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Kerstin Ortmeier und Gerhardt Haag
Foto (Ausschnitt): Sarah Youssef

„Aufhören, Wunden zu schlagen“

25. April 2023

Direktoren des africologneFestivals im Interview – Interview 05/23

Wir sprachen mit Kerstin Ortmeier und Gerhardt Haag über die aktuelle Ausgabe und das Verhältnis zwischen Afrika und dem Globalen Norden.

choices: Der afrikanische Kontinent ist für viele Europäer durch Klischees geprägt. Wie sehen Sie die Realität der dortigen Staaten?

Kerstin Ortmeier: Gegenfrage: Welche Klischees meinen Sie? Hunger, Armut, Korruption, Rohstofflager? Falls ja, würde ich diesem den kreativen Reichtum der Künstler:innen und Intellektuellen entgegen stellen, die mit ihrem Aktivismus ihr Leben riskieren, deren Poesie kraftvoll ist. Wir können hier viel von der Brillanz der Gedanken und dem engagierten Geist dieser Menschen lernen.

Welche Zukunft des Kontinents ergibt sich daraus?

Kerstin Ortmeier: Hier verweise ich auf die Lektüre „Afrotopia“ von Felwine Sarr. Der senegalesische Autor lenkt in seiner Utopie den Blick auf eine wirkliche Entkolonialisierung Afrikas, indem es sich auf seine geistigen und kulturellen Ressourcen zurückbesinnt, ohne den Kontakt mit der Moderne zu verleugnen. In der Kunst und in der Philosophie erschaffen wir Utopien, zur Anwendung müssen sie durch uns alle in die Realität gelangen. Beim africologneFestival empfehle ich den Besuch von „Biktusi 3000“ (2./3. Juni, TanzFaktur, Anm. d. Red.). In Bassys afrofuturistischer Tanz- und Musikperformance führt die Königin von Nkolmesseng im heutigen Kamerun einen Widerstand an, um den Kontinent von Kolonialismus und Imperialismus zu befreien. Ihre Armee, die aus Frauen besteht, hat eine einzige Waffe: den Tanz.

Welchem kolonialen Erbe muss sich Köln stellen?

Gerhardt Haag: Neben Straßennamen, Denkmälern, Raubgut in Museen und Sammlungen sitzt das koloniale Erbe tief in den Köpfen der Menschen – nicht nur in Köln. Der individuelle wie der strukturelle Rassismus sind hier nach wie vor verankert. Dass in Deutschland Unterkünfte für Geflüchtete brennen, dass Deutschland seit der industriellen Revolution trotz zweier angezettelter Weltkriege und der Shoa heute wieder unter den potentesten Wirtschaftsnationen zu finden ist, ist auch Teil des kolonialen Erbes.

Glauben Sie, dass die Wunden der Vergangenheit angesichts der Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen auf dem Kontinent geschlossen werden können?

Gerhardt Haag: Zunächst müsste der „Globale Norden“ aufhören, immer neue Wunden zu schlagen.

Kerstin Ortmeier: Aus der Psychologie wissen wir, dass es intergenerationelle Traumatisierungen gibt. Diese Wunden können nicht von außen her verpflastert werden. Zora Snake, ein renommierter Choreograph und Künstler aus Kamerun, lässt Gewalterfahrungen in seiner Performance „L’Opera du villageois“ aufleben, die wir am 7. und 8.6. im Rautenstrauch-Joest-Museum präsentieren. Er bringt uns die Spiritualität nahe, die beispielsweise in den Masken liegt, die in unseren Museen ausgestellt sind und zum großen Teil als koloniale Raubkunst nach Europa kamen. Im diesjährigen africologne-Dialogforum wollen wir mit Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und Expert:innen zentrale Fragen zum Themenkomplex „Anerkennen, Restituieren, Reparieren“ untersuchen. 

Welche Voraussetzungen müssen die Menschen in Afrika selbst schaffen, um sich aus dem Bildnis einer permanenten Krise zu befreien?

Kerstin Ortmeier: Ich würde die Frage anders stellen. Welche Voraussetzungen müssen wir schaffen, um ein würdevolles Miteinander zu gestalten? Auf welche ökonomischen Vorteile und Ressourcen verzichten wir bzw. bezahlen diese angemessen? Unser Film „Coltan-Fieber: Connecting People“ mit Yves Ndagano, ehemaliger Kindersoldat und Minenarbeiter in der DR Kongo, später Künstler und Festivalleiter, zeigt deutlich, dass am Anfang der Handelskette die Ausbeutung am größten ist. Bis hin zur Kinderarbeit, weil die Kinder am besten in die kleinsten Löcher hineinkriechen können.

Wie kann die Aussöhnung abseits theoretischer Bekenntnisse zum Humanismus erfolgen?

Gerhardt Haag: Wenn überhaupt können Menschen aufeinander zu gehen, sich respektieren. Aber Achtung: Es gibt kein richtiges Leben im falschen (System) – frei nach Theodor W. Adorno.

africologneFestival | 1.-11.6. | div. Orte in Köln | 0221 77 94 87 (afroTopia e.V.)

Interview: Thomas Dahl

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