Nur nicht darüber reden, so lautet offenbar die Devise: Die Kolonialvergangenheit ist bis heute ein schwieriges Thema, ein Trauma, das gerne totgeschwiegen wird und doch die Beziehungen zwischen den einstigen Kolonialmächten und ihren damaligen Provinzen massiv belastet. Dies gilt erst recht für Geschehnisse wie das Thiaroye-Massaker: Dabei wurden 1944 so genannte Senegalschützen, die auf Seiten der Franzosen im Zweiten Weltkrieg kämpften, von französischen Soldaten erschossen, weil sie sich über schlechte Lebensbedingungen im Militärlager nordöstlich von Dakar beschwerten und den ihnen noch zustehenden Sold einforderten. Mindestens 35 Menschen kamen dabei nachweislich zu Tode; Historiker vermuten allerdings, dass die tatsächlichen Opferzahlen bis zu achtmal höher liegen. Diesen Stoff hat Autorin Alexandra Badea in einem Theaterstück aufgearbeitet, das jetzt am Schauspiel Köln inszeniert wird – von einem Regisseur mit persönlichen Verbindungen zu dem Geschehen.
„Eigentlich war es Zufall, dass wir auf diesen Text stießen“, erinnert sich Lionel Somé, der nach der Produktion „Colonia on Ice“ erneut ein Stück in Köln auf die Bühne bringt. „Ich hatte ursprünglich etwas völlig Anderes vor, doch im Gespräch mit Dramaturgin Nina Rühmeier entdeckten wir unser gemeinsames Interesse am Postkolonialismus und entschieden, in dieser Richtung zu arbeiten. Als Nina dann mit ,Aus dem Schatten: Thiaroye‘ ankam, habe ich sofort zugesagt – denn mein Großvater war einer der Überlebenden dieses Massakers.“ Ihn hat Somé zwar nie kennengelernt, dennoch haben ihn die Geschichten über Thiaroye geprägt. „Mein Großvater hat kaum darüber geredet, noch nicht einmal mit seiner Familie“, so Somé, „aber natürlich wussten wir, was vorgefallen war. Und leider war das nur ein Beispiel von vielen, wie die Kolonialmächte mit den Afrikanern umgegangen sind, wenn auch ein extremes.“ Statistiken würden zeigen, dass ein Drittel der Familien in den ehemaligen westafrikanischen Kolonien einen Angehörigen benennen können, der in einem der beiden Weltkriege gekämpft habe, führt Somé aus. „Europa in seiner jetzigen Form würde es ohne diese Soldaten nicht geben, aber das ist nie gewürdigt worden. Insofern ist es kein Wunder, dass inzwischen eine große Bitterkeit gegenüber Frankreich im Besonderen und Europa im Allgemeinen herrscht. Gerade deswegen müssten solche Geschehnisse aufgearbeitet werden, so dass wir unseren Frieden damit machen können.“
Auch im Stück geht es um dieses vererbte Trauma. Im Mittelpunkt steht Biram, Enkel eines der Senegalschützen, der mit Hilfe der Journalistin Nora auf Régis trifft, dessen Großvater an dem Massaker von Thiaroye beteiligt war. „In dem Gespräch der beiden Erben geht es gar nicht so sehr um Schuldzuweisungen“, betont Somé, „sondern vielmehr um das Entdecken und Verarbeiten eines Traumas. Natürlich ist der Stoff sehr emotionsgeladen, aber wir werden auch eine dokumentarische Ebene in die Inszenierung einbauen, mit Archivbildern, historischen Texten und Videos.“ Das Publikum kann sich also auf eine ebenso intensive wie informative Aufführung einstellen.
Aus dem Schatten: Thiaroye | 10. (P), 12., 23., 26.1. | Schauspiel Köln, Depot 2 | 0221 22 12 84 00
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