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Lea Leimann zu Gast in der Filmpalette

Entdemokratisierung der Milchwirtschaft

24. Januar 2018

„Das System Milch“ in der Filmpalette – Foyer 01/18

Dienstag, 23. Januar: Dass in der europäischen Milchproduktion seit Jahren schon einiges im Argen liegt, ist kein Geheimnis. Milchbauern bewegen sich am Existenzminimum, während die Produktion von Produkten aus Milch auf dem internationalen Markt kontinuierlich zunimmt. Die Hintergründe und fragwürdigen Verflechtungen innerhalb der Branche bereitet Andreas Pichlers Film „Das System Milch“ sehr anschaulich auf. Der im September 2017 angelaufene Kinofilm wurde nun in der Reihe „Grünes Kino“, die seit mittlerweile fast zehn Jahren auf Initiative des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Arndt Klocke in Köln veranstaltet wird, in der Filmpalette noch einmal aufgeführt, mit anschließender Diskussion mit Experten zum Thema. Der Andrang im Eigelsteiner Kino war dermaßen groß, dass nicht mehr alle Interessierte Zugang in den ausverkauften Saal fanden. Für Klocke ein sicheres Zeichen, dass „Milch offensichtlich ein heißes Thema“ ist. Der Moderator begrüßte nach der Projektion vor Ort seinen Grünen-Kollegen Norwich Rüße, Mitglied des Landtags und Experte für Naturschutz, Landwirtschaft, Tierschutz und Ernährung, die Konditorin Lea Leimann, die sich in der Kölner Slow Food Jugend engagiert, und den Milchbauern Heiner Trimborn aus dem Rheinland, aus dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter.

Moderator Arndt Klocke

Alle Anwesenden waren sich einig, dass es Filmemacher Andreas Pichler sehr gut gelungen sei, die Problematik umfassend und sachlich korrekt aufzuarbeiten. Obwohl die drei Experten gut mit der Situation vertraut sind, machte „Das System Milch“ auch sie noch staunen. So sagte Norwich Rüße: „Am meisten erschreckten mich die Manager der Milchkonzerne, bei denen ich keinen großen Unterschied zu Stahlmanagern erkennen konnte. Die sind austauschbar, und mittlerweile ganz weit weg von den Bauern, die sie eigentlich vertreten sollten.“ Somit ist eines der Grundprobleme hausgemacht, denn der Bauernverband, der in der Theorie demokratisch aufgebaut sein sollte, sei in der Praxis streng von oben nach unten strukturiert. „Der Bauernpräsident sucht sich seine Mitstreiter aus. Kritische junge Landwirte sind auf den Versammlungen schnell genervt und werfen das Handtuch“, so Rüße weiter. So sind den Zentralisierungsbestrebungen im Molkereisektor Tür und Tor geöffnet, und durch die Monopolisierung und die immer größer werdenden Strukturen schleiche sich immer mehr eine Entdemokratisierung ein. Heiner Trimborn hat einen Mischbetrieb mit 60 Milchkühen, ohne sein zweites Standbein könnte er längst nicht mehr als Milchbauer arbeiten. „Damit ein Betrieb halbwegs rentabel sein kann, muss ein Bauer mindestens 120 Kühe in seinem Stall haben. Pro Kuh kann man im Jahr rund 35 Arbeitsstunden veranschlagen, was sich im Jahr auf über 4000 Arbeitsstunden summiert. Das kann ein Familienbetrieb nur sehr schwer leisten“, erläuterte Trimborn. Die Selbstausbeutung der Landwirte sei die Folge. Aber auch die Tiere würden immer mehr ausgebeutet, da ihre zu erbringenden Leistungen durch genetische Veränderungen immer mehr auf die Spitze getrieben würden. Auch dafür waren im Film Beispiele zu sehen.

Milchbauer Heiner Trimborn

Für Lea Leimann ist das eine inakzeptable Entwicklung. Sie setzt sich bei Slow Food für den Erhalt alter und besonderer Rassen ein und propagiert die Biodiversität. Auch die Verschwendung von Lebensmitteln durch die ständige Überproduktion, um die Preise am Boden zu halten, der enorme Einsatz von Pestiziden und die Land- und Wasserverschwendung sind ihr ein Dorn im Auge. Doch als Konditorin weiß Leimann auch, dass es nahezu unmöglich ist, aus dem immer enger werdenden Geflecht der Monopolisierung in der Milchindustrie auszubrechen. Sie berichtet: „Als weiterverarbeitendes Unternehmen ist man auf die Produkte der großen Molkereien angewiesen. Möchte man bei lokalen Molkereien einkaufen, werden einem enorme Hürden in den Weg gelegt.“ Das Deutsche Milchkontor DMK sei hierzulande die größte Molkerei, „und auch die schlechteste, das kann man ruhig so sagen“, führt Norwich Rüße aus. Denn das DMK zahle den Milchbauern am wenigsten pro abgegebenem Liter Milch. „Aber die Bauern haben keine Alternativen mehr. Durch die ständigen Fusionierungen und die fortschreitende Monopolisierung haben viele Bauern in ihrer erreichbaren Umgebung nur noch eine Molkerei, die sie beliefern können, und sind deswegen erpressbar geworden“, ergänzt Rüße. Allein in den letzten beiden Jahren hätte in Deutschland jeder zehnte Milchbauer seinen Betrieb eingestellt, in Frankreich sei die Selbstmordrate unter den Milchbauern drastisch angestiegen. „Der Bundesverband der Milcherzeuger versucht seit 20 Jahren, europaweit die Milchproduktion einzuschränken, damit der Preis für Milchprodukte steigt und die Bauern zumindest kostendeckend arbeiten können“, so Heiner Trimborn. Aber die Feindschaften zwischen den Milchbauern, die in diesem Prozess ganz bewusst gegeneinander ausgespielt werden, erschwere hier eine Einigung. Deswegen müsse die Politik in diese Richtung arbeiten und eine weitere Konzentration am Markt verhindern. Und jeder einzelne könne seinen Beitrag leisten, indem er beim Einkauf auf Bioprodukte zurückgreife oder, besser noch, „Die faire Milch“ in den Einkaufswagen packe. Der Film ist übrigens auch in der arte-Mediathek abrufbar.

Norwich Rüße und Lea Leimann beim Publikumsgespräch
Text/Fotos: Frank Brenner

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