Nach dem bundesweiten Spiel-Aus im Zuge der Corona-Pandemie braucht es Anno 2021 nicht nur Westwind, sondern stürmische Böen aus allen Himmelsrichtungen, um Bühnen sowie die Fantasie der Menschen wieder in Bewegung zu bringen. Die bereits 37. Auflage des Kinder- und Jugendtheaterfestivals präsentiert zwischen dem 19. und 25. August neben zehn konkurrierenden Wettbewerbsstücken aus NRW zwei Gastgeberproduktionen sowie internationale Gastspiele mit Ensembles aus Belgien, Spanien und Brasilien. Darüber hinaus erwartet die Besucher ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Diskussionen und Workshops. Wir sprachen mit der Künstlerischen Leiterin Jutta Maria Staerk (JMS) und Dramaturgin Anna Stegherr (AS) über die Zeitlosigkeit des Theaters für junge Menschen.
choices: Wie viel Rückenwind haben Sie im Zuge der Organisation des Westwind-Festivals von Seiten der Politik und aus der Gesellschaft erfahren?
JMS: Das war eigentlich ganz wunderbar. Der Gegenwind war, dass es Corona gab.
Wir hatten bereits alles für das Festival im Mai organisiert, als sich zeigte, dass wir unsere Planungen aufgrund der coronabedingten Verschlechterungen nicht durchführen konnten. Da war die Politik super. Die Leute haben uns vertraut. Niemand hat Druck gemacht. Es gab ein großes Aufatmen, dass wir es nicht ausfallen lassen. Es gab an keiner Stelle Schwierigkeiten. Weder das Land noch die Stadt haben uns zu irgendeiner Zeit Hindernisse in den Weg gelegt. Die Fragestellung lautete: Wie kann man ein Festival unter den gültigen Beschränkungen durchführen? Wir haben die Veranstaltungen dann unter anderem doppelt angesetzt, damit auch alle Menschen die Aufführungen sehen können. Insgesamt lässt sich sagen, dass wir in Deutschland eine hohe Wertschätzung von Kultur erfahren haben, auch wenn wir in den ersten Monaten der Pandemie geschockt waren, weil Kultur im Wortschatz vieler Politiker*innen nicht vorkam. Das hat sich allerdings verändert.
AS: Es fühlt sich nach viel Entscheidungsfreiheit und Vertrauen an. Gleichzeitig geht damit auch eine große Verantwortung einher. Wir wollen nicht dazu beitragen, dass es durch die Veranstaltungen zu neuen Erkrankungen kommt. Das gehen wir sehr sensibel an.
Was erwartet die Besucher des Festivals?
JMS: Ein Riesenprogramm. In der Festival-Woche zeigen wir neun Produktionen aus NRW, dazu noch zwei Stücke unseres Theaters und vier internationale Inszenierungen.
Einer der Leitgedanken der Veranstaltung lautet, „Wer spricht für wen?“ Können Sie diese Frage beantworten? Was möchten Sie damit anregen?
JMS: Wir wollen diese Frage erstmal stellen. Wir möchten Menschen dazu bringen, darüber nachzudenken und zu diskutieren.
AS: Es geht unter anderem um die Frage nach Partizipation. Wie können zum Beispiel Bühnen aussehen, damit Schauspieler*innen mit Behinderungen spielen können? Weitere Themenfelder sind Kunstfreiheit und Nachhaltigkeit, aber auch die Frage, wie wir Rassismus und Antisemitismus begegnen, wird diskutiert.
JMS: Uns ist es wichtig, dass das, was auf der Bühne abläuft, einen Bezug zu dem hat, was die Kinder und Jugendlichen in ihrem Alltag erleben.
Gerade über die Inklusion wird seit Jahren debattiert. Warum dauert es so lange, bis sich die Situation, etwa für beeinträchtigte Menschen, deutlich verbessert?
JMS: Veränderungen sind immer schwierig. Das ist leider eine globale Erfahrung. Aber wir sind auf dem Weg. Das ist klar erkennbar.
„Selbst ein Stück, das für Kinder ab zwei Jahren konzipiert ist, hat bei uns eine Qualität, die auch für einen 99-Jährigen interessant ist“
Die Events zielen auf ein junges Publikum. Inwiefern sind Kinder und Jugendliche in die Organisation sowie Realisierung der Veranstaltungen eingebunden?
JMS: Wir haben einen Theaterbeirat aus 10 bis 15 Kindern und Jugendlichen, der sich im Vorfeld des Festivals mit den Stücken beschäftigt hat. Während des Festivals wird dieser Beirat auch tätig sein und vergibt den Jurypreis. Die Knochenarbeit wird natürlich von den Erwachsenen übernommen.
Wie kam es zur Gründung des Beirats?
AS: Wir starteten einen offenen Aufruf. Jeder konnte und kann dort mitmachen. Die Betreuung erfolgt durch Theaterpädagogen. Am 28. September gibt es dafür wieder ein Treffen. Alle, die Lust haben, Theater zu machen, können sich an diesem Tag über die Möglichkeiten informieren. Das Ganze ist kostenfrei. Damit wir besser planen können, bitten wir um eine vorherige Bewerbung an theaterlabor@comedia-koeln.de.
Sind die Vorstellungen auch für Erwachsene „geeignet“?
JMS: Immer. Selbst ein Stück, das für Kinder ab zwei Jahren konzipiert ist, hat bei uns eine Qualität, die auch für einen 99-Jährigen interessant ist. Das Publikum wird in jeder der Aufführungen auch als Erwachsener viel erleben und lernen können, beispielsweise in „Cyclo – Der Kreis des Lebens“ oder „L_VEPAR_DE – Eine Verblendung“ über die Tragödie während der Loveparade in Duisburg.
Das diesjährige „Westwind“ erlebt bereits die 37. Auflage. Was hat sich in den letzten Jahren hinsichtlich der Themen und der Wahrnehmung des Events in der Öffentlichkeit geändert?
JMS: Es ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Jahresprogramms geworden, weil es die gesamte Szene durch die Impulse weiterbringt. Das sind Lernschritte und es führt zu einer Verbesserung der Arbeit, gerade auch weil die Stücke intensiv nachbesprochen werden.
Ist die Pandemie-Thematik in die Stücke eingeflossen?
JMS: Es gibt zwar einige, die unter Corona-Bedingungen entstanden sind, zum Beispiel ein Spiel mit Masken oder ein Tanzstück ohne Kontakt, aber das ist nicht die Regel. Die Werke sind zum Teil ja auch schon vor der Pandemie erarbeitet worden.
Was war neben der Corona-Pandemie die größte Herausforderung im Zuge der Verwirklichung?
AS: Ich glaube, das war alles Corona-bedingt. Wir haben uns irgendwann dazu entschieden, dass es ein hybrides Festival geben wird, bei dem wir mit Abstand im Saal sitzen werden, aber viele Rahmenpunkte ins Digitale verschieben. Die Herausforderungen lagen unter anderem darin, die Leute mit dem Equipment auszustatten, die, etwa bei den Nachbesprechungen, eine Video-Live-Teilnahme ermöglichen. Mit Schüler*innen des Humboldt-Gymnasiums kommt es zu einer digitalen „postkolonialen Stadt-Ralley“, in der die Kolonialgeschichte der Stadt beleuchtet wird. Auch das organisiert man nicht jeden Tag.
JMS: Es gibt eine Herausforderung, die auch ohne Corona bestanden hätte: Wir möchten uns mehr mit der Thematik „Nachhaltigkeit“ auseinandersetzen. Deshalb sind wir papierlos geworden. Wir wollen in Punkto Mitbring- und Verpackungsmaterialien Müll vermeiden. Das gleiche gilt für das Catering. Es gibt rein veganes Essen.
Mit wie vielen Zuschauern rechnen Sie?
JMS: Ich bin die Letzte, die man nach Zahlen fragen kann. Ich hoffe, die Vorstellungen sind alle voll. Wir haben Karten genug.
Westwind Festival | 19. - 25.8. | Comedia Theater | www.westwind-festival.de
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