Der Kitsch ist kalkuliert. Am Anfang der Ausstellung „sitzen“ zwei Gruppen lebensgroßer Fayence-Hunde Spalier. Sie sind in gehäkelte Decken gehüllt, die das Artifizielle noch betonen. Und direkt dahinter hängen Porzellan-Hunde mit ihren Halsbändern an einem Metallgestell. Mit dem Tritt auf ein Pedal werden die Hunde wie die Musterkollektion an einer Kleiderstange in Bewegung versetzt – der Titel lautet „Passerelle“: Laufsteg. Aber indem die Porzellanfiguren beim Schaukeln aneinander krachen, gehen sie zu Bruch. Die Scherben liegen auf dem Boden, viele der Hunde sind nur noch Stückwerk.
Die Kunst von Joana Vasconcelos spielt Gegensätze aus. Sie legt materielle und psychische Fragilität frei, bleibt dabei in ihrer Schönheit betörend und liefert synästhetische Reize wie die weichen Oberflächen oder den Sound. Durch die grandiose, vielleicht etwas füllig geratene Werkübersicht im Max Ernst Museum hindurch ist Fado-Gesang zu hören. Er kommt aus einem aufgeschlagenen dunklen Zelt, in dessen Mitte ein riesiges Herz in bedächtiger Drehung schwebt und in seiner lichten Transparenz noch an ein Seepferdchen oder die schillernde Vision einer Frauengestalt erinnert. Was aber wie das Pulsieren von Venen und Muskeln wirkt, ist nichts anderes als Plastikbesteck. Die Realität holt alle süßen Träume auf den Boden der Tatsachen zurück.
Joana Vasconcelos wurde 1971 geboren, sie lebt in Lissabon. In ihrer Heimat ist sie ein Star. Bereits 2005 hat sie den Pavillon ihres Landes auf der Biennale Venedig bespielt. Aber sie ist auch in Frankreich und England etabliert, wohingegen die Brühler Ausstellung ihre Museumspremiere in Deutschland ist. Dabei betreffen uns genauso die kollektiven Erfahrungen, von denen Vasconcelos ausgeht. Der Ausstellungsparcours zeigt immer wieder Motive, die tief in der Vergangenheit verankert sind – ja, einen Ton des Nostalgischen vermitteln – und bricht zugleich mit ihnen, verleiht ihnen etwas Monströses oder Absurdes. Verführung und Schönheit sind die zentralen Strategien, und als künstlerische Haltung steht über allem der Surrealismus.
Ja, bestätigt Joana Vasconcelos, das Werk von Max Ernst gehört zu der Kunst, die sie geprägt hat. Deswegen ist sein Name im Ausstellungstitel „versteckt“ und deswegen ist eine ihrer monumentalen Skulpturen in der Sammlung von Max Ernst ausgestellt, ebenso wie sich eine Skulptur von Max Ernst in ihrer Schau befindet. Wie Max Ernst nimmt sie sich immer wieder Heimisches, den Haushalt vor, isoliert Motive und verfremdet sie, häuft sie an und schafft überraschende Verbindungen. Die Themen liegen bei ihr auf der Hand: Anhand der kulturellen Identifikation geht es um Heimat und Traditionen, und dann auch um Geschlechterrollen und den Umgang mit den implantierten Prägungen. Und dann wird es in der Ausstellung plötzlich ganz aktuell und mithin politisch: Ein wie mit Spinnenweben überhäkelter Monitor zeigt eine Ausgabe des European Song Contest aus den 1980er Jahren, und zwar den Teil der stereotypen Punktevergabe von Nation zu Nation – als Ritual, das für starre Systeme steht, mit seiner wohligen Vertrautheit ablenkt, hier aber in seiner Problematik entlarvt wird.
Joana Vasconcelos: Maximal | bis 4.8. | Max Ernst Museum des LVR in Brühl | 02234 992 15 55
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