Ein Take noch. Ein halbes Dutzend Fußballfans drängelt sich vor einem Studiomikrofon. „Und wenn ihr fragt, wer seid denn ihr?“ singen sie. „Dann sagen wir zu euuuch!“ Die Stimmen heben sich, der Gesang wird lauter. „Wir sind Fortunas Mülltonnen und rauchen grünes Zeugs.“ Was sich vor dem Mikrofon knubbelt, ist der harte Kern vom SC Mülltonn. Seit 1998 treffen sie sich im Kölner Südstadion, um ihre Fortuna anzufeuern – teils in der ersten, teils in der dritten Generation. Und der Gesang? Der ist für die Jubiläumssingle. Die „Mülltonns“ sind keine Fans wie andere. Bei ihnen treffen sich Punkfans, Breakbeat-Producer und Sprayer. „Mit 16 stand ich immer bei den Fans in Stehplatz Mitte“, erzählt ein Mülltonn-Mitglied. „und dann standen da diese Freaks in der Kurve. Die fand ich cool.“ So regelt sich das bei der Fortuna. Die einen stehen mit heiligem Ernst auf der Tribüne und singen von Ehre und Treue zum Verein, die anderen stehen in der Kurve, rufen „Verbale Randale, wir sind die Mülltonn Asoziale“ und kriegen den Nachwuchs ab. Und die Nazis? Auch kein Problem: Den Fanbusfahrer mit Republikaner-Sympathien konnte man von seinem Posten heben. „Da mussten wir halt einmal eingreifen“, erzählen die Mülltonns. Bei blöden Sprüchen in der Kurve sagt man kurz was – „aber alles halb so wild.“
Gruppen wie der SC Mülltonn gibt es in ein paar Stadien. In Aachen die AC Ultras, beim FC die Coloniacs. Aber es ist selten, dass sie eine Kurve so dominieren können wie bei der familiären Fortuna Köln. Das liegt auch an den Choreographien des SC Mülltonn: verschiedene Fahnen und Transparente, für besondere Anlässe auch schon mal ein Nikolaus. Und dann ist da noch das Soundsystem: Lautsprecher, zwei Plattenspieler und ein Mikrofon. „Wir haben das immer vor dem Spiel aufgebaut, um Stimmung zu machen“, meint der verantwortliche DJ. „Dazu gab's dann Happy Hour. Alles ganz unkompliziert.“ Er redet in der Vergangenheit. Denn im Moment ist die Atmosphäre zwischen Verein und SC Mülltonn mal wieder etwas angespannt, und das, obwohl ein Mülltonn-Mitglied mittlerweile Fan-Betreuer ist. Nach der Duisburger Loveparade-Katastrophe wurden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft, das Soundsystem kann nicht mehr ins Stadion.
Es ist nicht der erste Konflikt zwischen der Fangruppe und Vereinsführung. „Wir haben lange sogar die Ordner für die Kurve selbst gestellt“, erzählt Timo. Trotzdem ließ der Verein sie eines Tages schließen. Die Mülltonn haben dann „Lass die Südkurve op“ aufgenommen und über die Stadionanlage abgespielt: „Für die Fortuna war das ‚vereinsschädigendes Verhalten‘“. Ein anderes Mal erhöhte sich der Eintritt auf 10 Euro. Zu viel für den SC Mülltonn, der daraufhin ein paar Spiele boykottierte. „Vorm Stadion haben wir dann einen Rentner getroffen, der früher selbst hier gespielt hat“, meint Timo. „Der konnte sich den Eintritt nicht mehr leisten. Das sind unannehmbare Zustände.“ Und trotzdem – dem Verein den Rücken kehren will hier niemand. Nicht aus Ehre oder Pflichtgefühl, sondern weil's Spaß macht. „Ich geh seit 30 Jahren zum Fußball“, erzählt der Älteste in der Runde. „Fortuna ist der Gegenentwurf!“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Die Strafen wirken willkürlich“
Der Soziologe Gerd Dembowski untersucht die Basisarbeit der Fans – Thema 05/13 Elf Feinde?
Vom Hooligan zum Hipster
Englands Fußballfankultur, die Globalisierung und der Rest der Welt – Thema 05/13 Elf Feinde?
Sie steh'n dahinter
Fußballfans zwischen Mann Nr. 12 und Feindbild Nr. 1 – THEMA 05/13 ELF FEINDE?
„Noch kann man sich selbst organisieren“
Stefan Müller-Römer über den FC, Fans und geklonte Fans – Thema 05/13 Elf Feinde?
Kulturschock
Intro – Kunst & Kultur
Inspiration für alle
Teil 1: Leitartikel – Wer Kunst und Kultur beschneidet, raubt der Gesellschaft entscheidende Entwicklungschancen
„Mich hat die Kunst gerettet“
Teil 1: Interview – Der Direktor des Kölner Museum Ludwig über die gesellschaftliche Rolle von Museen
Kultur am Kipppunkt
Teil 1: Lokale Initiativen – Bruno Wenn vom Kölner Kulturrat über die Lage der städtischen Kulturhäuser
Unbezahlbare Autonomie
Teil 2: Leitartikel – Die freie Theaterszene ist wirtschaftlich und ideologisch bedroht
„Ich glaube schon, dass laut zu werden Sinn macht“
Teil 2: Interview – Freie Szene: Die Geschäftsführerin des NRW Landesbüros für Freie Darstellende Künste über Förderkürzungen
Zwischen Bar und Bühne
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Neuland als kulturelles Experiment im Bochumer Westend
Der Kulturkampfminister
Teil 3: Leitartikel – Wie Wolfram Weimer sein Amt versteht
„Kultur muss raus ins Getümmel“
Teil 3: Interview – Philosoph Julian Nida-Rümelin über Cancel Culture und Demokratie
Querschnitt der Gesellschaft
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Kulturbüro Wuppertal als Partner der freien Szene
Die Kunstinitiative OFF-Biennale
Wer hat Angst vor Kunst? – Europa-Vorbild: Ungarn
Was hat Kultur denn gebracht?
Eine Erinnerung an Nebensächliches – Glosse
Branchenprobleme
Intro – Gut informiert
Teuer errungen
Teil 1: Leitartikel – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss bleiben – und besser werden
„Die Sender sind immer politisch beeinflusst“
Teil 1: Interview – Medienforscher Christoph Classen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Aus den Regionen
Teil 1: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
An den wahren Problemen vorbei
Teil 2: Leitartikel – Journalismus vernachlässigt die Sorgen und Nöte von Millionen Menschen
„Das Gefühl, Berichterstattung habe mit dem Alltag wenig zu tun“
Teil 2: Interview – Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing über Haltung und Objektivität im Journalismus
Von lokal bis viral
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Landesanstalt für Medien NRW fördert Medienvielfalt
Journalismus im Teufelskreis
Teil 3: Leitartikel – Wie die Presse sich selbst auffrisst
„Nicht das Verteilen von Papier, sondern Journalismus fördern“
Teil 3: Interview – Der Geschäftsführer des DJV-NRW über die wirtschaftliche Krise des Journalismus