
Wer Frieden fordert, erntet oft Skepsis. Naiv und weltfremd nennt man Pazifist:innen gerne. Rufe nach Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit gelten mittlerweile wieder als selbstverständlich, hingegen gilt das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit manchen sogar als gefährlich. Vor Initiativen wie der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner:innen (DFG-VK) liegt ein gewaltiger Berg Arbeit, wenn Militarisierung den politischen Dialog prägt, die Mehrheit der Deutschen eine Rückkehr zur Wehrpflicht befürwortet und der Anblick von Soldat:innen an Schulen sowie in Bussen und Bahnen zunehmend alltäglich wird.
Frühe Anfänge
Es ist bei weitem nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Pazifist:innen in Deutschland gegen den Strom schwimmen müssen. 1892 gegründet, machte die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) mit Beginn des Ersten Weltkriegs frühe Erfahrungen mit politischer Verfolgung. Viele Mitglieder lösten sich von ihren pazifistischen Überzeugungen, andere flohen ins Exil. Zur Weimarer Zeit wuchs die Organisation auf über 30.000 Mitglieder, bevor sie nach Hitlers Machtübernahme verboten wurde. 1974 verbanden sich die DFG und der 1958 gegründete Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK) zur DFG-VK. Der nordrheinwestfälische Landesverband ist in Dortmund ansässig.
Neue Methoden
Wenn es um Gegenrede in Zeiten des Militarismus geht, können die Mitglieder also auf einer langen Tradition aufbauen, setzen aber gleichzeitig auf Methodenvielfalt bei der praktischen Umsetzung ihrer Überzeugungen: Neben Klassikern wie den Ostermärschen organisierte der Landesverband im August eine Friedens-Fahrradtour, um eine Woche lang an verschiedenen Militärstandorten zwischen Köln und Cochem zu protestieren. Beratung und Unterstützung für Kriegsdienstverweiger:innen werden ebenfalls angeboten. Auf der Webseite verweigern.info bekommen Menschen, die über eine Verweigerung nachdenken, anhand eines kurzen Fragebogens eine Einschätzung, ob das derzeit eine sinnvolle Entscheidung für sie ist.
Eine Idee aus den 70ern
In der Debatte, ob Aufrüstung die einzig angemessene Reaktion auf Aggressionen Russlands sein kann, zieht die DFG-VK auch ein Konzept der Friedensbewegung aus den 70er Jahren heran: Soziale Verteidigung. Die Idee in einem Satz: Wehrhaftigkeit geht auch unbewaffnet. Was zunächst paradox klingen mag, begründen Anhänger:innen der Sozialen Verteidigung – kurz gesagt – mit der Überzeugung, dass eine Besatzungsmacht wenig ausrichten kann, wenn die Bevölkerung des eingenommenen Territoriums zwar dialogbereit bleibt, sich aber beharrlich weigert, den Befehlen der Besatzungsmacht Folge zu leisten, Kooperation verweigert und so gleichsam den Preis für die Besatzung so weit in die Höhe treibt, dass sie sich nicht lohnt.
Friedenslogik und Soziale Verteidigung
In Dortmund wurde das Konzept im Frühling 2024 ergebnisoffen diskutiert. Ganz warm geworden ist man damals nicht damit. Ein dazu veröffentlichtes Papier betont ein Vorgehen im Sinne einer „Friedenslogik“, die den Gegner immer auch als Partner verstehe, mit dem ein Interessenausgleich zu suchen sei – während Soziale Verteidigung den Gegner grundsätzlich als Feind verstehe, dessen Erfolg zu verhindern sei. Das Papier fasst aber auch zusammen, dass sowohl Friedenslogik als auch Soziale Verteidigung der „angeblichen Alternativlosigkeit“ militärischen Denkens entgegenstehen.
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Konflikt-Kanzler
Intro – Friedenswissen
Herren des Krieges
Teil 1: Leitartikel – Warum Frieden eine Nebensache ist
„Besser fragen: Welche Defensivwaffen brauchen wir?“
Teil 1: Interview – Philosoph Olaf L. Müller über defensive Aufrüstung und gewaltfreien Widerstand
Politische Körper
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Kölner Friedensbildungswerk setzt auf Ganzheitlichkeit
Streiken statt schießen
Teil 2: Leitartikel – Das im Kalten Krieg entwickelte Konzept der Sozialen Verteidigung ist aktueller denn je.
„Als könne man sich nur mit Waffen erfolgreich verteidigen“
Teil 2: Interview – Der Ko-Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung über waffenlosen Widerstand
Unser höchstes Gut
Teil 3: Leitartikel – Von Kindheit an: besser friedensfähig als kriegstüchtig
„Das ist viel kollektives Erbe, das unfriedlich ist“
Teil 3: Interview – Johanniter-Integrationsberaterin Jana Goldberg über Erziehung zum Frieden
Platz für mehrere Wirklichkeiten
Teil 3: Lokale Initiativen – Kamera und Konflikt: Friedensarbeit im Medienprojekt Wuppertal
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Das Projekt „Education for a Culture of Peace“ – Europa-Vorbild: Zypern
Brauerheer statt Bundeswehr
Wie ein Biertornado die Gewaltspirale aus dem Takt wirft – Glosse
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Teil 1: Lokale Initiativen – Bruno Wenn vom Kölner Kulturrat über die Lage der städtischen Kulturhäuser
Zwischen Bar und Bühne
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Neuland als kulturelles Experiment im Bochumer Westend
Querschnitt der Gesellschaft
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Kulturbüro Wuppertal als Partner der freien Szene
Aus den Regionen
Teil 1: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
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Teil 2: Lokale Initiativen – Die Landesanstalt für Medien NRW fördert Medienvielfalt
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Teil 3: Lokale Initiativen – Das Zentrum für Erzählforschung an der Uni Wuppertal
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Antifaschismus für alle
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Bochumer Antifa-Treff
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Teil 3: Lokale Initiativen – Das zivilgesellschaftliche Netzwerk Wuppertal stellt sich quer
Von Autos befreit
Teil 1: Lokale Initiativen – Einst belächelt, heute Vorbild: Die Siedlung Stellwerk 60 in Köln
Unter Fledermäusen
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Arbeitskreis Umweltschutz Bochum
Für eine gerechte Energiewende
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Wuppertaler Forschungsprojekt SInBa