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Foto: Lisa Jureczko

„Gerade jetzt sind Kunst und Kultur von hoher Bedeutung“

01. Mai 2020

Patrick Schmeing, Geschäftsführer der Bundeskunsthalle, über digitale Bilderwelten – Interview 05/20

Heraus zum 1. Mai. Denn der Kapitalismus prägt unser Denken, Fühlen und Dasein seit Jahrhunderten. Das behauptet in der Bonner Bundeskunsthalle die Ausstellung „Wir Kapitalisten – Von Anfang bis Turbo“, und sie behauptet auch Rationalisierung, Individualisierung und ungebremstes Wachstum. Die „DNA des Kapitalismus“ sei im übertragenen Sinne längst Teil unserer eigenen DNA geworden. Wenn das Greta hört! Museen lassen sich im virtuellen Raum sehr gut darstellen, das sieht man am 360-Grad-Rundgang durch diese Ausstellung im Internet. Mit der Maus durch die heiligen Hallen voll mit Objekten aus Kunst, Geschichte und Alltagskultur. Und mittendrin Maria der Maschinenmensch, was schon leicht nach Befreiung riecht. Irgendwo versteckt sich sicher auch das Covid-19-Virus. Gefunden habe ich es beim Surfen noch nicht – ist eben winzig, diese Geißel des Kapitalismus. Hoffen wir also auf die verschobene Ausstellung „Fragments from Now. For an Unfinished Future“ in der vierzehn junge Kuntstipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung zeitgenössisch-künstlerisch Position beziehen und so als Teil eines übergreifenden gesellschaftlichen Diskurses verstanden werden wollen.

choices: Herr Schmeing, Geschäftsführer in einem bis auf weiteres geschlossenen Museum zu sein, ist keine schöne Vorstellung, oder?

Patrick Schmeing: Das stimmt. Seit 14. März ist die Bundeskunsthalle wie alle öffentlichen Kulturbetriebe geschlossen. Wir folgen damit dem Erlass des Landes NRW und den Maßgaben der Stadt Bonn und wir hoffen, bald wieder die Türen öffnen zu können. Aber das hängt natürlich von der weiteren Entwicklung und den Vorgaben der Behörden ab. Gesundheit geht natürlich allemal vor.

Wie reagiert das Haus denn jetzt darauf. Mit Online-Angeboten?

Glücklicherweise sind wir im digitalen und filmischen Bereich seit vielen Jahren sehr gut aufgestellt und bieten vielfältige Formate an. Unsere Film- und Videoproduktionen sind gerade jetzt besonders gefragt und wir produzieren weiterhin diverse Formate. Zur aktuellen Beethoven-Schau bieten wir zum Beispiel einen kurzen Ausstellungsfilm im Internet an,der auch englisch untertitelt ist. Zudem wird es einen virtuellen 3D-Rundgang durch die Ausstellung geben sowie kurze Filmclips, sogenannte „Spots“ auf bestimmte Themen der Ausstellung. Zur aktuellen „Wir Kapitalisten“-Ausstellung haben wir ebensolches im Programm. Auch hier haben wir einen kurzen Ausstellungsfilm „Behind the Art“ realisiert. Zudem gibt es einen weiteren knapp halbstündigen Ausstellungsfilm mit den beiden Kuratoren Henriette Pleiger und Wolfger Stumpfe, der alle Themen und Aspekte der Ausstellung sehr gut vorstellt.

Geht man jetzt wenigstens mal alleine durch die Heiligen Hallen?

Ja, aber das tue ich auch im Normalbetrieb regelmäßig außerhalb der Öffnungszeiten, zum Beispiel mit Handwerkern und Gästen.

Muss jetzt nicht die Ausstellung „Wir Kapitalisten – Von Anfang bis Turbo“ auf die Corona Pandemie erweitert werden, die die Verletzlichkeit der Märkte ja schon zeigt?

Auf die aktuelle Corona-Krise gehen wir in unserem Ausstellungsfilm ein. Eines der Grundmerkmale des Kapitalismus ist, dass er in Krisen neue Kraft schöpft. Für bedeutende Ökonomen wie beispielsweise Joseph Schumpeter war dieser Prozess der schöpferischen Zerstörung das, ich zitiere ihn mal: wesentliche Faktum. Darin bestehe der Kapitalismus und darin müsse auch jedes kapitalistische Gebilde leben. Die Corona-Krise ist auch ein Hinweis auf die starke Ich-Bezogenheit des Systems. Es erschreckt zu sehen, dass, wenn die vermeintliche oder echte Bedrohung uns persönlich ängstigt, mit unglaublicher Dynamik bis dato unvorstellbare Maßnahmen und Finanzierungen möglich sind, die zur Linderung von Leid und einer vielleicht sehr viel realeren Bedrohung anderer, zum Beispiel denen der Geflüchteten, niemals akzeptiert worden wären.


Martin Parr, Ohne Titel (The Last Resort), 1983–1986, Tate, London, aus der Ausstellung „Wir Kapitalisten“

Dass man Theater schließt kann ich verstehen, bei Museen bin ich mir angesichts von Supermarkt-Besuchen nicht sicher. Da ließe sich doch Abstand spielend erzeugen?

Auch wir halten uns an die vorgegebenen Richtlinien und möchten einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Distanzwahrung leisten. Mitte März mussten wir das Haus sehr kurzfristig schließen. Natürlich überlegen wir nun, auch gemeinsam mit anderen Museen, unter welchen Bedingungen wir möglichst bald wieder öffnen können. Der von Ihnen genannte Abstand ist dabei ein wichtiger Aspekt. Aber es geht auch um Information, Prävention, Hygiene und Aufsicht. Die für alle geltenden Vorgaben müssen aber zunächst von den Behörden kommen.

Was denken Sie, wie kann man in kontaktfreien Zeiten die Bevölkerung überhaupt noch mit Kunst und Kultur versorgen, ist die letzte Ausfahrt die in Virtuelle Welten?

Die Angebote in der virtuellen Welt sind sicher das beste Mittel, um Interessierte weiterhin zu informieren und zu begeistern. Gerade jetzt sind Kunst und Kultur für eine Gesellschaft von hoher Bedeutung. Wir ich bereits ausführte, bieten wir ein breites Spektrum an digitalen Angeboten, das sehr gut angenommen wird. Wie ich unlängst erfuhr, ist unsere Kooperation mit dem ZDF zur Beethoven-Ausstellung in der Digitalen Kunsthalle äußerst erfolgreich: mit 40.000 Visits bisher sind die Click-Zahlen sehr hoch.

Und – wollen die Einwohner das überhaupt?

In solchen Krisen geht es immer auch um Geld. Wie verhält sich die Bundesregierung? Für viele Kulturbetriebe und Kulturschaffende brechen durch die Corona-Krise die Einnahmen weg bis hin zur Existenzgefährdung. Hier muss schnell und unkompliziert Erste Hilfe kommen. Ich habe den Eindruck, Bund und Länder aber auch die Städte und Kommunen haben das erkannt. Mittlerweile gibt es gute Initiativen und Angebote.

Letzte wichtige Frage: Wer kriegt das Toilettenpapier aus den jetzt geschlossenen Toiletten des Hauses?

Das liegt dort, wo es ist, gut und wird Abnehmer finden, wenn unser Haus wieder geöffnet sein wird.

Interview: PETER ORTMANN

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