Da flirren sie nun – und können nicht anders. Julja Schneiders 88 Zeichnungen im Kölner Maternushaus erfüllen mit Sicherheit die Ansprüche an ein Menü, das kein Lieferdienst herbeibringen kann. Dabei stehen die Pforten zur Werkschau täglich offen, doch die Auswahl ist im positiven Sinne untragbar. Schneiders Fabelwesen und reflektierende Standortbestimmungen im Nirgendwo entziehen sich jeglichem Zugriff und der darauffolgenden Einordnung in die populären Konsumkategorien. Hasen, Vögel, Pandas, Seeigel, (Beethovens) Klaviere und Wörter schlafwandeln in einer nicht kartografierten Landschaft in nebulösen Farbtönen durch den Raum.
Die Zeichen stehen auf Verwirrung, nur um mit provokanten Aussagen temporären Halt zu suggerieren. Dabei offeriert das Einstiegsbildnis im Tagungshaus der Katholischen Kirche auf der Kardinal-Frings-Straße einen fairen Deal: „biete lebenswandel gegen gottesbeweis“ heißt es da in purpurnen Buchstaben auf leichenweißem Hintergrund. Auf dem Boden, nach unzähligen Variationen aneinandergelegt, ließen die Arbeiten vielleicht einen Atlas erkennen, der die Betrachter:innen in ein Zentrum führt, das entscheidende Antworten beherbergt. Erstens: Gott existiert, aber er oder sie weiß nichts davon. Zweitens: Die beste aller Ideen ist die Liebe. Und drittens: Ordnung ist eine Illusion, die der Humor sich ausgedacht hat. Mit dem Text-im-Bild-Hinweis, „bitte keine Seeigel auf der Straße herumliegen lassen“, erfüllt die Ausstellung zudem ihren Bildungsauftrag. Diese altruistische Einstellung gilt es in einer egomanen Kunstszene wertzuschätzen. Im Ernst, Julja Schneider gelingt mit ihren Arbeiten im wahrsten Sinne des Wortes ein Kunststück, denn sie überzeugen die Betrachter:innen, Zeit zu opfern. Zeit für die Faszination von krummen Linien, die die Rechtshänderin mit links zog, für angenehme Farbtöne, die nicht blenden, für Amüsement und Schrecken in bizarren Comic-Miniaturen, für fehlende Informationen zu Titeln, verwendeten Materialien oder Formaten, die nur ablenken, und schließlich für eine fundamentale Philosophie, die nichts erklärt, aber klare Aussagen beinhaltet. Tun Sie sich das um Gottes Willen an!
Was der Lieferdienst nicht bringt | bis 21.2. | Anwesenheit der Künstlerin: 18.1., 2., 9., 16.2. je 16-18 Uhr, 26.1. 14-16 Uhr | Maternushaus, Köln | 0221 163 10
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Malerei nach der Malerei
Egan Frantz in der Galerie Nagel Draxler
Tiefe Fetzen Wirklichkeit
Marcel Odenbach bei Gisela Capitain
„Was ist ,analoger‘ als der menschliche Körper?“
Kuratorin Elke Kania über „Zeit-Bilder.“ im Aachener Kunsthaus NRW Kornelimünster – Interview 01/25
Vorwärts Richtung Endzeit
Marcel Odenbach in der Galerie Gisela Capitain – Kunst 11/24
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24
Die Absurdität der Ewigkeit
Jann Höfer und Martin Lamberty in der Galerie Freiraum – Kunstwandel 08/24
Tage des Schlafwandelns
„Übergänge des Willens“ im KunstRaum St. Theodor – Kunstwandel 07/24
Das Gewicht der Gedanken
„scheinbar schwerelos“ im Zündorfer Wehrturm – Kunst 06/24
Suche nach Menschlichkeit
Burkhard Mönnich in der Galerie Martinetz – Kunst 05/24
Steigen, Verweilen, Niedersinken
Nadine Schemmann mit zwei Ausstellungen in Köln – Kunstwandel 05/24
Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24
Mehr als Bilder an der Wand
„Museum der Museen“ im Wallraf-Richartz-Museum – kunst & gut 12/24
Vorgarten der Unendlichkeit
Drei Ausstellungen zwischen Mensch und All – Galerie 12/24
Mit dem Surrealismus verbündet
Alberto Giacometti im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 11/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Die Freiheit ist feminin
„Antifeminismus“ im NS-Dokumentationszentrum – Kunstwandel 09/24
Atem unserer Lungen
„Body Manoeuvres“ im Skulpturenpark – kunst & gut 09/24