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Probenfoto „Elektra“
Marijke Brinkhof

Wir sind nicht so frei, wie wir uns geben

30. September 2010

Kostas Papakostopoulos zieht nach 20 Jahren deutsch-griechiches Theater Bilanz - Premiere 10/10

choices: Herr Papakostopoulos, wie überlebt man 20 Jahre in der Freien Szene?
Kostas Papakostopoulos: Ich kann es selbst kaum glauben, dass wir 20 Jahre überlebt haben. Als ich begann, habe ich mich immer gefragt: Wie schaffe ich das nächste Projekt? Eine Zukunftsplanung ist mir nie gelungen, das ist in der Freien Szene auch nicht möglich. Man lebt immer mit der Hoffnung, das nächste Jahr zu überleben. Selbst jetzt weiß ich nicht, ob es uns nächstes Jahr noch gibt. Die letzten Jahre haben allerdings insofern eine Verbesserung gebracht, als wir vom Land eine dreijährige Förderung erhalten.

Sie haben bei Dimitr Gotscheff und bei Frank Castorf an der Berliner Volksbühne gearbeitet und hätten dort bleiben können. Warum trotzdem eine eigene Gruppe?
Damals war ich 28 Jahre alt und hatte eine zu idealistische Haltung zum Theater. Das Stadttheater glich für mich einer Riesenfabrik mit anonymen Mitarbeitern. Ich hatte das Gefühl, eine Schraube in einem Apparat zu sein, in dem das radikale politische Denken, das wir damals vertreten haben, ein Verrat ist. Als ich das Stadttheater verlassen hatte, habe ich gemerkt, wie naiv ich war. Die Ideen mögen noch so großartig sein, von den wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Voraussetzungen des Stadttheaters kann die Freie Szene nur träumen. Außerdem steht die Freie Szene in Deutschland immer vor der Gefahr, zur Zweiten Liga des Theaters zu werden, da Geldmangel sich in ästhetische Ausweglosigkeit verwandeln kann. Auch deshalb habe ich versucht, den Kontakt zu den Schauspielhäusern nicht gänzlich zu verlieren.

Was hat Ihnen die Zusammenarbeit mit Got-scheff und Castorf ästhetisch gegeben?
Es hat mir sehr viel gegeben, weil beide eine sehr radikale und eigene Umgangsweise mit dem Theater haben. Als junger griechischer Regisseur, der sehr stark von der antiken Dramatik geprägt war, hat sich mir eine neue Welt eröffnet, die eng mit der politischen Deutung dieser Stoffe verbunden war.

Das Deutsch-Griechische Theater spielt vor allem antike griechische Klassiker. Warum?
Meine Mutter war Archäologin, und es gibt wahrscheinlich keinen antiken Ort in Griechenland, den ich als Kind nicht besucht und dann gehasst habe. Mit 18 oder 19 Jahren entwickelte ich dann eine für meine Generation eher ungewöhnliche Begeisterung für diese Texte. Mich faszinieren die zeitlosen Ideen und die ästhetische Abstraktion dieser Dramen weit mehr, als es realistische oder naturalistische Texte jüngeren Datums je tun werden.

Was reizt Sie an einem Stück wie Sophokles’ „Elektra“, das Sie jetzt inszenieren?
Wir haben letztes Jahr mit „Agamemnon“ den ersten Teil von Aischylos’ „Orestie“ herausgebracht. „Elektra“ setzt die Erzählung fort. Nachdem Agamemnon von seiner Frau Klytämnestra und deren Geliebten Ägisth umgebracht wurde, rächen im zweiten Teil die Kinder Elektra und Orest ihren Vater und töten die Mutter und deren Liebhaber. Wir spielen „Elektra“ allerdings in der Fassung von Sophokles, weil sie die Figur der Elektra, die psychologisch genial konzipiert ist, ins Zentrum stellt und zudem politisch ungeheuer radikal ist. Nach dem Mord an der Mutter sagt das Volk zu den beiden Tätern „Ihr seid frei, und alles ist gut“. Ihr Tun wird überhaupt nicht in Frage gestellt. Vor 30 Jahren hätte man das mit der RAF in Verbindung gebracht. Ich stelle die Frage, was eine solch radikale Haltung über die Gegenwart erzählen kann.

Worin liegt das Zeitgenössische der „Elektra“?
Die Wünsche und Intentionen von jungen Leuten werden heute oft als sehr radikal dargestellt – politisch betrachtet sind sie das nicht. Niemand will mehr den Staat von Grund auf ändern. So sehe ich auch Elektra. Ist meiner Inszenierung ist diese Figur faszinierend, weil sie sich als Mensch im Widerspruch zur Gesellschaft bewegt und dennoch kein politisches Konzept verfolgt. Im Gegensatz dazu bilden Klytämnestra, Ägisth, Chrysothemis, Orest und der Chor eine Gesellschaft, die die Machenschaften der Herrschenden und insbesondere die Furcht vor ihrer Macht akzeptiert. Alle machen mit, folgen einem vermeintlichen Egoismus und halten die Klappe. Das entspricht unserer modernen Gesellschaft.

Mit „Migrantenchor“ hat das DGT nicht nur eine neue ästhetische Erfahrung gemacht, sondern großen Erfolg gehabt. Warum arbeiten Sie daran nicht weiter?
Ich würde gerne eine Fortsetzung von „Migrantenchor“ machen, die die Probleme und Wünsche der jüngeren Migrantengeneration zeigt, und damit wieder ein Thema ohne festen, literarischen Text bearbeiten. Doch in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation kann ich ein so umfangreiches Projekt schwer realisieren. Und, um ehrlich zu sein, das nervt und bedrückt mich oft. Ich bediene einen bestimmten Markt, das muss man auch nach 20 Jahren offen sagen.

Muss man sich in der Freien Szene als Marke etablieren?
Jeder von uns, der schon länger in der Freien Szene arbeitet, hat ein bestimmtes Etikett. Das ist gut für die geschäftliche Planung, aber schlecht, wenn man seinen künstlerischen Geist schweifen lassen will. Förderer, aber auch das Publikum erwarten eine Kontinuität in der Arbeit. Das DGT lebt nicht zuletzt von den Besucherorganisationen, worauf ich stolz bin. „Elektra“ war fast ausverkauft, noch bevor ich mit den Proben begonnen habe. „Migrantenchor“ war erst viel später ausgebucht. Wir sind nicht so frei, wie wir uns geben.

Was heißt das für die Zukunft des DGT?
Ich kann mir keine klare Zukunftsvorstellung leisten. Selbstverständlich ist das Bedürfnis nach Sicherheit größer geworden als früher. Aber eine freche, naive Haltung habe ich mir hoffentlich auch mit 48 Jahren noch bewahrt. Den Spagat zwischen einer sicheren Existenz und der Freude am Theater kann ich immer noch genießen. Ästhetisch betrachtet werde ich immer nach neuen Herausforderungen suchen, was die Form, was die Entdeckung neuer Räume anbetrifft, oder auch die Herausforderung einer internationalen Zusammenarbeit anbetrifft. Trotzdem muss man auch bewahren, was wir bis heute erreicht haben.

Also wird das DGT in Zukunft nicht nur antike Klassiker herausbringen?
Das darf man erwarten.

Kostas Papakostopoulos
Foto: Peter Marifoglou
Kostas Papakostopoulos, Jahrgang 1962, hat zunächst ein Betriebswirtschaftsstudium an der Uni in Athen absolviert, bevor er 1984 nach Köln kam. Hier studierte er Theaterwissenschaft und assistierte bei Dimitr Gotscheff am Kölner Schauspielhaus. Danach wechselte Kostas Papakostopoulos an die Volksbühne Berlin als Regieassistent. 1990 gründete er das Deutsch-Griechische Theater in Köln, mit dem er inzwischen 25 Produktionen realisiert und in Hamburg, Aachen, Barcelona, Thessaloniki, Schwetzingen, Nijmegen und Berlin gastiert hat.



Hans-Christoph Zimmermann

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