Es geht voran mit der Neuausrichtung im Mülheimer Süden – jedenfalls wenn man das einstige Industriegebiet aus Sicht der privaten Investoren betrachtet. Die Planung für die rund 3600 Wohnung der Großprojekte „Cologneo I“ und „Cologneo II“ sind weit fortgeschritten, viele der ehemaligen Hallen bereits abgerissen. Nur im Otto und Langen Quartier, wo einst der Konzern Klöckner-Humboldt-Deutz produzierte, steht das industrielle Erbe noch. Während anliegende Industriekomplexe nahezu ausnahmslos verkauft worden sind, ist die Zukunft des Quartiers noch offen.
Genau das will die Künstlerinitiative raum13 um Anja Kolacek und Marc Leßle nutzen, um ein innovatives und polydimensionales Projekt anzustoßen. Dabei sollen Wohnen, Arbeiten, Umwelt und Kunst im urbanen Raum einmal anders gedacht werden und „ein Gegenbild zur Investoren-Stadt“ entstehen, wie Leßle und Kolacek es nennen. Die beiden waren gestern im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Jeden Dienstag 19 Uhr – eine Stunde Baukultur“ des Haus der Architektur Köln im hdak-Kubus zu Gast und stellten die Pläne ihres kollaborativen Planungsprozesses „Zukunfts Werk Stadt“ für die Neugestaltung vor, bei dem eine gemeinwohlorientierte inhaltliche Konzeption und bürgerliche Beteiligung von Anfang an mit einbezogen werden sollen.
„Es braucht heute neue Formen von Wohnen, Theater und Kunst“, sagt Kolacek. „Wir wollen Räume zwischen den einzelnen Blasen aufspannen, in denen wir uns bewegen.“ Gemeinsam mit Künstlern, Wissenschaftlern, Denkmalpflegern, Architekten, Projektentwicklern und einer Stiftung möchten sie Verbindungen zwischen verschiedenen Lebensbereichen schaffen.
Und zwar dort, wo die Weltmotorisierung Ende des 19. Jahrhunderts ihre Anfänge hatte: im Otto und Langen Quartier. Hier wurde einst der Viertaktmotor erfunden, der noch heute in unseren Autos zu finden ist. Seit 2011 ist raum13 mit dem Stadtkunstprojekt „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ in Teilen des Quartiers aktiv und erweckt die alte Industriebrache mit seinen Inszenierungen zu neuem Leben. Zunächst nur als Zwischennutzung gedacht, entwickelte es sich schnell zur Leidenschaft, als man sich über das Potenzial des Areals bewusst wurde.
„Es ist der letzte Teil in öffentlicher Hand“, betont Leßle, während er Bilder an die Wände des hdak-Kubus projiziert. Die gezeigten Bauten wirken fast wie aus einer postapokalyptischen Welt. Sie sind verlassen und stehen leer und langsam holt sich auch die Natur den Boden zurück. Trotzdem kann man erkennen, welche Möglichkeiten sich dort verbergen. „Als Erinnerungsort, als Bildungslandschaft, als Wissenschaftsstandort und für Neues Wohnen. 150 Jahre hat niemand dort gelebt“, erklärt Leßle seine Vorstellungen einer neuen Zivilisationskultur. „Dort können Kunsträume entstehen, in denen man gleichzeitig auch wohnen kann“, fügt Kolacek an.
Es folgt eine Diskussion, bei der hdak-Vorstandsmitglied Almut Skriver die Moderation übernimmt. Wie man „Zukunfts Werk Stadt“ unterstützen könne, fragt eine Frau aus dem Publikum. Und ob nicht eine Petition ein sinnvolles Mittel sein könne, um das öffentliche Interesse zu bekunden. Kolacek erklärt, dass sie es zum jetztigen Zeitpunkt nicht für ein sinnvolles Mittel hielten. „Aber Politiker auf dieses Thema anzusprechen, ist vermutlich nie verkehrt“, sagt Leßle.
Im weiteren Verlauf der Diskussion geht es viel um das Vorkaufsrecht der Stadt, um Finanzierungskonzepte und Verhandlungen mit NRW.URBAN, die das Gelände seit Mitte der 1990er verwalten. Auch Kritik gibt es, das Projekt sei zu unkonkret, es seien keine präzisen Vorstellungen vorhanden. „Künstler sind eben keine Städteplaner“, greift Skriver dazwischen. Deshalb arbeite die Initiative unter anderem auch mit Architekten zusammen.
„Das Land NRW hat zurzeit kein Interesse, in diese Hallen zu investieren“, resümiert Leßle. Und Kolacek fügt hinzu: „Als Künstler muss man heutzutage politisch werden, weil Politik die Kunst des 21. Jahrhunderts ist.“ Ein Mann erhebt sich und spricht über die Zerstörung Kölns im Zweiten Weltkrieg und den darauf folgenden Abriss alter Gebäude durch Wiederaufbaufantasien. „Warum wird noch immer so viel, was vor dem Krieg erbaut wurde, abgerissen?“, fragt er laut in die Runde. „Das Otto und Langen Quartier ist nicht nur eine Aneinanderreihung von Hallen. Es ist so wichtig für die Kulturhistorie unserer Stadt.“ Da klatschen selbst die Vortragenden.
Als die Veranstaltung zu Ende geht, bleiben dennoch viele Fragen ungeklärt. Eine Stunde erscheint aber auch viel zu kurz, um diesem Modellprojekt in allen Facetten zu begegnen.
Buchpräsentation „Zukunfts Werk Stadt“ | Fr 15.11. 17 Uhr | IHK Köln | 0221 164 00 | www.yumpu.com/de/document/read/62854965/zukunfts-werk-stadt-das-buch
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