Die Maschinen haben die Macht übernommen. Roboter und künstliche Intelligenz, die das Leben des Menschen ursprünglich erleichtern sollten, betreiben nun dessen Abschaffung. In der Wellness-Anlage „Wonderland Avenue“ wird das ausgesonderte „Humankapital“ sanft an sein nahes Ende herangeführt. Simulierter sportlicher Wettbewerb erinnert an alte Konkurrenzkämpfe und Selbstoptimierungspläne. Sibylle Bergs Stück wurde ursprünglich für eine Installation bei der Kunstmesse Frieze in London verfasst und wird am Schauspiel Köln uraufgeführt. Regie führt Ersan Mondtag.
choices: Herr Mondtag, „Wonderland Avenue“ hatte 2016 Premiere bei der Londoner Kunstmesse Frieze in einem Setting des Künstlers Claus Richter. Ist das Stück noch Theater oder schon Kunst?
Ersan Mondtag: Von „Wonderland Avenue“ wurden damals nur 20 Minuten aufgeführt. Das Stück kommt erst jetzt zur Uraufführung. Es gibt Figuren und Dialoge – es werden also die Konventionen eines Theaterstücks eingehalten.
In London wurde das im Stück als Chor bezeichnete Wesen von einem Roboter verkörpert. Wie gehen Sie damit um?
Die Vorgabe des Stücks lautet: „Text für PERSON(en) unklaren Geschlechts und CHOR (Roboter – Obacht: Sie sollten nicht zu intelligent sein, sonst …)“ Der Kostümbildner Josa Marx hat in Anlehnung an Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ Kostüme entworfen, die die Bauhaus-Optik aufnehmen. Eine Gruppe von fünf echten Schauspielern spielt diesen Chor. Es ist am Theater doch üblich, dass man mit Menschen arbeitet und nicht mit Robotern. Die Figur des Menschen wurde auf zwei Schauspieler aufgeteilt, die mit den fünf Robotern kommunizieren.
Das Thema würde schon nahelegen, dass man mit Maschinen arbeitet?
Ja sicher, aber Theater ist eine abstrahierende Kunstform. Wenn es Mord und Totschlag auf der Bühne gibt, brauche ich auch kein Blut. Dieses hochtechnisierte Theater, das mit Virtual Reality und Projektionen arbeitet, interessiert mich nicht. Ich habe ein klassisches altes Museum auf die Bühne gebaut, in dem Menschen und sechs Meter hohe Skulpturen dieser Menschen ausgestellt sind. Dazu gibt es Gemälde, in denen nackte Statisten hängen und Kreatürliches wie Fleisch, Obst, Alkohol. Die Roboter kommen als Ausstellungsbesucher in das Museum und schauen sich die Menschen an. Das ist die Metaebene der Inszenierung.
Sie haben im Museum für Moderne Kunst Frankfurt die Ausstellung „I am a problem“ inszeniert, in der es um den Menschen als „Prothesengott“ geht. Ist das Berg-Stück quasi die Fortschreibung?
Ich habe in Frankfurt eine Ausstellung gemacht, die versucht, das Theater in eine Ausstellung zu überführen. Jetzt überführe ich eine Ausstellung ins Theater. In Sibylle Bergs Stück geht es auch um Sehnsucht und Nostalgie. Um Dinge, die vergangen sind und denen man nachtrauert und hinterhersinniert. Auch in Museen geht es um vergangene Zeiten. Wir schauen uns Objekte an, alte Technik, Autos, Telegrafie, Telefonapparate, Architekturen, da geht es sehr oft um Nostalgie. Ein Ausstellungsraum hat viel mit Sehnsucht zu tun.
Sie drehen den Blick von Sibylle Berg also um: Anstelle des Blicks in eine Zukunft werfen Sie einen Blick aus der Zukunft auf die Vergangenheit?
Eher ein Blick aus der Zukunft auf unsere Gegenwart. Die Zukunft mag fiktiv sein, aber sie ist gar nicht so unwahrscheinlich. Das Stück ist ja 2016 entstanden. Die Zeit ist viel schneller, als Sibylle Berg schreiben kann. Vor zwei Jahren war das viel schärfer in der Beobachtung, jetzt mit den neuen technischen Entwicklungen kennt man vieles schon. Die Fiktion ist zur Realität geworden.
Das Stück beschreibt eine Welt, in der die Maschinen die Herrschaft übernommen und sich die Menschen unterworfen haben. Aber sind das eigentlich noch Menschen?
Im Prinzip ist der Roboter der nietzscheanische Übermensch. Er hat die Schwächen des Menschen überwunden und wurde zum perfekten Menschen. Aber der perfekte Mensch ist kein Wesen, sondern ein Apparat. Die künstliche Intelligenz wurde vom Menschen erschaffen, kann aber ohne ihn existieren. Der Mensch erhebt sich somit zu einer Art Gott. Er erfindet und erschafft etwas, das sich selbst weiterentwickelt. Das berührt dann auch eine ethische Frage. Ist etwas, das nicht aus der sogenannten konventionellen Natur hervorgeht, kein Wesen mehr oder haben technische Artefakte auch etwas Kreatürliches, Wesenhaftes?
Was steht dem roboterhaften Wesen gegenüber: Ist das noch ein Mensch?
Das ist genau das Thema des Stücks. Menschliche Fähigkeiten wie der freie Wille wurden von den Menschen selbst abgeschafft, weil er etwas Besseres konzipiert hat, nämlich das perfekte Leben. Leben ist eine Konstruktion des Menschen, das nicht besser oder sinnstiftender wird, weil wir älter werden. Nur weil wir Sport treiben, nicht rauchen und keinen Alkohol trinken und 150 Jahre alt werden, heißt das nicht, dass das ein besseres Leben ist, als mit 40 an Lungenkrebs zu sterben. Der Sinn des Lebens ist als Frage nicht nur nicht geklärt, sie wurde abgeschafft. Deshalb ist dieser Mensch im Stück ein Mensch, der aber die Bewertung seines Menschseins an die Roboter abgegeben hat. Was ein gutes Leben ist, diktieren jetzt die Apparate und der Mensch versucht, dem zu entsprechen. Sibylle Bergs Stück ist deshalb nicht nur eine lustige Utopie, sondern eine schlimme Dystopie.
Die menschlichen Wesen liegen alle im Wettstreit, obwohl sie nicht mehr zu arbeiten haben: Worum wetteifern sie?
Das ist eine Metapher des gegenwärtigen Miteinanders, dass wir alles miteinander vergleichen und miteinander in Konkurrenz treten. Die zentrale Frage im Stück ist, wofür wir das eigentlich tun. Im Stück wird Wettbewerb an sich als sinnloses Instrument des Antreibens vorgeführt, das nur zu einer Beschleunigung führt. Es läuft letztlich alles auf die Beseitigung des freien Willens hinaus.
Ist dieser Mensch nur noch ein Spielzeug der Maschinen?
Das ist die Frage. Wenn sich irgendwann die künstliche Intelligenz verselbständigt hat, ist sie in der Lage, die Welt zu verbessern. Sie würde der Erde keinen Schaden zufügen. Der radikalste Schritt wäre dann, dass sie die Menschen abschafft. Die Erde wäre wahrscheinlich eine bessere ohne den Menschen.
Am Ende scheint das Stück auf ein Ende der Menschheit hinauszulaufen?
Das ist vielleicht auch erstrebenswert, denkt vermutlich Frau Berg. Wäre man uneitel, müsste man eingestehen, dass die Erde ohne Menschen viel besser aufgestellt wäre. Das wissen wir alle. Die Menschen sind in einem Lager untergebracht und die Roboter sprechen auch einmal von Insassen. Ich stelle mir das als Hochhaus mit 50.000 Stockwerken vor und in jedem Stockwerk gibt es einen Simulationsraum von 50 m², in dem jeweils ein Mensch lebt, der Leben und Freiheit simuliert bekommt. Das ist das Lager. Das ist schon eine heftige Metapher für unser eigenes Leben. Die Virtualität vergrößert und ersetzt allmählich den realen Raum. Man könnte die technischen Apparate, solange sie uns nicht daran hindern, abstellen, die Server auf einen Schlag abschaffen, mit diesem Gedanken spiele ich am Ende der Inszenierung.
Das ist Ihre erste Inszenierung in Köln?
Ja, und „Wonderland Ave.“ wird auch nicht die letzte Inszenierung hier sein. Ich werde in der kommenden Spielzeit „Die Räuber“ von Schiller inszenieren. Und für die darauffolgende Spielzeit sind wir auch schon im Gespräch. Ich baue hier ein wenig meine Basis aus.
„Wonderland Avenue“ | R: Ersan Mondtag | 8.(P), 9., 12., 22., 24., 26.6. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 248 00
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