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Das Café Jakubowski während der Mülheimer Nacht

Mülheim am Scheideweg (1)

28. April 2018

Veedel zwischen Aufbruch und Gentrifizierung – Spezial 05/18

Kommt man vom Linksrheinschen nach Mülheim, landet man unweigerlich irgendwann am Wiener Platz. Die Straßenbahnlinien 18 und 13 steuern von Bonn und Ehrenfeld aus an. Die 4 kommt aus der Innenstadt, vorbei an der Deutzer Messe, ebenfalls hier zum Stehen. „2020“ prangt in großen roten Lettern über dem Platz – ein großes Strukturförderprogramm, unter anderem finanziert von der EU, das die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Attraktivität des Viertels vergrößern sollte. Bis 2020 soll Mülheim in neuem Glanz erscheinen. Fährt man die Rolltreppe der Bahnhaltestelle hoch, ist davon nicht viel zu sehen. Der Wiener Platz wird neben Ebertplatz und Friesenplatz gerne als „Brennpunkt“ bezeichnet. Hier versammelt sich rund um die Uhr die Trinker- und Drogenszene. Es geht rau zu, oft wird es lauter. Vor kurzem wurde beschlossen, die Polizeipräsenz zu erhöhen.


Wiener Platz

Vom Wiener Platz aus sind es keine 10 Minuten Fußweg bis zum Rhein. Geht man die Buchheimer Straße entlang, wandelt sich die Szenerie. An der Ecke Wallstraße befindet sich das Café Vreiheit. Direkt gegenüber steht die altehrwürdige Friedenskirche, die in Zeiten erbaut wurde, als Mülheim noch weit davon entfernt war, von Köln eingemeindet zu werden. Spaziert man durch die Wallstraße und weiter unten am Café Jakubowski vorbei an den Rhein, zeigt sich eine andere Seite von Mülheim: schicke Cafés, Schokomanufakturen, hippe Kneipen. Stellenweise kommt man sich vor, als würde man nicht auf der Schäl Sick, sondern in einem der gentrifizierten schicken Hot Spots wie dem Belgischen Viertel spazieren.

Mülheim ist ein zerstückeltes, ein geteiltes Viertel. Es kursieren viele dieser Einschätzungen und Abgrenzungen unter den Einwohnern: Da ist die Rede von der „guten Seite“, die den Rheinboulevard, die Cafés und Bars beherbergt und die vom Clevischen Ring abgegrenzt wird. Auf der „schlechten Seite“, dem Mülheimer Norden, da ist die Berliner Straße, da sind die sozialen Missstände. Dann gibt es noch die Schanzenstraße mit seinen Medienunternehmen und dem Schauspiel, oder die von türkischer und kurdischer Kultur geprägte Keupstraße mit ihrer sich noch in der Aufarbeitung befindlichen tragischen Geschichte.


Clevischer Ring

Silvia Beuchert, Veranstalterin der Mülheimer Nacht, weiß um diese Ambivalenzen. Seit 2006 ist sie Besitzerin des Café Jakubowski, noch länger wohnt sie im Viertel. 2009 setzte sie sich mit den wenigen anderen Gastronomen des Viertels zusammen. Man wollte etwas für Mülheim tun. So entstand die Idee zur Mülheimer Nacht. Von Anfang an stand dabei auch Vernetzung im Vordergrund: „Am Anfang waren wir neun Locations. Dieses Jahr haben wir 28. Es soll aber nicht unbedingt noch größer werden. Es gibt diese Perlenkette, die sich von der Mütze auf der Berliner Straße bis nach unten an den Rhein zieht. Die soll auch so erhalten bleiben. Das Gute ist, dass wir uns mittlerweile alle kennen. Es soll keine Veranstaltung werden, bei der man nicht mehr weiß, wer daran teilnimmt.“

Mülheimer Norden: das Sorgenkind

Geht man diese „Perlenkette“ ab, kriegt man ein Gefühl für die großen Umbrüche, die sich momentan in Mülheim vollziehen. Die Mütze, mitten auf der Berliner Straße gelegen, bildet den Ausgangspunkt. Sie ist schon seit den 70er Jahren nicht nur kultureller, sondern vor allem auch sozialer Ankerpunkt vieler Anwohner: Es gibt ein Café, Räumlichkeiten für Veranstaltungen, aber auch ein Sozialkaufhaus und Beratungsangebote für alle Lebenslagen. Sie wird zwar von der Stadt gefördert, lebt aber hauptsächlich vom starken ehrenamtlichen Engagement seiner Mitarbeiter. Neben der Mütze gab es auf der Berliner Straße lange nur noch den Kulturbunker. Auch hier stehen neben Kulturangeboten die Begegnung zwischen den Kulturen und sozialen Schichten des Viertels im Mittelpunkt.


Der Kulturbunker zur Mülheimer Nacht

Der Mülheimer Norden ist seit jeher das Sorgenkind des Stadtteils: mit einer Arbeitslosenquote von 25 % und einem Migrantenanteil von 42 % verdichten sich hier die sozialen Schieflagen. Das weiß auch die Stadt. Im Rahmen des Strukturförderprogramms „2020“ wurden auf der Berliner Straße die Fahrbahnen verengt und die Gehwege ausgebaut. Eine Einkaufsstraße sollte hier entstehen. Das Bild prägen aber weiterhin Wettcafés und Spielotheken – doch jetzt soll hier gebaut werden. Auf dem ehemaligen Güterbahnhof zwischen Schanzenstraße und Markgrafenstraße soll bis 2024 ein riesiges Projekt realisiert werden: Auf 160.000 Quadratmeter entsteht eine moderne Bürowelt. Die Projektentwickler und Investoren der Art-Invest Real Estate und der OSMAB Holding AG tauften das Projekt „I/D Cologne“ und sprechen von dem „derzeit größten und modernsten Bauprojekt in Köln“. Die „neue Industrie“ soll hier angesiedelt werden: hochausgebildete Akademiker, die in der digitalen Dienstleistungswirtschaft arbeiten. Ein Prestigeprojekt für das Viertel. Doch es gibt auch Skepsis.

Anfang dieses Jahres gründete sich der „Ein Raum für Mülheim e.V.“. Auf der Von-Sparr-Straße, direkt an der Berliner Straße gelegen, wurde eine alte Kneipe geschlossen. „Nachdem der Betrieb eingestellt wurde, entschied sich der Eigentümer gegen Angebote, die dort die nächste Spielothek entstehen lassen würden“, erzählt Reentje Streuter, Mitglied des Vereins. „Vielmehr setzte er sich dafür ein, dass dort ein Projekt entsteht, welches angesichts der sozialen Situation des Viertels tatsächlich etwas für die Menschen tut und ihnen nicht nur das Geld aus der Tasche zieht. Er ist daher auf einige unserer jetzigen Mitglieder zugekommen und hat ihnen angeboten, ihnen das Lokal für einen symbolischen Euro Pacht zu überlassen.“ Ziel sei es „den Menschen in Mülheim einen Raum zu geben, den sie mit Leben füllen können“.


Bürgerstube – Ein Raum für Mülheim

Neben Konzerten und Lesekreisen gibt es hier auch politische Veranstaltungen gegen Rechts. Prinzipiell ist jeder eingeladen sich zu beteiligen. Während der Mülheimer Nacht werden hier Hip-Hop-Konzerte von (ehemaligen) Lokalmatadoren gegeben. Noch wirkt alles sehr provisorisch, den Mitgliedern ist ihr Tatendrang aber anzumerken. „Sobald das Geld für ein neues Schild da ist, werden wir eine Mitgliederversammlung abhalten und über einen Namen für das Lokal entscheiden“, so Streuter.

Den Bau am Güterbahnhof sieht der Verein kritisch: „Wir bedauern sehr, dass dort lediglich Gewerbe entstehen soll und befürchten, dass gerade der Teil Mülheims, in dem sich unser Lokal befindet, durch Mietpreisanstieg stark gentrifiziert werden wird“, sagt Streuter. „Irgendwo müssen die Menschen, die dort dann arbeiten, ja auch wohnen, und da bieten sich die schicken Altbauwohnungen in unmittelbarer Nähe natürlich an. Dort leben aber bereits Menschen, die dann Platz machen müssten. Wir sprechen uns also explizit dafür aus, dass auf dem Gelände neben Gewerbe auch bezahlbarer Wohnraum entsteht.“

So wie Streuter geht es vielen Akteuren, die sich im Mülheimer Norden sozial und kulturell engagieren. Das Bauprojekt bringt frischen Wind und frisches Geld in das Viertel. Die kulturellen Einrichtungen werden profitieren. Doch was passiert mit den Leuten, die hier leben? Noch versuchen verschiedene soziale Einrichtungen und Bürgerinitiativen auf die OSMAB Holding AG einzuwirken. Etwas an den Bauplänen ändern, wird es wahrscheinlich nicht mehr.

Zu Teil 2: Mülheimer Freiheit und Mülheimer Süden

Text/Fotos: Florian Holler

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