Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.583 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Denkmal-Entwurf von Ulf Aminde für die Ecke Schanzenstraße/Keupstraße
Bild: © ulfaminde 2018

Mahnmal der Schande

12. April 2018

Verpfuschtes Gedenken an NSU-Opfer – Theaterleben 04/18

Ein Fahrrad. Eine Nagelbombe auf einem Gepäckträger. Am 9. Juni 2004 riss der Nagelbombenanschlag des rechtsradikalen NSU über Nacht tiefe Wunden bei den direkt Betroffenen in der Mülheimer Keupstraße. Der Terroranschlag, bei dem 18 Menschen schwer verletzt und etliche Geschäfte zerstört wurden, riss tiefe Wunden in das vertrauensvolle, friedliche Zusammenleben im durch Türken, Kurden, „waschechte“ Kölner und Imis geprägten Stadtteil Mülheim wie auch in der ganzen Stadt – nein, der gesamten Bundesrepublik. Statt die Tat und ihren rechtsradikalen Hintergrund schnell aufzuklären, schlossen Politik und Ermittlungsbehörden sieben Jahre lang einen rechtsradikalen Hintergrund aus und es rückten gar die Anwohner selber ins Zentrum der Verdächtigungen und Ermittlungen. Die Opfer wurden zu Tätern abgestempelt.

Das Kölner Schauspiel, das sich interimsweise an der Schanzenstraße eingemietet und über die künstlerische Arbeit sehr um den Kontakt zu den in der Umgebung lebenden Kölnern mit ausländischen Wurzeln bemüht hatte, reagierte auf den Anschlag mit einem herausragenden Theaterprojekt von Nuran David Calis: „Die Lücke“ basierte auf einer einjährigen Recherche des Autors und Interviews mit den Anwohnern der Keupstraße und näherte sich sehr sensibel und aufrüttelnd dem ungeheuerlichen Geschehen. Schauspieler und Betroffene stehen in „Die Lücke“ – vielleicht dem herausragenden Theaterabend der Ära Bachmann – gemeinsam auf der Bühne und zeigen auf, wie sich das Viertel durch den Anschlag und die folgende Ermittlungsposse verändert hat.

Bei dieser Vorgeschichte schien der Plan, an der Ecke Keupstraße/Schanzenstraße mit einem modernen Denkmal – einer großen interaktiven Installation des Berliner Künstlers Ulf Aminde – an die Anschläge des rechtsradikalen NSU zu erinnern, mehr als angemessen und wurde allseitig begrüßt. Die Stadtverwaltung plante dann über Jahre ein 26 Meter langes Denkmal – eine Betonplatte mit einem haushohen Aufbau, der nur im virtuellen Raum per App zu sehen wäre – auf einem Privatgrundstück, allerdings – man höre und staune – ohne den Eigentümer einzubeziehen, der auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs ein Riesenprojekt mit Büros, Wohnungen und Einzelhandel entwickelt und sich von den Mahnmals-Plänen auf seinem Gelände nun völlig überrascht zeigt. So müssten die Projektentwickler zu Gunsten des Mahnmals auf ein rund 600 Quadratmeter großes Areal verzichten. Das entspricht bei einer sechsgeschossigen Bebauung 3000 bis 3600 Quadratmetern Wohnfläche, die dann nicht vermarktet werden könnten, so der Sprecher des Eigentümers. Das Aus für ein Mahnmal an der angedachten Stelle!

Eine katastrophale Panne, die dem Image der Stadt im ganzen Land erheblichen Schaden zufügt und bei den Betroffenen alte Wunden aufreißt. Wieder einmal hat sich die federführende Kölner Kulturverwaltung mit der Dezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach an der Spitze bis auf die Knochen blamiert. Ob sich das Denkmal an dem einzig verblieben Alternativstandort an der Keupstraße jemals realisieren lässt, ist fraglich, denn auch dieses Grundstück gehört der Stadt nicht. Sollte es Köln nun tatsächlich geschafft haben sich selber ein Mahnmal der Schande und des eigenen Versagens zu setzen?

Jörg Fürst

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Die leisen und die großen Töne

Lesen Sie dazu auch:

And the winner is …
Auswahl der Mülheimer Theatertage – Theater in NRW 04/23

Das Elend überwinden
Arche für Obdachlose sammelt Hilfsgelder – Spezial 11/21

„Angewandte Stadtentwicklung von unten“
Stadtaktivistin Meryem Erkus über den Ebertplatz – Interview 07/21

„Neue Fahrradbrücken auf den Weg bringen“
Christoph Schmidt (ADFC) über Radverkehr auf Kölner Brücken – Interview 03/21

Welche Zukunft wollen wir?
raum13 droht das Aus im Otto-und-Langen-Quartier – Spezial 11/20

„Teilhabe von Anfang an“
Initiative X-SÜD will ein inklusives Kunsthaus Kalk – Interview 10/20

Neue Perspektiven in Mülheim
Goethes „Hermann und Dorothea“ im Stadtraum – Bühne 09/20

„Es geht um reine Spekulation“
Enno Stahl über gestiegene Mieten und seinen Roman „Sanierungsgebiete“ – Interview 02/20

„Wohnraum wird immer knapper“
Philine Velhagen über „Wohnungsbesichtigung – eine Life-Show“ – Interview 11/19

Der Dachs ist da
Gebäude 9 ist wiedereröffnet – Spezial 11/19

Modellprojekt für kreative Urbanität
Mülheimer „Zukunfts Werk Stadt“ zu Gast im hdak-Kubus – Spezial 11/19

Rückeroberung eines Stadtteils
Das CityLeaks Festival in Ehrenfeld – Spezial 09/19

Bühne.

HINWEIS