Das im Rahmen der UniBühne an der Studiobühne uraufgeführte Stück „Der Zwang“ vom Krux-Kollektiv folgte nach zwei Stunden Umbau am selben Abend. Die etwa einstündige, von Elsa Weiland inszenierte Crowdfunding-Produktion nach einer wenig bekannten Novelle von Stefan Zweig von 1920 zeigt mit wenigen Bezügen zu Zeit und Ort den Mann „F.“ (Fee Zweipfennig), der die Geschichte um Gehorsam in Kriegszeiten abwechselnd erzählt und durchlebt. Die postalische Einberufung zum Kriegsdienst bringt F. in eine vielschichtige Krise. Den Gedanken und dem Gewissen wird bald eine innere „Maschine“ der Gehorsamkeit gegenübergestellt, die eine innere Klärung nötig macht. Daraus ergibt sich eine in Wort und Bewegung übersetzte Zwiespältigkeit und Zerrissenheit, eine Auseinandersetzung mit Begriffen wie Freiheit, Pflicht und Staat, eine Suche nach Antworten und nach einer Haltung zu den Forderungen einer kriegslustigen Welt. In der tänzerischen Intensität mit atmosphärischer Musik von Vincent Stange und den KlangKönnern stellt sich das wie ein Fiebertraum dar, dem das Stück sich aber nicht überlässt, sondern immer wieder zur literarischen Sprache zurückkehrt. Fee Zweipfennig beeindruckt in der extrem fordernden, zweigleisigen Rolle. Großer Applaus.
Regie-Debütantin Elsa Weiland erklärte uns, auf der Suche nach einem Stoff zur politischen Meinungsbildung in Zweigs Protagonisten jemanden gefunden zu haben, der sich sage: „Eine Meinung zu bilden ist nichts, was man schnell macht, sondern es ist eine unglaubliche Verantwortung und es ist etwas, was wir als Individuen in dieser Gesellschaft eigentlich machen müssen – und deswegen ist diese Figur F. uns so ans Herz gewachsen.“ Das Stück zeige das Bestreben, „fundiert politisch Position zu beziehen“ und dabei „nicht aufzugeben“, nicht nur als ein gedankliches, sondern als eine körperliches, als Physical Theatre. Das Stück war auch für den Kölner Theaterpreis 2018 nominiert gewesen und hatte beim Festival Monospektakel in Reutlingen den 2. Platz geschafft.
„Hätten Sie von sich aus die Familie erfunden?“, will das Duo Artmann&Duvoisin wissen und stellt dem am zweiten Abend schwitzenden Publikum Fragen wie „Glaubst du an die Nachbarschaft?“ oder „Kommt es vor, dass du Menschen überhörst, die eine helle Stimme haben?“ Ihr Stück, ein sonderbares Ding mit eigentlich fünf quasi unkostümierten jungen Performern (eine fiel aus), ist irgendwo zwischen Tanz und Bildender Kunst angesiedelt und kreist um die Einrichtung des Lebens zwischen Selbst, Familie, Beruf und Ort. Es ist ein Ergebnis von Recherchen in Köln-Mülheim, das nicht im traditionellen Sinne konsumierbar sein will. Was einem begegnet sind Bilder und Konzepte, basierend viel eher auf Fragen als auf Antworten, Beobachtungen statt Schlossfolgerungen. Die Gruppe strahlt eine forschende Grundhaltung aus, die etwas kindlich Naives haben darf und nicht wertet, verarbeitet vorhandene Positionen (etwa aus dem Bereich des Feminismus) körperlich und sieht sich auf der Suche nach grundsätzlichen und notwendigen Antworten auf ein vertrauensvolles Miteinander verwiesen, gewiss, dass auch im Miteinander jeder seine eigenen Antworten finden muss. So ermutigt die Produktion zu Offenheit und Dialog. Ein Trampolin, auf dem dann auch gesprungen wird, repräsentiert als „Burg des Hinterhofs“ den Nachmittag großstädtischer Familien, zugleich wird es unter dem Gewicht der darauf liegenden Darsteller zu einem familiären Nest. Daneben gehören zum Bühnenbild ein Fernseher, bunter Stoff für eine Bastelszene, ein von der Decke hängendes Mobile und eine Art Küchentisch mit Stühlen. Einen begleitenden Postkartenroman mit Bildern, Fragen und Anweisungen gibt es auch.
„Wir nehmen uns, was wir brauchen“, erklärte uns Samuel Duvoisin in Hinblick auf die künstlerischen Mittel. Er und Elsa Artmann haben in – daher vielleicht ihre ruhige, nachdenkliche Art – Leipzig Kunst studiert und dort zunächst vor allem im Kontext von Ausstellungen gearbeitet, bevor sie nach Köln zogen. Artmann bezeichnete das Stück als „experimentell“ und als „Teil einer Recherche zu Kleinfamilie und Nachbarschaft im städtischen Umfeld“, die in den nächsten Monaten mit dem Stück „Presspan“ („das, was beim Sperrmüll immer liegen bleibt“) in Mülheimer Privatwohnungen und im Kulturbunker (23.-25.10.) fortgesetzt werde.
Der mit 5.000 Euro dotierte Theaterpreis ging im Anschluss an die Macher von „Der Zwang“, die mit dieser Abspielförderung das Stück ein weiteres Mal auf die Bühne werden bringen können. Jury und Publikum stimmten identisch. „Wir sehen bei allen Gruppen ganz, ganz großes Potential – wir freuen uns sehr auf die nächsten Stücke“, erklärte Axel Hill, Rundschau-Kulturredakteur und Jury-Mitglied. An der Siegerproduktion lobte die Jury die „Performerin, die uns eine Stunde lang gepackt und reingezogen hat“, eine große politische Relevanz und den „Mut, diesen hundert Jahre alten Text zu nehmen, in sich stehen zu lassen, nicht zu versuchen, ihn irgendwie zu modernisieren“. Darin finde man „ganz schnell Anknüpfungspunkte zur Gegenwart“, das sei aber Aufgabe der Zuschauer.
Ohne Frage handelt es sich bei der „Zwang“-Adaption um eine überdurchschnittliche und engagierte Produktion; vor allem durch den wuchtig-emotionalen Mut und Tiefgang des Krux-Kollektivs zeichnet sie sich aus. Doch Stefan Zweigs hundert Jahre alte, autobiografische Novelle, so wie sie sich darstellt, ist ein psychologisches Zeitbild, das auf keiner Ebene so gänzlich überzeugt. Man ist heute doch weiter. Vor allem bildet den Rahmen für die grundsätzlichen Fragen das verzweifelte Ringen darum, ob ein Mensch, der im Prinzip die Wahl hat, in den Krieg zieht oder nicht. Sicher mutete gerade „The Perfect Match“ im Vergleich etwas kühl, unschuldig und harmlos an, das aber ein von Grund auf neu recherchiertes, klug konzipiertes Science-Fiction-Stück ist. Mit scheinbarer Leichtigkeit und Spielfreude wurde ein neu auf uns zukommendes Thema aufbereitet, das zwar ziemlich in Mode gekommen ist, aber sich nicht durch Jahrhunderte an Literatur zieht. Viele weitere Aufführungen in Köln wären auch diesem Werk unbedingt zu wünschen.
Die Einschätzung mancher Teilnehmer zu Beginn des Festivals, dass die drei Stücke eigentlich „nicht vergleichbar“ seien, bewahrheitete sich. Alle konnten auf ihre Weise punkten und im Ergebnis hing viel vom Geschmack ab. Bewusst waren, so Silvia Werner vom Vorauswahlgremium, Stücke nominiert worden, die für die Vielfalt einer freien Theaterszene standen, die „gar nicht genug gewertschätzt werden kann“.
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