Begonnen hat alles mit einem Anruf, erinnert sich der Maler Oliver Jordan. „Ich habe Ihre Bilder gesehen, sie besitzen eine physische Kraft, die mich an meinen Vater erinnert“, erklärte ihm Albert Camus‘ Tochter Catherine. Im provencalischen Provinzstädtchen Lourmarin besuchte Jordan sie in dem Haus, das Camus 1958 vom Preisgeld gekauft hatte, das er für die Nobelauszeichnung erhalten hatte. Die Beschäftigung mit Camus zieht sich durch das gesamte Werk des in Köln lebenden Malers, der schon während der frühen achtziger Jahre in Algerien nach den Wurzeln des Philosophen geforscht hatte. Derweil haben sich die politischen Gewichte im Süden Frankreichs fundamental verschoben. Marseille und Aix en Provence gehören heute zu den Hochburgen von Marine Le Pen, und so wendete sich auch die Stimmung gegen Camus, der wie kaum ein anderer Philosoph des 20. Jahrhunderts den Geist der Kritik und der Revolte personifizierte.
Die Feiern zu seinem 100. Geburtstags sind denn auch weitgehend ins Wasser gefallen. Interessanter Weise sprangen die Deutschen in diesem Moment in die Bresche, das Goethe-Institut zeigte finanzielles Engagement und in Bonn präsentierte das LVR-LandesMuseum Oliver Jordans Bilder unter dem Titel „Malerei als Revolte – Hommage an das Licht, die Schönheit und Albert Camus“. Diese Ausstellung sah René Böll, der älteste Sohn des Deutschen Literatur-Nobelpreisträgers, und so entstand über Jahre eine Porträtserie, die unter dem Titel „Augenblicke – Hommage an Heinrich Böll“ in der Kulturkirche Ost in Köln-Buchforst ihren Ort fand.
Bölls Credo, „dass Menschwerdung damit beginnt, wenn jemand sich von der jeweiligen Truppe entfernt“, gefiel Oliver Jordan gut. Auch deshalb wuchs sich die Ausstellung um einige andere Querdenker und Nobelpreisträger aus. „Man darf Menschen durchaus als Vorbilder haben“, stellt Jordan fest, der selbst ein Künstler ist, der „gerne“ seine „Idole umarmt“, wie er sagt. Nun kann man auch die Porträts von Ernest Hemingway, Samuel Beckett oder Bob Dylan bewundern. Dylans Musik ist für Oliver Jordan ein ständiger Begleiter, ja, die Musik schreibt sich in die rhythmisierten Oberflächen der Bilder ein, die mit ihrem dicken Farbauftrag aus der Nähe wie Reliefs bzw. Skulpturen wirken. Unzählige Linien sind eingeritzt und erinnern in ihrer Struktur an die Rillen einer Vinyl-Schallplatte. Mit den Kompositionen von Eric Andersen, einem engen Mitarbeiter von Dylan, kombiniert Jordan seine Bilder, und Andersen sang auch während der Eröffnung der Ausstellung in der Kulturkirche.
Über dem Altar platzierte Oliver Jordan ein Porträt Heinrich Bölls, das er aus zahlreichen Kartonstücken zusammensetzte, die einen extrem unruhigen Malgrund bieten. Man kann um das Objekt herumgehen und sehen, wie Teile aneinander montiert wurden und das Ganze schwarz wie verkohltes oder geteertes Material anmutet. „Die Schnitte sind Ausdruck der Wunden der Hoffnung“, erklärt Jordan, „denn keiner kommt unverletzt aus dem Sein.“ Wilde Farbschlachten haben auf dem Grund stattgefunden, die auch von den kräftezehrenden Kämpfen erzählen, die Böll gegen eine Öffentlichkeit auszufechten hatte, die ihn – „der kein Spalter war“, wie Jordan betont – zu einem Extremisten machen wollte. Eine Wucht besitzen diese Porträts, die frei im Kirchenraum gehängt wurden, wie sie keine Abbildung und keine Fotografie wiedergeben kann. Ohne das Spiel von Licht und Schatten können diese Arbeiten nicht ihre dramatischen Facetten zeigen. Sie brauchen den Wechsel von Nähe und Distanz, denn erst mit entsprechendem Abstand verschränken sich die Gesichtszüge der Porträtierten zu wiedererkennbaren Gesichter. Darin liegt vielleicht die große Kunst des Oliver Jordan, dass er uns die Ikonen der Europäischen Kultur zerschneidet und entfremdet, damit wir sie für uns selbst wieder zusammensetzen können.
„Augenblicke – Hommage an Heinrich Böll“ | bis 13.6. | Kulturkirche Ost, Kopernikusstr. 34 | Eintritt frei
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