Gelassenheit und Fröhlichkeit durchweht den Wechselausstellungsbereich im Max Ernst Museum. Zu sehen ist dort eine Werkschau von Nevin Aladağ, bei der die Wände gerade nicht mit kleinformatigen Fotografien oder Collagen zugehängt sind. Der Betrachter wird nicht dem Diktat der Kunst unterstellt, vielmehr scheint es so, dass er die Spielregeln der Ausstellung bestimmt. Die Präsentation ist großzügig, luftig und sie ist in Bewegung. So können die Gummibälle mit ihrem ornamentalen Häkelüberzug – auf denen man auch Platz nehmen kann – durch den Ausstellungsraum gerollt werden. Im hinteren Bereich kann man Basketball spielen und seitlich abgetrennt steht ein Basteltisch, an dem Kinder und Erwachsene Platz nehmen und selbst tätig werden können.
Nevin Aladağ wurde 1972 in Van/Türkei geboren. Sie ist in Stuttgart aufgewachsen und hat an der Kunstakademie München studiert. Heute lehrt sie selbst als Professorin in Dresden und lebt in Berlin. Bekannt wurde sie spätestens auf der documenta 2017 in Athen, für die sie ausrangierte Möbel, die sie dort gefunden hatte, zu originellen, feingliedrigen Objekten umbaute und mit Saiten, Glöckchen oder mit einem Blasstück versah. Im Ruhezustand als Skulpturenfeld mit Verweisen auf Gebrauch, Tradition und Luxus höchst reizvoll, wurden sie in Athen zu bestimmten Zeiten von Musikern bespielt. Einige dieser Objekte sind nun auch in Brühl zu sehen: Im musealen Kontext unberührbar, tritt der skulpturale Charakter in den Vordergrund. Die ausgestellten Werke wirkten wie überlieferte kultische Instrumente, dreidimensionale Zitate aus der Kunstgeschichte, zum Beispiel zum Surrealismus, oder futuristische Apparaturen, mit dem Verweis auf ihre „Bespielbarkeit“: also zwischen Fremde und Heimat, Distanz und Identität. Der partizipatorische Ansatz verbindet sich mit ritueller Anmutung und der Sichtbarmachung des Alltäglichen, das nicht geräuschlos passiert.
Ein wunderbares Beispiel dafür sind in Brühl die 3-Kanal-Videos. Sie fokussieren das fließende Bewegen von kleinen Dingen mit ihrem Sound etwa im Wind oder eine Anhöhe hinab, wobei die Umgebung ausschnittweise zu sehen ist. Die Geräusche gehen mit Orten, Fragen von Identität und Heimat einher. Oder der Klang wird von Menschen selbst erzeugt und hinterlässt Spuren: im Tanz von Frauen, steppend mit Stöckelschuhen auf Aluminiumplatten. Die Aluminiumflächen sind umgedreht und ausgestellt, sodass sich die Dellen nach außen stülpen. Was wir Meteoriteneinschläge wirkt, sind Spuren von Menschen, deren kultureller Aktivität und Lebendigkeit. Nevin Aladağ findet derartiges aber auch auf Teppichen und ihren Mustern, die sie zu weichen ornamentalen Formen verbindet. Der Ausstellungstitel lautet „Interlocking“, also „Ineinandergreifen“, das ist schon bei diesen organisch verschränkten Wandstücken der Fall. Aber es gilt auch für das Eingreifen der Besucher und die Kettenreaktionen im öffentlichen Raum. Eines führt zum nächsten, einmal deutlich, dann wieder lapidar beiläufig – und immer mit einem Lächeln auf den Lippen.
Nevin Aladağ - Interlocking | bis 30.6. | Max Ernst Museum Brühl des LVR | 02232 579 30
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