„Eine aufgeblasene Männlichkeitsmoral, ein bis zur Peinlichkeit übersteigerter Nationalismus und ein Katalog bankrotter antisozialer Gepflogenheiten“, so charakterisierte der amerikanische Literat Bill Buford Ende der 1980er Jahre die britischen Hooligans, nachdem er sich ein paar Monate unter die Fußballfans auf der Insel gemischt hatte. So ganz konnte er sich den Fan-Ritualen und der Faszination des Spiels aber nicht entziehen. Diese Fans waren im Wortsinn „fanatisch“, ihre Gewalt aber auch Ausdruck von Rebellion oder „irgend so etwas“ – rassistisch, aber „authentisch“. Zur gleichen Zeit wurden die „Fans neuen Typs“ entdeckt und von Nick Hornby literarisch bestsellermäßig gewürdigt.
Die Entwicklung ging damals aber schon woandershin. In England, wo die Klubs oft traditionell als Kapitalgesellschaften organisiert sind, wurde Fußball konsequent als Entertainment kommerziell vermarktet. Die verdreckten Toiletten verschwanden, Stehplätze und Gitterzäume wurden durch Sitzplätze und VIP-Lounges ersetzt. Das Ziel: eine Atmosphäre, „die Hooliganismus und asozialem Verhalten nicht zuträglich“ ist, so einer der Macher. Fußballfans waren jetzt zahlende Kunden mit Recht auf einen flotten Kick. Und wegen der „Atmo“ gab es Fan-Betreuung bis hin zum Fan-Beauftragten. Nächster Schritt: Branding und Mediatisierung. Der englische Markt war zu klein für eine ausreichende Rendite, also dachte man global und europäisch, während sich Scheichs und Milliardäre aus Russland in die Premier League einkauften. Der Trend wurde in anderen Ländern aufgegriffen. 1999 drohten die europäischen Spitzenklubs der UEFA mit Selbstvermarktung in einer eigenen Liga, der Kompromiss war die Champions League. Seitdem boomt das Geschäft grenzüberschreitend. Die Fans sind Teil des Business – wie im Film-, Rock- oder Klassik-Geschäft.
Doch Fan ist nicht mehr gleich Fan. Inzwischen wird er zunehmend sortiert und katalogisiert. In England z. B. in „Supporters“, „Followers“, und die wirklichen heißen „Fans“. Als neueste Variante gelten die Fußball-„Flaneure“. Hierzulande sieht der „kicker“ sogar 17 unterschiedliche Fan-Typen im Stadion. Das reicht vom „Teilzeitfan“ über den „Gläubigen“ bis hin zum „Couch-Experten“ und dem „distanzierten Beobachter“. Letzterer nähert sich dem englischen „Flaneur“ an – beides coole Konsumenten, ein bisschen Hipster, ein bisschen nostalgisch, zurückhaltend auf der heimlichen Suche nach Authentischem. Der „Hool“ ist freilich nicht verschwunden. Erst neulich drohten Anhänger von Westham United den Tottenham Hotspurs: „Adolf Hitler, er wird euch holen!“ In Israel verwüsteten Fans die Geschäftsstelle ihres Vereins, weil der erstmals einen arabischen Spieler verpflichtete. Seit Mario Balotelli wieder in der Seria A spielt, werfen die gegnerischen Fans mit Bananen und fordern die Reinheit der weißen Rasse. Fußball-Nazis gibt es in Polen, Frankreich oder in Dortmund, Aachen und anderswo. Hipster wahrscheinlich auch.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Demonstration „Ein Europa für Alle“
So 19.5. ab 11 Uhr
Die fabelhafte Welt der Gesetzemacher
Gesprächsrunde mit Dokumentarfilmer David Bernet über „Democracy – Im Rausch der Daten“ – Foyer 11/15
Griechische Verhältnisse
„A Blast – Ausbruch“ im OFF-Broadway – Foyer 04/15
„Jedes Land macht sein eigenes Europa“
„Kursbuch“-Herausgeber Armin Nassehi über die europäische Öffentlichkeit – Thema 09/13 Welche Wahl
Enge Grenzen
Zuwanderung und Auswanderung halten sich fast die Waage – Thema 07/13 Willkommen
Sie steh'n dahinter
Fußballfans zwischen Mann Nr. 12 und Feindbild Nr. 1 – THEMA 05/13 ELF FEINDE?
„Noch kann man sich selbst organisieren“
Stefan Müller-Römer über den FC, Fans und geklonte Fans – Thema 05/13 Elf Feinde?
„Die Strafen wirken willkürlich“
Der Soziologe Gerd Dembowski untersucht die Basisarbeit der Fans – Thema 05/13 Elf Feinde?
Asozial und Spaß dabei
Beim SC Mülltonn bleibt der Ernst vor dem Stadiontor – Thema 05/13 Elf Feinde?
Ausweitung der Grauzone
Die Familie ist Teil europäischer Pflegemigration – Thema 03/13 Schutzbefohlen
Kli Kla Klacks
Intro – Genug für alle
Gerechtigkeit wäre machbar
Teil 1: Leitartikel – Die Kluft zwischen Arm und Reich ließe sich leicht verringern – wenn die Politik wollte
„Je größer das Vermögen, desto geringer der Steuersatz“
Teil 1: Interview – Finanzwende-Referent Lukas Ott über Erbschaftssteuer und Vermögensungleichheit
Gegen die Vermüllung der Stadt
Teil 1: Lokale Initiativen – Umweltschutz-Initiative drängt auf Umsetzung der Einweg-Verpackungssteuer
Gleiches Recht für alle!
Teil 2: Leitartikel – Aufruhr von oben im Sozialstaat
„Eine neue Ungleichheitsachse“
Teil 2: Interview – Soziologe Martin Heidenreich über Ungleichheit in Deutschland
Klassenkampf im Quartier
Teil 2: Lokale Initiativen – Bochums Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Stahlhausen
Die Mär vom Kostenhammer
Teil 3: Leitartikel – Das Rentensystem wackelt, weil sich ganze Gruppen der solidarischen Vorsorge entziehen
„Die gesetzliche Rente wird von interessierter Seite schlechtgeredet“
Teil 3: Interview – VdK-Präsidentin Verena Bentele über eine Stärkung des Rentensystems
Der Kitt einer Gesellschaft
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Landesverband des Paritätischen in Wuppertal
Der Staat will zuhören
Wandel im niederländischen Sozialsystem – Europa-Vorbild: Niederlande
Armutszeugnis im Reichtum …
… und alternative Fakten im Wirtschaftssystem – Glosse
Konflikt-Kanzler
Intro – Friedenswissen
Herren des Krieges
Teil 1: Leitartikel – Warum Frieden eine Nebensache ist
„Besser fragen: Welche Defensivwaffen brauchen wir?“
Teil 1: Interview – Philosoph Olaf L. Müller über defensive Aufrüstung und gewaltfreien Widerstand