Seekühe sind ein Symbol für Freiheit. Sie schwimmen zwischen Florida und Kuba hin und her, brauchen keinen Pass oder Reisgenehmigung. Gleichzeitig sind sie vom Aussterben bedroht – wie wir alle, wenn der Klimawandel nicht ausgebremst wird. Bettina Blümner hat selbst auf Kuba gelebt. Sie studierte dort an der von dem kolumbianischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Gabriel García Márquez mitgegründeten Escuela Internacional de Cine y Televisión. Als sie am 24. April zur Vorführung ihres Films „Vamos a la playa“ in der Filmpalette mit Moderatorin Cornelia Köhler spricht, erzählt sie von den besonderen Dreharbeiten auf Kuba und den Schwierigkeiten, eine Drehgenehmigung zu erhalten. „Aber als wir die Drehgenehmigung dann endlich hatten, gab es quasi keine Einschränkungen mehr. Das war kaum zu glauben.“ In „Vamos a la playa“ reisen die drei Studierenden Katharina, Benjamin und Judith nach Kuba, um Katharinas Bruder Wanja zu suchen, der dort aus Forschungsgründen auf der Suche nach Seekühen war.
Die Zuschauer:innen werden mitten in den Plot geworfen, erst nach und nach wird klar, in welcher Verbindung die Figuren zueinander stehen und was sie vorhaben. Während der Titel „Vamos a la playa“, die warmen Farben und der leichte Habitus der Figuren zunächst einen harmlosen, unterhaltsamen Coming-of-Age-Film erwarten lassen, wird schnell deutlich, dass neben der persönlichen Charakterentwicklung der jungen Menschen zwischen Liebe und Selbstverwirklichung grundlegendere Fragen zu Geld und Macht, globalen Hierarchien, Feminismus und Körperlichkeit aufgeworfen werden.
In einer Szene bietet Katharina einem jungen Kubaner Geld dafür an, etwas zu essen, das ihn abstößt. Als er zögernd auf die Scheine blickt, genießt sie förmlich die Macht, die ihr das Geld in diesem Moment beschert. Von dem Angebot, für ein einziges unliebsames Salatessen das monatliche Gehalt einer Ärztin oder eines Lehrers zu erhalten, das in Kuba 2018 bei circa 20 bis 60 Euro im Monat lag (Quelle: Deutschlandfunk), würden sich wohl viele hinreißen lassen. Die Art und Weise, wie dadurch gleichzeitig die Würde eines Menschen verletzt wird, erinnert an die filmische Inszenierung perverser Machtspiele in Produktionen wie „Squid Game“ (2021) oder „Triangle of Sadness“ (2022) und führt die Abgründe des Kapitalismus vor Augen, der über den Tourismus auch in ein sozialistisches Land Einzug erhält.
Die Salat-Szene steht sinnbildlich für dieses Ungleichgewicht, das auch den Sextourismus auf Kuba boomen lässt. Prostitution ist zwar offiziell verboten, aber für umgerechnet 45 bis 75 Euro, also zum Teil mehr als das Doppelte eines normalen Monatsgehaltes, bieten in vielen Bars Sexarbeiter:innen ihre Dienste an. Das wird auch im Film thematisiert: Als Judith sich in einen Kubaner verliebt, mit dem sie kaum verbal kommunizieren kann, aber eine „schöne Zeit“ am Strand oder über den Dächern der Stadt verbringt, wirft der eifersüchtige Benjamin ihr vor, Sextourismus zu betreiben. Tatsächlich erfolgt gerade bei weiblichem Sextourismus die Bezahlung nicht immer monetär, sondern auch in Form von Geschenken, Essen oder anderen Zuwendungen. Bei monetärer Bezahlung fließt oft ein großer Anteil an internationale Zuhälter aus Mexiko, Spanien, Italien oder Russland, die den Sextourismus organisieren und Staatsbedienstete in noblen Hotels in Havanna und anderen Großstädten Kubas bestechen (Quelle: Internationale Gesellschaft für Menschenrechte).
In einer darauf anspielenden Szene spricht Katharina eisessend einen Mann auf der Straße an, um ihn für ein sexuelles Abenteuer zu gewinnen, ohne jedoch irgendwelche Anhaltspunkte dafür zu haben, dass es sich bei dem gut gekleideten Mann um einen Sexarbeiter handelt. Wie Bettina Blümner verrät, ist dieser in Wirklichkeit ein kubanischer Telenovela-Star, den sie für einen Gastauftritt in „Vamos a la playa“ gewinnen konnte. Insgesamt hat sie für den Film neben den deutschen Beteiligten mit einem Team aus kubanischen Drehbuchtautor:innen und Schauspieler:innen zusammengearbeitet. Sie erzählt, dass die Kompars:innen und Darsteller:innen für die Nebenrollen vor Ort selbst in Kooperation mit der Filmhochschule ausgewählt wurden, weil es keine Casting-Agentur auf Kuba gebe. Sowohl die die drei Hauptrollen mit Leonard Scheicher, Victoria Schulz und Maya Unger, als auch die Nebenrollen sind sehr gut besetzt und überzeugen mit einer realitätsnahen Performance, die auch Improvisationsanteile enthält.
„Vamos a la playa“ wurde mit einem kleinen Budget gedreht, ist aber großes Kino. Und auch wenn die Seekuh am Ende nicht wirklich auf Kuba gesichtet wurde, wirkt die Montage glaubwürdig, wie auch der gesamte Film. Sehenswert!
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