Donnerstag, 1. Februar: Noch bis zum Sonntag, den 4. Februar 2018, läuft in Köln das Dokumentarfilmfest „Stranger than Fiction“. Neben zahlreichen internationalen Filmen, die das Publikum mitnehmen auf eine Reise in die USA, nach Großbritannien, Chile oder Brasilien, gibt es beim Festival traditionell auch einen Programmschwerpunkt mit neuen Produktionen aus Nordrhein-Westfalen. Dazu zählte in diesem Jahr auch die Präsentation des zweiten Teils einer „kleinen Reise durch den deutschen Film“, wie Festivalleiter Joachim Kühn „Offene Wunde deutscher Film“ bei seiner Ankündigung bezeichnete. Darin nahmen die Co-Regisseure Dominik Graf und Johannes Sievert ihren Faden von 2016 wieder auf, als sie mit „Verfluchte Liebe deutscher Film“ mit einer Chronologie unterschätzter deutscher Genrefilme auf Festivals erfolgreich waren. Im ersten Teil hatten sie uns die Welt deutscher Genreregisseure nähergebracht, die oftmals von Filmkritikern belächelt und von Filmhistorikern unter den Tisch gekehrt worden waren. Der Filmessay schloss ca. im Jahr 1980, als Roland Klick die Inszenierung von „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ abgab, weil er mit dem gleichermaßen großen Ego des neuen deutschen Erfolgsproduzenten Bernd Eichinger aneinandergeraten war.
Das Anliegen der beiden Regisseure bestand nun darin, auch die folgende Dekade bis zur deutschen Wiedervereinigung noch chronologisch abzudecken und einige weitere Regisseure zu erwähnen, die im ersten Teil zu kurz gekommen oder gänzlich der Schere zum Opfer gefallen waren. Beim Gespräch mit Joachim Kühn in der Kölner Filmpalette erzählte Johannes Sievert nach der Projektion seines Films: „Sowohl Dominik Graf als auch ich hatten nach dem ersten Teil noch jeder rund 25 Filme auf der Liste, die wir nicht unterbekommen hatten. Ich war beispielsweise gleichermaßen schockiert und begeistert von den Filmen Jürgen Goslars, die mir Dominik nahegelegt hatte und die ich überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt hatte.“ Goslars Rhodesien-Filme „Der flüsternde Tod“ und „Die Sklavenjäger“ sind deswegen nun in „Offene Wunde deutscher Film“ unter den ausführlicher vorgestellten Filmen zu finden. Konnten die Regisseure im ersten Teil bezogen auf die 1960er und 1970er Jahre eine Fluchtbewegung deutscher Talente in Richtung Italien konstatieren, setzte ihrer Meinung nach dann in den 1980er Jahren eine Flucht in die USA ein. Im Film wird das an den Karrieren von Wolfgang Petersen und Carl Schenkel deutlich gemacht. Sievert freute sich beim anschließenden Publikumsgespräch, dass es Petersen mit seinen Filmerfolgen schließlich gelungen sei, seinen Jugendtraum in Erfüllung gehen zu lassen. Er erläuterte: „Petersen ist schließlich mit ‚In the Line of Fire‘ genau dort angekommen, wo er hinwollte, denn amerikanischer hätte dieser Film eigentlich gar nicht werden können.“ Das wollte Sievert aber durchaus auch positiv verstanden wissen, zumal man bereits in Petersens frühen deutschen Fernseharbeiten visuelle Einflüsse aus dem amerikanischen film noir hätte erkennen können.
Einige Zuschauer hatten nach der Projektion von „Offene Wunde deutscher Film“ und auch angesichts des Titels des Films den Eindruck, dass dessen Quintessenz darin bestünde, dass in Deutschland nach wie vor kein Genrekino möglich sei und den Talenten auf diesem Gebiet lediglich die Flucht in andere Länder bliebe. Johannes Sievert betonte allerdings, dass er das anders einschätze: „Unser Anliegen war es nicht, unser Publikum mit einem schlechten Gefühl zu entlassen, sondern ihnen Filme zum Entdecken mit auf den Weg zu geben“. Er versprach auch, in den nächsten Wochen auf der Website seiner Produktionsfirma „Augustin Film“ eine Übersicht der Filme zusammenzustellen, die in „Offene Wunde deutscher Film“ zitiert oder erwähnt werden. Sievert und Dominik Graf sind sicherlich die Richtigen, den interessierten Zuschauern einen solchen Kanon an die Hand zu geben, denn beide Regisseure waren schon seit jeher eher Anhänger von „schmutzigerem Kino mit mehr Blut und mehr Actionszenen“ und konnten mit dem renommierten Autorenkino herzlich wenig anfangen. „Das sogenannte Autorenkino und diese Art von Filmen waren mir immer zu verkopft“, führte Sievert weiter aus. Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich oder Italien hätten die meisten mit Unterhaltungsfilmen in Deutschland allerdings immer ihre Probleme gehabt. Dass hier nicht jeder Film gut sei und weiterempfohlen werden könne, läge aber ebenfalls auf der Hand. „Genrekino muss als Maschinerie funktionieren. Erst, wenn dreißig Filme in einer Art produziert werden können, kann man von der Marke Genrekino sprechen. Da versteht es sich dann aber auch von selbst, dass vielleicht fünf Filme darunter sind, die nicht so gut funktionieren, die dann aber vom Erfolg der anderen mitgetragen werden“, so der Regisseur.
Dass auch im Jahr 2018 deutsches Genrekino möglich ist, möchte Johannes Sievert nun höchstpersönlich beweisen. Mit „Rewind – Die zweite Chance“ hat er gerade in Köln seinen ersten Spielfilm inszeniert, den er selbst als einen Science-Fiction-Thriller bezeichnet, und der im Mai von Joachim Kühns RealFiction-Filmverleih in die Kinos gebracht werden soll.
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