Die Künstlerin SE Struck erarbeitet gemeinsam mit Choreografin Alexandra Knieps als Duo SEE! partizipative und intervenierende Installationen und Performances. Auch sie wurden in ihrer Arbeit seit März stark beeinträchtigt. Die Sommermonate, in denen plötzlich wieder so viel möglich schien, verblassen angesichts der aktuellen Zahlen und Regelungen. Wir haben mit SE Struck über die Proben- und Aufführungssituation am Beispiel der Produktion „Superversammlung/Superassemblage“ gesprochen, die im Oktober in der Tanzfaktur uraufgeführt wurde.
choices: Frau Struck. Sie haben „Superversammlung/Superassemblage“ mit dem Kollektiv SEE! auf die Bühne gebracht. Die drei Performerinnen setzen darin unterdrückte Stimmen frei, was manch einer mindestens als Herausforderung aufgenommen hat. Wie zufrieden sind sie mit dem Stück, so wie es zur Premiere aufgeführt wurde?
SE Struck: Zufriedenheit ist für mich keine Kategorie. Als Künstlerin und Regisseurin geht es für mich um die Auseinandersetzung mit den Dingen und Zuständen, die da sind. Wenn die Wirklichkeit ungemütlich ist, ist auch meine Arbeit ungemütlich. Das schätze ich an dieser Tätigkeit und genauso soll es sein. Momentan funktioniert in vielerlei Hinsicht die Welt nicht mehr, wie sie das noch vor einiger Zeit tat. Das gilt für die Arbeit und Existenz eines jeden.
Was bedeutet das speziell für sie?
Für mich als Kulturschaffende heißt das: Wenn man die Stücke von 2020 nach den Maßstäben von 2019 bewertet und betrachtet, offenbart sich darin auf frappierende Weise die neoliberale Doktrin, dass immer alles weitergehen muss, egal, wie die Dinge entstehen, egal, welche Folgen sie haben, egal, wie die Welt aussieht, in der wir uns befinden. Die Vorstellung, dass immer alles genauso weitergeht, weil wir es anders nicht aushalten können, genau das ist der Grund für den gesellschaftlichen, ökologischen und sozialen Stillstand, den wir betrachten können. Ich steh nicht auf Stillstand. Ich steh auf eine vorwärtsgewandte gerechte und wahrhaftige Welt.
„Ich bin sehr froh, dass ich in dieser Zeit produzieren konnte“
Wie zeigt sich dies im Stück?
Auf gespenstische Art und Weise hat sich genau diese veränderte Welt in die Performance „Superversammlung“ eingeschrieben. Kunst kann abbilden, in welcher Zeit wir uns befinden: Die aktuelle Atmosphäre, die auch den Zustand unserer Körper und unsere Möglichkeiten der Präsenz betrifft, finden sich gespiegelt in der Performance. Ich bin sehr froh, dass ich in dieser Zeit produzieren konnte und musste. Es sind sehr besondere, veränderte Bedingungen, mit denen wir umgehen müssen. Genau das zeige ich.
„Dass Schnelltests eine Sicherheit bieten, glaube ich nicht“
Unter welchen Bedingungen haben Sie konkret geprobt?
Als sich die Lage verschärfte, haben wir uns als Kollektiv dafür entschieden, während der Proben die Abstände einzuhalten; das verändert vieles. Denn eine physische Interaktion aller Performer und ihrer Körper ist ja wesentlicher Bestandteil des Produktionsansatzes von SEE!. Wir haben tagelang bei geöffneten Türen im Durchzug geprobt. Das war dann sehr ungemütlich. Und das hat natürlich einen direkten und sehr konkreten Einfluss auf die Performerinnen und ihre Arbeit. Auch wenn man es gewohnt ist, sich auf eine Bühne zu stellen und wenn man es gewohnt ist, sich einer Produktion anzuvertrauen, die sich immer wieder neu erfindet, heißt das nicht, dass man ein Roboter ist. Glücklicherweise.
Mit Masken zu proben, kam in diesem Fall sicher nicht in Frage?
Wir haben das in Erwägung gezogen – aber Masken wären schon ein heftiger Kommentar zum Thema unterdrückte Stimmen. Ich habe auch versucht, verantwortungsbewusst zu handeln: Dass Schnelltests eine Sicherheit bieten, glaube ich nicht; dieser Illusion braucht man sich nicht hinzugeben. Abstände sind meines Erachtens das Einzige, was wirklich hilft. Aber diese Suche nach den verstummten Stimmen ist auch eine emotionale Herausforderung, die unter diesen Bedingungen erschwert wurde. Man braucht auf diese Art eine ganz andere Konzentration. Ich habe mich gefragt, ob man das überhaupt machen sollte, in dieser Zeit ausgerechnet mit Stimme zu arbeiten.
Was war denn eigentlich vorgesehen, das nicht umsetzbar war?
Bis kurz vor der Premiere hatten wir einen Text von PeterLicht, der dann gestrichen wurde. Es sollten Musiker mit auf der Bühne sein und in Dialog mit den Tänzerinnen treten: Sebastian Stuber sollte Text und Musik verweben. Der Hamburger durfte jedoch auf Grund der strengen Regelungen gar nicht erst anreisen. Wir haben viel Zeit damit verbracht eine technische Umsetzung in Form einer Live-Übertragung zu finden, was am Ende aber nicht funktionierte. Auch das Publikum wäre auf der gleichen Ebene gewesen und würde miteinbezogen, wir hätten mehr im Sinne einer Installation gearbeitet. Dazu kommt der Gitarrist Ben Lauber, dessen Gitarrensound die Choreografien nun begleitet. Wir haben mit Stuber auch schon öfter zusammengearbeitet, er ist ein blinder Musiker. Dass er jetzt nicht dazukommen konnte, ist wirklich traurig und exkludiert solche Künstler nur noch mehr.
„Betrachtung von Diversität in der Gesellschaft“
Inklusion ist ein wichtiges Thema in Ihrer Kunst?
Mir geht es in meiner Arbeit um eine selbstverständliche Betrachtung von Diversität in der Gesellschaft. Ich möchte das nicht einem Label zuordnen, das hieße ja, wir machen etwas Besonderes. Und das wäre dann das Gegenteil von Inklusion. Das ist ein Dilemma, das sich überall offenbart, wo Inklusion angestrebt wird. Wir sind gerade auf einem guten Weg, um mehr in die Sichtbarkeit von Diversität zu kommen. „Inklusion“ ist jedoch kein Begriff, mit dem ich eine gleichberechtigte Zusammenarbeit beschreiben möchte. Dieses Wort sollte idealerweise gar nicht vorkommen. Alle sind eigenständige, freie Künstler und Teil des SEE!-Kollektivs.
Das Forschen an unterdrückten Stimmen ist gerade aktuell von hoher Brisanz. Viele Emotionen und Bedürfnisse müssen derzeit unterbunden werden. Fiel die Entscheidung für dieses Thema genau aus diesem Grund?
Es war mir wichtig gerade jetzt, das stimmt. Aber die Idee für die Performance war schon anderthalb Jahre vorher da. Und wir arbeiten auch jetzt noch weiter an diesem Projekt, suchen weiter. Es wird einen zweiten Teil geben, auch weil uns das Thema nun auf mehreren Ebenen beschäftigt. Die Proben gehen weiter und auch der Musiker Sebastian Stuber wird nicht ersetzt. Wir passen die Proben weiter an die Bedingungen an.
Wie arbeiten Sie jetzt weiter an der „Superversammlung“?
Wir proben hauptsächlich über Zoom, das ist vor allem Besprechung und Komposition. Es gibt eine Residenzphase im Tanzhaus NRW in Düsseldorf. Im Frühjahr sind dort nach dieser zweiten Arbeitsphase weitere Vorstellungen im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Unacknowledged Histories“ geplant. Ich hoffe sehr, dass es dann möglich ist, wie geplant in einem demokratischen Bühnenraum ohne Zuschauertribüne vor Publikum zu performen.
Werden Sie vom Land finanziell unterstützt?
Wir sind seit 2019 ausgewählt für die Spitzenförderung NRW, eine dreijährige Ensembleförderung. Dafür sind wir sehr dankbar, so haben wir im Grunde ein Jahresbudget und können mit dem Geld weiter planen. Wir sind froh, dass das in NRW möglich ist.
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