Die Tanzperformance „La Rue Princesse“ der Kompanie N‘soleh
Foto: Nicholas Meisel
„Etabliert, aber nicht gesichert“
28. Mai 2015
Zum dritten Mal findet das Festival africologne statt – Premiere 06/15
Wir zählen die Flüchtlinge nicht mehr in Hunderten, sondern in Tausenden. Sowohl die Lebenden, die es bis zu uns schaffen, wie auch die Toten, die im Mittelmeer sterben. Anstatt endlich ihre Abschottungsstrategie aufzugeben, entwickelt die EU immer neue Abschreckungsszenarien – bis zu Zerstörung von Schlepperbooten. Es geht auch anders: Zum dritten Mal lädt das Festival africologne zu einer Begegnung mit afrikanischem Theater ein. Neben der mit dem Récréâtrales-Festival in Ouagadougou entwickelten Koproduktion „Coltan-Fieber“ sind diesmal Produktionen aus Burkina Faso, der Elfenbeinküste und aus beiden Kongo-Staaten dabei, darunter zahlreiche Tanzabende. Festivalleiter Gerhardt Haag und Kuratorin Kerstin Ortmeier erläutern das Programm.
choices: Zum dritten Mal africologne: Hat sich das Festival in Köln etabliert?
Kerstin Ortmeier und Gerhardt Haag
Foto:
Laura Schlede
Gerhardt
Haag hat
1981 das Freie Werkstatt Theater mitbegründet. Seit 1995 leitet er
das Theater im Bauturm. Darüber hinaus engagiert er sich als
Vorsitzender und Sprecher der Plattform Kölner Theater e.V. und
gründete 2010 das africologne-Festival.
Kerstin
Ortmeier
studierte Literaturgeschichte, Romanistik sowie Theater- und
Medienwissenschaften in Erlangen und Aix-en-Provence. Sie war
freischaffend in den Bereichen Produktion, PR und Dramaturgie tätig,
u.a. für das Tanz- und Theater-Festival off
limits
in Dortmund und das Mülheimer „Stücke“-Festival. Seit 2009 ist
sie Dramaturgin am Theater im Bauturm.
Gerhardt Haag: Vom Interesse, vom Publikum und den Partnern her ist africologne etabliert, aber nicht gesichert. Wir müssen alljährlich neue Anträge stellen und dabei immer wieder auch neue Finanzierungswege gehen. Es ist in der momentanen finanziellen Situation schwierig, nicht nur bei der Stadt, auch beim Land. Kerstin Ortmeier: Es gibt Interessensbekundungen, dass das Festival weiter bestehen soll. Auch von der Kulturstiftung des Bundes, die uns in diesem Jahr zum zweiten Mal unterstützt. Dort werden wir uns wieder bewerben.
Wie hat sich das Festival entwickelt? KO: Wir hatten 2011 ausschließlich Theaterstücke, darunter sehr viele Monologe, im Programm. Zwei Jahre später kamen dann ein eigenes Filmprogramm, Musik und eine Ausstellung dazu. Und wir haben der Rolle des Tanzes im afrikanischen Theater stärker Rechnung getragen.
Ein Themen-Schwerpunkt bilden in diesem Jahr Stücke zum Thema Coltan-Abbau. KO: Die Performance „Coltan-Fieber“ wurde von Regisseur Jan-Christoph Gockel unter anderem mit dem früheren Kindersoldaten und Minenarbeiter Yves Ndagano und dem Puppenbauer und -spieler Michael Pietsch entwickelt. Es zeigt verschiedene Stationen des Abbaus und des Handels von Coltan, das zum Beispiel für die Produktion von Handys gebraucht wird. Zugleich spiegelt sich in der Geschichte auch die koloniale Vergangenheit des Kongo. GH: Ursprünglich hatten wir den Autor Aristide Tarnagda beauftragt, zum Thema Coltan zu recherchieren und ein Stück zu schreiben. Bei einer Probenwoche hier in Köln im vergangenen Jahr stellte sich heraus, dass Jan-Christoph Gockel eine andere Sicht auf das Problem hatte. Wir haben dann beschlossen, zwei Projekte mit unterschiedlichen Sichtweisen daraus zu machen: Jan-Christoph Gockel arbeitet bei „Coltan-Fieber“ mit Yves Ndagano zusammen, und Aristide Tarnagda inszeniert sein Stück „Musika“ gemeinsam mit einem burkinisch-kongolesischen Ensemble.
Ein weiterer Schwerpunkt ist eben Aristide Tarnagda gewidmet. Was zeichnet ihn aus? GH: Aristide Tarnagda ist ein Schüler von Jean Pierre Guingané und Etienne Minoungou, dem derzeitigen Leiter des Récréâtrales-Festivals in Ouagadougou. Er ist Schauspieler, Regisseur und Autor und wird demnächst auch die Leitung der Récréâtrales übernehmen. Ich kenne fünf Stücke von ihm, durchweg Monologe, die sich durch einen Bewusstseinsstrom auszeichnen und so einen unwiderstehlichen Sog entwickeln. Sein Stück „Et si je les tuais tous, Madame?“ spielt beispielsweise zwischen der Rot- und Grünphase einer Verkehrsampel und lässt die Hauptfigur ihr Leben rekapitulieren. Aristide Tarnagda gehört sicher zu den wichtigsten Autoren des frankophonen Westafrika. KO: Unsere Werkschau steht unter der Überschrift „Poesie des Abschieds“. Das benennt schon einen Themenkomplex seiner Stücke. Der Monolog „Terre Rouge“ zeigt Aristide Tarnagda in der Doppelrolle zweier Brüder, von denen der eine in Frankreich, der andere in Burkina Faso lebt. Als Autor verfügt er über eine Sprache von starker poetischer Kraft, seine Inszenierungen wiederum zeichnen sich durch große Musikalität aus und sind stark durchrhythmisiert.
Auch der Tanz spielt eine immer wichtigere Rolle im Programm? KO: Wir haben zum Beispiel Serge Aimé Coulibaly mit dem Solo „Fadjiri“ und vor allem mit „Nuit blanche à Ouagadougou“ eingeladen, das eine Nacht des Aufstands beschreibt. Coulibaly, der inzwischen in Brüssel lebt, gehört zu den spannendsten Choreografen Westafrikas und hat als Tänzer mit Alain Platel und Sidi Larbi Cherkaoui gearbeitet. GH: Wir haben eine Menge faszinierender Tanzproduktionen gesehen und hätten gerne mehr eingeladen. Die finanzielle Grenze war leider schnell erreicht. Was mir noch sehr am Herzen liegt, ist unser Dialog-Forum „Das Ende der Geduld“ über politische Veränderungen in Afrika. Der Aufstand in Burundi ist nur das aktuellste Thema. In Burkina Faso ist es im Oktober 2014 auf friedliche Weise gelungen, den Diktator zu verjagen. Und zwar durch eine starke Zivilgesellschaft, die im entscheidenden Moment auf dem Plan war und ohne Machtspielchen konsequent gehandelt hat. Wir haben zum Dialog-Forum Gäste aus dem Senegal und aus Burkina Faso eingeladen, die aus erster Hand berichten können.
Wie groß ist die Nachhaltigkeit und Rückwirkung von africologne nach Köln bzw. nach Afrika? GH: In Afrika kennen sehr viele, die mit Theater zu tun haben, dieses Festival, nicht nur die, die schon einmal hier waren. Das liegt auch daran, dass wir inzwischen Teil eines großen künstlerischen Netzwerks im frankophonen Afrika sind. Es wird eine Aufgabe für die Zukunft sein, dieses Netz auch in ost- und südafrikanische Länder weiterzuspinnen. Hier in Köln sind wir mit den verschiedenen Communities in Kontakt, haben aber eher Verbindungen zu Organisationen und Verbänden als zu Einzelpersonen. KO: Nachhaltigkeit entsteht schließlich auch dadurch, dass wir während der Spielzeit in unserem Theater Veranstaltungen mit afrikanischen Künstlern oder zu afrikanischen Themen präsentieren. An Ideen mangelt es nicht, wir stoßen aber schlicht an die Grenzen unserer personellen und finanziellen Ressourcen.
3. africologneFestival | 17.6.-27.6. | Theater im Bauturm und andere Spielstätten | www.theater-im-bauturm.de
INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN
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