„Streiten ist der Sauerstoff der Demokratie“, sagt Michel Friedman betont, aber lächelnd. Dass eine Diskussion zum Thema „Unstimmigkeit“ auch positiv geführt werden kann, bewiesen die Initiatoren und ihre Gäste im vollbesetzten Urania Theater im Zuge des zweistündigen Events im Rahmen der Reihe #streitkultur nachdrücklich. Während im ersten Teil der Veranstaltung Friedmans Buch „Streiten? Unbedingt! Ein persönliches Plädoyer“ – in Auszügen vorgestellt von Schauspieler Andreas Kunz – sowie Fragen von WDR-Journalistin Melahat Simsek im Vordergrund standen, hatten nach der Pause auch Zuschauer die Möglichkeit zur aktiven Teilhabe an der Debatte.
Dass die Veranstaltung über ihren gesamten Verlauf das Prädikat eines respektvoll geführten Dialogs verdiente, lag auch daran, dass die Organisatoren auf Diskussionsteilnehmer mit kontroverseren Haltungen verzichtet hatten. Mit dem Musiker und Humanisten Jörg Pitschmann vom Netzwerk „Freiberg für alle“, dem vielfältig engagierten Autoren, Publizisten und Journalisten Friedman sowie Moderatorin Simsek traf sich dabei ein Trio, das in puncto politischer und philosophischer Einstellung harmonisch agierte, wenngleich die Unterschiede zwischen leisen und lauteren Tönen die Bühne zu einer One-Man-Show in Form eines rhetorisch imposanten Michel Friedman geraten ließen. Stellenweise erinnerte die Veranstaltung an ein (lehrreiches) Seminar über analytische Sprachphilosophie, denn Friedman demonstrierte die Bedeutung von Worten und Zeichen im Zusammenhang mit Kommunikation, auch und gerade trotz gegenläufiger Haltungen in der Gesellschaft. Demnach sei der Entwicklungs- und Reifungsprozess des Menschen ohne Streit undenkbar, selbst wenn dieser ein „We agree to disagree“ („Wir stimmen darin überein, geteilter Meinung zu sein“) hervorbringe, so der Honorarprofessor an der Frankfurt University of Applied Sciences. Einbezogen in den zeitlosen Kontext wurden ferner Gedanken zu aktuellen Themen wie der Ukraine-Krise, dem Sinn von olympischen Winterspielen im autoritären China, Corona-Impfgegnern, dem Potenzial der extremistischer Parteien und der Querdenker-Szene.
Pitschmann verwies dabei in seiner Eigenschaft als Repräsentant des demokratischen Netzwerks „Freiberg für alle“ auf ein essentielles Problem: „Wir werden von der AfD öffentlich beschimpft, die in Bezug auf die Wahlen rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Man hört diese Menschen sehr gut. Die restlichen 90 Prozent hört man jedoch nicht. Wir haben über die Themen ‚Impfgegner‘ und ‚Querdenker‘ nicht wirklich gestritten. Es waren meiner Ansicht nach zwei Monologe, die nebenher liefen.“
Die Kernaussage zum Sujet des Abends verlautbarte Michel Friedman: „Ich muss es nicht aushalten, dass jemand mir mein Menschsein abspricht, aber ich muss mich dagegen wehren. Die Anerkennung als Mensch ist nicht verhandelbar“, sagte der Jurist in Anlehnung an die Frage, ob es notwendig sei, auch mit Rassisten zu diskutieren. Friedman appellierte in seinen Schlussworten, sich für die Würde des Einzelnen zu engagieren. „Ich höre immer wieder die Frage ‚Was kann man tun?‘ Die Anwort lautet: Etwas tun!“, so Friedman, der an Oskar Schindler erinnerte: „Wenn Schindler in den Jahren 1942, 43, 44 so viele Leben retten konnte, was können wir in dieser freien Gesellschaft alles bewegen?“
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