Ausnahme bildet derzeit das Bündnis DiEM25 (Democracy in Europe Movement 2025), das der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis im Februar 2016 öffentlichkeitswirksam in der Berliner Volksbühne ins Leben gerufen hat. Das bei dieser Gelegenheit vorgestellte Manifest trägt im Titel eine düstere aber dennoch mögliche Prognose: „Europa wird demokratisiert oder es wird zerfallen“.

Mit seiner Aktion erntete Varoufakis neben Lob aber auch viel Spott – und das vor allem von links. Ein gut eingeübter linker Reflex bekrittelte, dass hier eine Basisbewegung von oben herab ins Leben gerufen werden soll. Die, die das kritisierten, waren aber vor allem diejenigen, die es in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschafft hatten, die zweifelsfrei positiven Aspekte der europäischen Integration links zu interpretieren und eine progressive Meinungsführerschaft zu etablieren.

Nüchtern betrachtet mangelte es einer europäischen Linken in den vergangenen dreißig, vierzig Jahren an einer oder mehreren populären Gestalt(en), die einerseits die neoliberale Deformation der EU glaubhaft angegriffen hätte, ohne die Idee eines sozialen, menschlichen, solidarischen Europas zu verraten. Während Rechte, Konservative, Liberale, Grüne und Sozialdemokraten immer wieder prominent im öffentlichen Diskurs auftauchten und für ihre jeweilige Agenda trommelten, herrschte auf der Linken gähnende Leere.

Varoufakis versucht nun mit DiEM25 in dieses Vakuum vorzudringen, wobei die Kritik am Gründungsakt von DiEM25 nicht verfängt. Varoufakis ist nicht angetreten eine neue Kader-Partei leninistischen Typs zu gründen, nein, er nutzt lediglich seine Popularität, die er sich unter anderem mit dem Mittelfinger gegen Deutschlands Austeritätspolitik redlich verdient hat. Letztlich ist eine hybride Organisation im linken Spektrum im Entstehen begriffen. Auf der einen Seite gibt es wichtige aktivistische Momente innerhalb der Basis, die aber mit Aspekten eines Think-Tanks kombiniert werden. Dabei bringen sich Intellektuelle und Einzelpersonen ein, von denen einige nur ihren Namen zur Verfügung stellen und so für Reichweite und Prominenz sorgen, andere hingegen arbeiten konkret politisch. Und das scheint zu ziehen: Mittlerweile haben sich europaweit 70 Basisgruppen gegründet, 40 weitere sind im Entstehen begriffen. 10 bis 100 Menschen sind pro Gruppe aktiv, wobei es in den Städten mehr Aktive gibt, als auf dem Land. Insgesamt hat DiEM25 mittlerweile über 31000 Mitglieder von denen alle stimmberechtigt, aber nicht alle in den Gruppen aktiv sind.

Konkret gearbeitet wird derzeit an sechs Themen: Transparenz der EU, Migration, ein „europäischer New Deal“, Arbeit, „grüne“ Investitionen und eine europäische Verfassung. In einem ausgeklügelten System werden Positionen zwischen den Gruppen und einem Expertenkomitee ausgetauscht und zusammengefügt. Dem Expertenkomitee gehören Fachleute wie der Wirtschaftswissenschaftler James Galbraith an. Angelehnt an den New Deal Franklin Roosevelts aus den 1930er Jahren sollen alle Europäer in ihrem Heimatland das Recht auf einen angemessen bezahlten Arbeitsplatz, eine ausreichende Unterkunft, gute Gesundheitspflege und Ausbildung sowie auf eine saubere Umwelt haben. Dafür sorgen soll auch eine verfassungsgebende Versammlung für Europa in 2025.


Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

diem25.org | Democracy in Europe Movement 2025 strebt als linke, paneuropäische Bewegung die Demokratisierung der EU an
pulseofeurope.eu | Europaweite, in Frankfurt a. M. gegründete Bürgerinitiative, die immer sonntags um 14 Uhr in über 50 Städten für die europäische Idee, Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit demonstriert
critical-mass-cologne.de | Scheinbar zufällige und unorganisierte Zusammenkunft von Radfahrern, die in Köln und andernorts mit konzentriertem Fahrradaufgebot auf den Radverkehr aufmerksam macht

Thema im Mai: ARBEITSGLÜCK
Arbeiten um zu leben oder leben um zu arbeiten?
Kann abhängige Lohnarbeit Sinn stiften und Spaß machen? Macht Ihre Arbeit glücklich? Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.

Bernhard Krebs

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Jetzt erst recht
„Quo vadis Europa?“ – Visionen von Ulrike Guérot, Karl Lamers und Claus Leggewie bei phil.cologne – Spezial 06/17

Für Europa
Pulse of Europe demonstrierte auch in Köln für ein vereintes Europa – Thema 04/17 Zukunft jetzt

Hat die Demokratie ausgedient?
Pluriversale-Symposium zur Radikalisierung der politischen Mitte am 18./19. April – Thema 04/17 Zukunft jetzt

„Denken macht Spaß und Theorie ist sexy“
Ekaterina Degot über die Vereinbarkeit von Kunst und Politik – THEMA 04/17 Zukunft Jetzt

Zwei Räder für jeden
Lebendige Szene von Zweirad-Aktivisten in Köln – THEMA 04/17 Zukunft Jetzt

Verurteilt, frei zu sein
Nicht labern, wählen! – THEMA 04/17 Zukunft Jetzt

Sprechplattform des Friedens
„Köln spricht“ macht das YUCA zum Wohnzimmer der Demokratie – Spezial 01/17

Die fabelhafte Welt der Gesetzemacher
Gesprächsrunde mit Dokumentarfilmer David Bernet über „Democracy – Im Rausch der Daten“ – Foyer 11/15

Griechische Verhältnisse
„A Blast – Ausbruch“ im OFF-Broadway – Foyer 04/15

Wer regiert Europa?
„Europas Strippenzieher“ – Ein Bericht aus dem Innenleben Europas – THEMA 05/14 EUROPA

„Das Europaparlament wird belagert von Lobbyisten“
Sven Giegold klärt auf, was die Wählerstimmen bewirken können – Thema 05/14 Europa

„Chacun sa merde!“
Merkel, Europa und die Bürokraten – THEMA 05/14 EUROPA

Leitartikel

Hier erscheint die Aufforderung!