Mit Engagement eigene Interessen in einem hierarchisch organisierten Betrieb wie einem Theater durchzusetzen, gehört zur hohen Kunst. Umso höher ist das Durchhaltevermögen der Regieassistent:innen am Schauspiel Köln einzuschätzen, als sie 2017 erstmals das Britney X Festival veranstalteten. Inzwischen ist daraus eine Institution geworden. Die Kuratorinnen Sarah Lorenz und Hanna Koller erläutern im Gespräch, wo die Schwerpunkte der inzwischen 6. Festivalausgabe liegen werden.
choices: Frau Koller, Frau Lorenz, sechs Jahre Britney X – was lässt sich daran über den Umgang dieser Stadt mit Diversity und Queerness ablesen?
Sarah Lorenz: Seit der Gründung im Jahr 2017 hat sich der Umgang im Theater insofern verändert, als das Festival inzwischen als gesetzt gilt. Am Anfang war das ein Zusatzprojekt der Regieassistierenden, jetzt ist Britney X zu einem festen Programmpunkt am Schauspiel Köln geworden. Bemerkenswert ist, dass wir jetzt im zweiten Jahr im Stadtgarten sind, dass wir also die Theaterräume verlassen und in die Stadt gehen. Und mit der digitalen Variante in Corona-Zeiten haben wir in den letzten Jahren sicherlich auch nochmal eine andere Öffentlichkeit erreicht.
Ist die Performance „(Un)sichtbare Stadt“ von Sarah Carbow und Anouchka Strunden, mit ihrem queerfeministischen Blick auf die Stadt Köln, ein Beleg für dieses etablierende Ausgreifen?
SL: Die beiden sind Teil des Magazins „Die Stadtführer*in“, das Perspektiven, Gefühle und Orte sichtbar macht, die in konventionellen Stadtführern und auf Stadtplänen nicht vorkommen. Siebeschäftigen sich dabei auch mit der Frage, wie die Stadt architektonisch, aber auch sicherheitstechnisch verändert werden könnte. Der Klassiker ist die Frage, wie sich eine Frau im dunklen Park fühlt und wie ein Mann – und das ist ja nur das binäre System. Es sind solche Fragestellungen, die in dem Workshop zur Sprache kommen. Der Zugriff ist weniger performativ, als analytisch und reflektierend. Dass man also anhand der Wahrnehmungen der Teilnehmenden aufdröselt, wo fühle ich mich sicher, wo fühle ich mich gut, wo fühle ich mich gesehen – und so vielleicht Erkenntnisse sammeln kann, was querfeministische und intersektionale Architektur sein könnte.
Das Thema des diesjährigen Festivals lautet „Relationships“ [dt. Beziehungen, d. Red.].
SL: Das hat immer noch ein wenig mit der Zeit der Isolation während Corona zu tun. Dass Menschen ihre Beziehungen untersuchen und sich fragen, mit wem verbringe ich eigentlich meine Zeit, wie verbringe ich diese Zeit, wie ist meine Beziehung zu dem System, in dem ich mich befinde. Die Kunst liegt aber auch darin, Beziehung zu leben und nicht nur über Beziehung zu sprechen. Und das wollenwir an diesen Tagen ein bisschen ausprobieren. Also nicht nur Diskursformate anbieten, in denen untersucht wird, wie gestalten sich die Beziehungen zum Körper, zur Gesellschaft, zum Gender. Das darf und wird alles vorkommen. Aber alleine der Fakt, dass man sich drei Tage oder vier Tage trifft und dann wieder inalle Himmelsrichtungen zerstreut, ist auch Teildieses Grundgedankens der Themensetzung relationship.
Wird der Auftakt mit der Ballroom-Performance „Behind The Veil Kiki Ball“ etwas in diese Richtung sein?
Hanna Koller: Nein, das würde ich so nicht sagen. Mir als Tanzkuratorin gibt Britney X die Chance, noch mal ganz andere Gruppen, die sich mit dem Medium Tanz beschäftigen, zu präsentieren. Und da gehört der Ballroom als kultureller Safe-Space einer queeren, ursprünglich schwarz geprägten Community, der seinen Ursprung in den 60er Jahren hat, dazu. Da geht es eigentlich mehr darum, Gruppen, die ich in meinem eher traditionellen Programm nicht zeigen kann, eine Plattform zu bieten und damit ein anderes Publikum anzusprechen. In einem Ballroom werden Grenzen aufgeweicht, die Frage gestellt, was Tanz ist und was nicht, welche Körper sich für Tanz eigenen, welche angeblich nicht, und er bietet ausgegrenzten Menschen ein Zuhause, um ihr kreatives Potenzial zu entfalten.
Ist Britney X auch eine Spielwiese, wo Sie die Randbezirke des klassischen Stadttheaters erkunden können?
HK: Auf jeden Fall. Britney X ist ein Format, in dem man Grenzen überschreiten kann und andere Communities ins Theater holt. Es geht dabei auch um Sichtbarkeit und Teilhabe.
SL: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben in diesem Jahr nureineeher klassische Theaterinszenierung dabei. Das hat auch damit zu tun, dass wir nicht in Theaterräumen spielen, sondern in Konzertsälen, in Clubs usw. Wielassen sich die Räume, die wir vorfinden, auch ästhetisch produktiv machen, ohne die Kunst zu verletzen oder einzuschränken? Diese Orte sind durchaus Schnittstellen des Performativen, wo Konzerte genauso stattfinden können wie Aufführungen. Und Britney X ist das richtige Gefäß dafür, um solche Experimente zu wagen.
Britney X beschäftigt sich seit Jahren auch mit den Themen Körper und Sexualität wie jetzt in Workshops zu Bondage, Shibari etc. – auch in immersiven Formaten. Wie lassen sich die Grenzen bestimmen, an denen bestimmte Publika aus-, andere aber einsteigen?
SL: Meiner Ansicht nach mischen sich die Publika. Wichtig ist uns, Formate anzubieten, die nicht ausschließlich diskursiv und intellektuell verstehbar sind, sondern die Formen der unmittelbaren Erfahrung, sei es in tänzerischer oder in körperlicher Form, erproben. Und gerne eben dann auf immersive und partizipative Weise. Wir haben durchaus ein paar Veranstaltungen, in denen man „nur“ als zuschauende Person gefragt ist, aber es sind in diesem Jahr relativ wenige.
Welche Rolle spielen Empowerment [dt. (Selbst-)Ermächtigung, d. Red.] und Selbsterfahrung, wenn es einerseits um Beziehungen zum eigenen Körper geht, andererseits aber auch um die Suche nach Räumen, in denen man sich äußern oder darstellen kann?
HK: Mit war es wichtig, das Kollektiv Shapes&Shades mit ihrer Ballroom-Performance einzuladen, weil sie sich dafür einsetzen, ihre Mitwirkenden zu empowern und zu helfen einen Raum zu finden, in dem unterschiedlichste Körper anerkannt werden. Das ist gerade im Tanz wichtig, weil die Rollen in den traditionellen Kompanien immer noch sehr strikt verteilt sind. Das beginnt schon damit, dass Frauen anders trainieren als Männer und endet im klassischen Bild der zierlichen Ballerina, die von ihrem männlichen Tänzerkollegen getragen wird. Und dafür ein Bewusstsein zu schaffen, ist mir wichtig.
Mich überrascht die prominente Rolle des Drag im Programm mit House of Blænk, einem Drag-Workshop oder einer Performance von Aria Viderci. Drag-Queens galten lange Zeit als der popkulturell vermarktbare Teil der Queerness, ob im Fernsehen oder auf der Bühne – bis heute bei RuPaul und Heidi Klum. Gibt es da ein neues Interesse?
SL: Das Thema „Drag“ haben wir neben dem Thema „Relationship“ tatsächlich stärker fokussiert. Am Beispiel einiger Staaten der USA und ihrem konservativen roleback sieht man deutlich, dass die politische Dimension des Drag wieder im Kommen ist, dass Diskriminierungen immer noch an der Tagesordnung und die Kämpfe noch lange nicht ausgefochten sind. Mal abgesehen davon wird es, glaube ich, sehr viel Spaß machen mit House of Blænk, der Münsteraner Drag-Performancegruppe, und Aria Viderci, die beide spezielle Programme für Britney X konzipiert haben.
Die Produktion „Temple of Temptation“ in der Christuskirche wird ebenfalls speziell für das Festival erarbeitet. Worum geht es da?
SL: Das von uns eingeladene Kollektiv möchte im Kirchenraum der Christuskirche das Ritual neu erforschen. Wie sich Rituale verändern, wennverschiedene Körper sie performen,verschiedene Identitäten sich ihrer annehmen. Und was das letztlich auch für einen Kirchenraum bedeutet, wenn ein internationales Performancekollektiv Einzug hält: Sind die neuen Götter vielleicht anders zu begreifen als die alten. Ich bin sehr gespannt, was Natalie Assmann daraus macht.
Britney X Festival | 7. - 10.6. | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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