Scott McCloud ist vor allem durch seine in Comicform verfassten Theoriebände „Comics verstehen“ und „Comics neu erfinden“ bekannt geworden. Nun überrascht er mit seiner ersten, gleich 500 Seiten umfassenden Graphic Novel. Erzählt wird in „Der Bildhauer“ die Geschichte von David Smith, der einen Allerweltsnamen hat, aber fürchtet, auch als Bildhauer als nur einer unter vielen unter zu gehen. Da kommt ihm ein Deal mit dem Tod gerade recht: Er kann von nun an alle Skulpturen mit bloßen Händen formen, hat dafür aber nur noch 200 Tage zu leben. David stürzt sich in die Arbeit, doch dann lernt er eine Frau kennen und sein Blick auf die Welt ändert sich. Auch wenn seine Zeichnungen etwas steif wirken, zeigt Scott McCloud, dass er die Techniken des grafischen Erzählens vollkommen beherrscht: Spannungsaufbau und Rhythmuswechsel führen zu einem spannenden Lesevergnügen bis zum actionreichen Finale. Und auch thematisch entfaltet er ein komplexes Geflecht aus Alltagsgeschehen, Kunstexkurs und existentieller Philosophie (Carlsen).
Nina Bunjevacs Eltern sind Exil-Jugoslawien, die in den USA eine Familie geründet haben. Doch der nationalistische Vater radikalisiert sich immer mehr und wird in den 70er Jahren schließlich zum Terrorist gegen das kommunistische Regime. Bunjevac verbindet in „Vaterland“ raffiniert die Zeitebenen – die Gegenwart mit ihrer Kindheitsgeschichte und der Vorgeschichte der Großeltern – und skizziert in klaren, stilisierten Schwarzweißzeichnungen zugleich eine Geschichte Jugoslawiens (Avant Verlag). Noch mal Geschichtsunterricht aus erster Hand: „Ein schöner Kleiner Krieg“ sind Marcelino Truongs Kindheitserinnerungen an seine Zeit in Vietnam. Der Sohn eines vietnamesischen Diplomaten zieht 1961 als kleines Kind von den USA nach Vietnam. Der Bürgerkrieg droht sich gerade zum internationalen Konflikt auszuweiten, Marcelino und seine Familie sind mitten drin, weil der Vater persönlicher Übersetzer des brutalen Präsidenten der Republik Vietnam wird. Truong erzählt sowohl aus der Perspektive des Kindes von damals als auch erläuternd mit dem Wissen von heute von dem unübersichtlichen Geschehnissen – so nah ist man selten dran (Egmont).
Mit dem „Handbuch der Hoffnung“ eröffnet der Finne Tommi Musturi ein weites Feld: Der Protagonist ist ein älterer, dickleibiger Mann, der mit seiner nur selten im Bild erscheinenden Frau in einem einsamen Holzhaus wohnt. Er lässt sich mit Nichtstun oder kleineren, spielerischen Tätigkeiten von Tag zu Tag treiben. Dabei gibt sich der Tagträumer mitunter infantilem Humor hin, erträumt sich als Abenteurer, Western- oder Superheld, ist zärtlich und brutal, verliert sich aber auch im existentiellen Philosophieren. Ebenso zoomt die Bildebene von der Ameise bis zum kosmischen Ganzen. Farbenprächtig sind die stilisierten Bilder der lakonischen Geschichte (Avant Verlag). „Das Nest“ von Jean-Louis Tripp und Régis Loisel findet mit „Notre Dame“ seinen Abschluss. In neun Bänden haben die beiden Autoren von dem langsamen Wandel in einem kleinen kanadischen Dorf in den 20er Jahren erzählt. Nachdem der Krämer plötzlich verstorben ist und seine Witwe Marie den Laden übernehmen muss, kommt es in dem kleinen Dorf zu immer neuen sozialen Umwälzungen, die nicht zuletzt dem dort gestrandeten schwulen Städter Serge zuzuschreiben sind. Eine liebevoll und in aller Breite erzählte Geschichte einer Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen und außerdem ein hochaktuelles Ideal eines regionalen Zusammenlebens, das zum Finale auch beinahe Actioncharakter zeigt (Carlsen).
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