Es gibt 14 Beiträge von Der Doc
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23.10.2006
?SHORTBUS? von John Cameron Michel
Eigentlich hatte ich Angst vor dem Film, denn ich hatte zu viel Gutes vorab darüber gehört. Nun war da die große Sorge, enttäuscht zu werden. Beim letzten derartigen Geheimtipp (Matt Dillon spielte Charles Bukowski) rannte ich entnervt nach der Hälfte raus. Aber diesmal merkte ich zum Schluss gar nicht recht, dass der Film zuende war. Mangels Handlung in dramatologischem Sinne hätte er auch noch endlos weiter gehen können. Das ist übrigens keine Schmäh-Kritik. Meine asiatischen Lieblingsfilme (Urfa, Kitchen, Pillowbook) kommen fast alle ohne oder nur mit einer kleinen Prise Handlung aus. Nein, hier brauchte es keine Handlung, denn der Film ist wie das wirkliche Leben. Eine scheinbare Endlosschleife in Spiralen. Mal nach oben, mal nach unten.
Die Geschichte, die erzählt wird, ist eigentlich gar nicht so wichtig: Eine Paar- und Sexualtherapeutin (!) ist trotz gereiftem Alter (!!) auf der Suche nach ihrem ersten (!!!) Orgasmus. Das ist zwar schräg, aber noch nicht ungewöhnlich. In der heutigen Welt gibt es ja massenhaft Berater, die von dem, was sie beraten, keine Ahnung haben. Betriebe und Behörden, die solchen Umorganisationsberatern in die Hände gefallen sind, können ein Lied davon singen. McKitzel und PengQ lassen grüßen.
Interessanter ist es da schon, dass zwei schwule Klienten der Sexualtherapeutin raten, die heile Welt der geschmackvollen asiatischen Tapeten und wohlreflektierten Worte zu verlassen und in einen schmuddeligen Sexclub irgendwo in NY zu gehen. In dem Club trifft sie ein paar Leute, die zwar Sex und Orgasmus genug haben, aber in Wahrheit nach Liebe und Nähe dürsten. Selbst wenn sie beim Flaschenspiel ausgelost werden, im Schrank fünf Minuten miteinander zu poppen, erzählen sich die Protagonisten des Film noch tränenreiche Geschichten über Liebe, Vergänglichkeit, Verletzungen und seelische Schmerzen.
Aber keine Bange. Sex gibt es in dem Film noch genug. Irgendwie ganz unauffällig immerzu. Das heimliche Auge kommt bei dem Film schon auf seine Kosten. Hervorzuheben ist dabei besonders der flotte Dreier der Schwulen, fast schon mit akrobatischen Fähigkeiten, der Blick auf die durchaus sehr bevölkerte Fickwiese des Clubs (sorry, ich finde kein zarteres Wort dafür), die jede römische Orgie in den Schatten stellte und das Sperma, das die moderne Kunst befruchtete. Auch Komisches war zu sehen, aber nicht abfällig gemeint, sondern im Sinne von heiterem Lachen: so bei dem vaginalen elektronischen Vibra-Ei, das in den unmöglichsten Situationen ansprang und der weiblichen Hauptfigur manche (unerwünschte) Überraschung bescherte. Heiter auch das Bild, wo die Clubqueen ihre Dildos in Reih und Glied auf der Fensterbank aufstellte, so wie andere Hausfrauen dort ihre Blumen gießen und ordentlich aufreihen.
Wahrscheinlich ist der Film auch ein politischer, ohne dass wir armen Europäer das so richtig bemerken. So lustvoll wie die drei Schwulen sich die amerikanische Nationalhymne in den Arsch blasen, so heftig muss die Empörung der in Amerika stets präsenten Bibelbabbler und Prüdopatrioten über den Film ausfallen. Dem Regisseur John Mitchel wird der Satz ?If we can´t do if with elections we will do it with erections? zugeschrieben. Was aber vielleicht als Schlag ins Gesicht der Bush-Ära gemeint war, kommt hier bei uns gar nicht an. Der europäische Betrachter wird nur- je nach Standpunkt- Abscheu oder Bewunderung für den Sündenpfuhl New York empfinden, wo einfach alles möglich ist. Sogar in Aidszeiten. Statt dem erwarteten ?rien ne va plus? hören wir fasziniert ein ?faites vos jeux mesdames et messieurs?. Da ist es wieder, das große Amerika, nur etwas alternativ gewendet. Der in der ersten Szene gezeigte Flug über das Lichtermeer des handgebastelten New Yorks ist dafür symptomatisch: er ist ebenso poetisch und zart wie eindrücklich und machtvoll. Welch eine Riesenstadt, welch Magnet, welch Moloch!
Eindrücklich auch die Szene, wo der Strom in New York ausfällt. Erst flackert das Licht immer wieder und lässt so die Fragilität der modernen Kultur spüren, ihre existenzielle Bedrohung durch Urkräfte. Dann, als er wirklich ganz ausfällt, schafft es der Club und die Dragqueen, die ihn leitet, eine Weihnachtsstimmung zu verbreiten, in derSexus, Liebe und Zuneigung brüder- und schwesterlich über die Grenzen von Alter, Geschlecht und erotische Präferenz hinweg geteilt werden. Das ganze noch gemischt mit einer schönen Stimme, Musik und ein bisschen Karneval und schon gelingt ein Wunder auf Erden. Zwei Schwule, die sich eigentlich durch Selbstmord trennen wollten, küssen sich wieder zärtlich und lebensbejahend, die Sexualtherapeutin wird von einem Paar, das sie von zwei Seiten lustvoll anleckt, ihrer lustfeindlichen Selbstkontrolle beraubt und erreicht ozeanische Gefühle, eine gefühlskalte Domina findet eine über die Gerte hinausreichende Beziehung und über allem schwebt der greise New Yorker Ex-Bürgermeister Ed Koch als segensspendender Patriarch der schwulen Bewegung.
Eine gewisse filmische Ästhetik ist den gezeigten Bildern nicht abzusprechen. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass alles real acts sind, keine filmfakes. Man könnte lange debattieren, ob der Film zur Pornografie oder zur Erotik gehört. Es ist wohl eine Frage der Definition. Nach meiner Meinung ist er ein Grenzgänger: zärtliche Pornografie oder Erotik, die nichts auslässt.
Als ich am Abspann merkte, dass der Film jetzt wirklich zuende war, hatte ich Tränen der Rührung und Freude in den Augen. Jenseits der Sexualität oder besser: mitten durch sie hindurch, durch ihre heftigste Betätigung, durch dass Fallenlassen aller Hüllen und Konventionen, hatten die Hauptfiguren zu einem tantrischen Zustand des Glücks gefunden, in dem das gestöhnte gutturale ?Ohhhh? nur Millimeter neben dem gläubigen ?om mani padme hum? und damit dem Zustand universeller Weisheit und Glückseligkeit liegt. Eine kleine Welle dieses Glücks war am Ende auf mich übergegespült.
Vielleicht lag das daran, dass ich am Tag vorher die Tibetausstellung in Essen mit all ihren mystischen Vereinigungen und Shaktis gesehen hatte. Von Tantra bis Shortbus, von Shakti bis Dragqueen ist es jedenfalls nicht sehr weit.
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20.08.2006
Also eines mal vorneweg: eines ist dieser Film gewiss nicht, eine Komödie. Wer ihn so sieht, der hat nicht viel verstanden. Das man auch mal lachen kann, ist kein Gegenbeweis. Es ist ein tiefer Film über das Leben. Und sein Ende. Was wir an Fehlern machen, lässt uns nicht los, wir kehren irgendwann zurück um die unvollendete Aufgabe zu lösen. Egal in welcher Form, als Geist oder als beinahe Kriminalfall. Volver heißt zurückkehren, die Zeit zurückdrehen, frei übersetzt: den Kreislauf schließen.
Und was wir nicht lösen, geht auf die Kinder und Kindeskinder als ungelöste Last über. Was die schöne Raimunda ihrer Mutter vorwarf, nicht genau hinzusehen und die Signale nicht empfangen zu haben, die die Gefahr anzeigten, eben dies geschieht ihr selbst. Welche Gefahr es ist, müsst ihr schon selbst herausfinden, sonst verrate ich alles. Nur so viel: Illusionen geben uns keine Macht und dieser Film erzählt von der Auflösung vieler Illusionen; alle Fassaden geraten ins Wanken und stürzen zu einem guten Ende ein. Fast ist man erleichtert, dass es keine Geisterstunde, sondern ein waschechter, nachvollziehbarer Kriminalfall wird.
Selbst, wenn es keine Komödie ist, werden doch tiefsinnige Gedanken heiter und leicht erzählt. Das ist dem Regisseur zu danken. Die Schauspieler haben alle eine bravouröse Leistung erbracht, nicht nur Frau Cruz. Der Höhepunkt ist in der Mitte des Filmes, der wunderbare Gesang, wo man im Zwiespalt ist, ob man einfach nur zuhören oder die Untertitel lesen soll. Es würde sich wohl beides lohnen... Passt nur gut auf, der Gesang ist wie ein Schlüssel für den ganzen Film. Und ein kleines Päckchen Lebensweisheit zum Mitnehmen.
FÜNF STERNE!
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18.08.2006
...im doppelten Sinne. Zum einen, weil er wirklich eine lange Reise durch Südamerika zeigt. Auch Tourísmusfreaks kommen auf ihre Kosten. Sogar Traveller. Die Anden, die Höhe, die Einsamkeit, der unendliche Amazonas, alles ist zu sehen.Aber auch eine ganz andere Reise ist zu sehen, der Beginn einer politischen Odyssee, die Jahrzehnte später mit einem Schuss in dem bolivianischen Dschungel endet. Aber keine Angst, dies ist kein Politfilm, eher ein ganz zaghafter Versuch, die Welt zu begreifen. Ungerechtigkeiten sehen, verstehen, dagegen aufbegehren, das ist der Anfang, den man mit dem jungen Che durchlebt. Das ihm gerade das kommunistische Manifest in die Hände fällt, ist ein bisschen Zufall. Eigentlich will dieser Che nur den armen Leprösen zu einem würdigen Leben helfen. Zur Politik greift er nur als Strohhalm wie nach einem Stück Holz im Amazonas. Wünderschöne Bilder, wunderschöne Schaúspieler. Wer hier schreibt, der Film hätte keine Geschichte (hmm, hmm), der kann zarte Töne nicht hören. Bestnote: fünf Sterne. Das sage ich selten. Der Doc
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09.04.2006
Um es mal ehrlich raus zu sagen: Es ist zwar originell, zwei schwule Cowboys zu zeigen, weil damit endlich ein paar verlogene Männerbilder beerdigt werden können. John Wayne darf jetzt wirklich sterben. Aber aus der guten Idee alleine wird noch kein genialer Film. Eigentümlicherweise hat dieser Film mich nicht wirklich berührt, obwohl das Thema verdammt heiß ist: Was passiert, wenn man eine Liebe nicht lebt, aus Angst vor Schwierigkeiten, Zwängen, und Konventionen. Der eine Cowboy, der sich am Ende alleine auf den Weg machen will, stirbt eines gewaltsamen Todes. Der andere wird ein verlassener Säufer, der nur noch von schmerzenden Erinnerungen lebt. Vielleicht wäre es ihnen auch nicht besser gegangen, wenn sie sich zueinander bekannt hätten. Aber dann hätten sie wenigstens eine Chance gehabt. Die Chance, ihr Schicksal selbst zu gestalten. Aber so zahlen sie für ihre Mutlosigkeit jeder für sich den schlimmsten Preis. Am Thema kann es also nicht liegen, dass der Film so wenig unter die Haut geht. Eher schon an den grandiosen kühlen Bildern. Natur, soweit das Auge reicht, eindrucksvoll aber letztlich platt, trotz der vielen Bergspitzen. Über weite Strecken des Films hat man den Eindruck, man sei in einem Werbefilm für Marlboro oder Scotch Whiskey. Da tummeln sich einfach zwei Männer, denen in ihrer Einsamkeit nichts weiter einfällt als auf den Boden zu spucken, zu rauchen, zu saufen und sich ein wenig zu ficken, weil sonst gerade nichts besseres zum ficken da ist. Oder ist es ein Film über die Überflüssigkeit der Frauen? Im Film quasseln sie nur, schminken sich endlos oder zählen bestenfalls die Haushaltskasse. Und die Männer sind mit ihnen nur zusammen, weil es einfacher, ungefährlicher und legaler ist, Frauen zu vögeln als Grizzlybären, Schafe oder eben andere Männer. Eigentlich ist es ein Film der Sprach- und Trostlosigkeit: Beziehungen, gleich welcher Art, sind nur Verlegenheitslösungen. Das ist der Kern des Films. Dafür gibt es von mir leider keinen Oskar!
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