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„eins.eins.null.“
Foto: privat

„Den Menschen hinter der Uniform zeigen“

26. Januar 2012

Regisseur Niklas Schulz wagt sich mit „eins.eins.null.“ auf ungewohntes Terrain – Premiere 02/12

choices: Herr Schulz, wie kamen Sie auf die Idee, Texte von Polizisten auf die Bühne zu bringen?
Niklas Schulz:
Eine frühere Freundin hat sich entschlossen, bei der Polizei anzufangen. Ich habe dann den Bildungsweg des Polizisten gegooglet, bis ich irgendwann auf eine Seite mit dem Namen „Polizeipoeten“ stieß. Polizisten stellen da Gedichte und Prosa über ihren Job, aber auch über ihr Privatleben ins Netz. Das ist nicht immer gut, aber interessant und sehr schön zu lesen. Ich habe mich dann einmal komplett durch diese Seite gelesen, und dabei kam mit der Gedanke, dass man damit etwas machen muss.

Linke Protestbewegungen verordnen in der Regel den Feind bei der Ordnungsmacht Polizei. Ist ihr Stück auch eine Art Tabubruch?

Ich glaube nicht, dass das Stück ein Tabubruch ist, weiß aber, dass ich mich damit auf dünnem Eis bewege. Ich will allerdings auf gar keinen Fall eine linke Produktion machen. Wenn der Schwarze Block sich in Heiligendamm mit allem prügelt, was eine Uniform trägt, freue ich mich genauso wenig darüber, wie wenn Polizisten in Gefahrensituation härter reagieren, als sie müssten. Ich sehe mich in der Mitte angesiedelt. Der Tabubruch wäre, wenn ich mich auf eine bestimmte Position fixieren und nur diese dann ausleuchten würde. Es gibt keine richtige oder falsche Seite. Wir brauchen die Polizei, das weiß jeder. Wie die Polizei eingesetzt wird, wie sie auf bestimmte Situationen reagiert, das ist eine andere Sache.

Welche Art von Texten steht auf der Polizeipoeten-Seite?

Es ist ein sehr breites Spektrum. Manche Texte beschreiben die Einsätze und klagen über den schrecklichen Einsatzkaffee, der dabei zur Verfügung gestellt wird; andere handeln einfach nur von der Langeweile bei der Arbeit; dann wieder geht es um Nachteinsätze, die an den Menschen zehren, oder darum, dass man immer wieder mit denselben Idioten wie Betrunkenen oder Schlägern zu tun hat. Es geht aber auch um die Empfindungen der Polizisten, wenn sie abends nach Hause kommen. Und man findet schließlich auch Texte, in denen das System an sich kritisiert wird wie Maike Trautmanns „Was mache ich eigentlich hier?“, die darin ihren Job komplett in Frage stellt.

Sind die Texte redigiert?

Es ist keine offizielle Homepage der Polizei. Der Betreiber der Seite, selbst Polizist, behält sich vor, selbst zu entscheiden, welche Texte er online stellt. Dies dient eher dazu, die Persönlichkeitsrechte Dritter zu schützen, als Zensur auszuüben. Außerdem findet man bei den Polizeipoeten nichts über taktische Maßnahmen oder Interna der Polizei, es sei denn, diese sind bereits aus anderen öffentlichen Quellen bekannt.

Welche Texte benutzen Sie in „
ein.eins.null.“?
Wir konnten die Rechte noch nicht für alle Texte klären, es gibt allerdings ein paar Texte, die ich sehr gerne benutzen würde. Zum Beispiel „Blut auf dem Schuh“ von Andreas Penningberg. Er beschreibt einen Einsatz bei einer Demo, der gewalttätig endet. Als er im Krankenhaus aufwacht, hat er das Blut eines Demonstranten auf dem Schuh. Der Schlüsselsatz im Text lautet „Knüppel, Blut, mein Kopf und das Blut eines anderen Menschen, das wollte ich nicht, nicht so, nicht bei diesem Thema!?“. Dann die Texte von Maike Trautmann, die auch über Burnout und Erschöpfung sehr eindringlich und wütend schreibt. Man erfährt, wie der Job sie mitnimmt, dass sie aber trotzdem gerne bei der Polizei arbeitet. Als Schwerpunkt habe ich Texte ausgewählt, die den Menschen hinter der Uniform zeigen. Es soll klar werden, dass da wirklich Individuen mit Empfindungen hinter dem Schutzschild stehen, intelligent handelnde und reflektierte Menschen.

Das klingt nach einem Zerfall in eine öffentliche und eine private zweifelnde Person. Bestätigt sich darin nicht unser Wunschbild, wonach Polizisten gar nicht wollen, was sie da tun?

Niklas Schulz
Foto: privat
Niklas Schulz, Jahrgang 1984, arbeitet seit 2007 als freier Schauspieler. Er hat in Produktionen an der Bühne der Kulturen, am Severinsburgtheater oder am Westdeutschen Tourneetheater Remscheid mitgewirkt. An der Studiobühne war er unter anderem in „Schwarzes Tier Traurigkeit“ oder „Die 5. Sinfonie“ zu sehen. Bei der Produktion „Simon Says“ wirkte er als Dramaturg mit. Außerdem ist er als freier Set‐Aufnahmeleiter und Regieassistent bei diversen Film‐ und Fernsehproduktionen tätig. „ein.eins.null.“ ist seine erste Arbeit als Regisseur.

Nein, die Privatperson hat vielleicht eine andere Ansicht, versteht aber, warum sie als öffentliche Person gerade so handelt, wie sie handelt, warum sie letztlich so handeln muss. Würde jeder Polizist eigene Entscheidungen treffen, würde das System Polizei nicht funktionieren. Polizisten sind mit viel mehr Handlungszwängen konfrontiert und deshalb weitaus reflektierter als wir Normalbürger. Sie kommen tagtäglich in Situationen, in denen sie sich fragen, ob sie alles richtig gemacht haben. Gerade weil sie mit Entscheidungen konfrontiert sind, die sie nicht selber treffen, sondern die sie durchsetzen müssen, ob sie wollen oder nicht. Trotzdem lieben diese Menschen ihren Job. Es gibt bei den Autoren der Polizeipoeten keinen, bei dem ich sagen würde, der sollte aufhören, als Polizist zu arbeiten.

Haben die Texte auch eine Entlastungsfunktion?

Der Job des Polizisten scheint bei den Bürgern von fast allen Jobs der verhassteste zu sein. Ich glaube, dass diese Texte sehr viel zur Verarbeitung beitragen und für die Schreiber vielleicht auch einen therapeutischen Zweck erfüllen.

Wie gehen Sie auf der Bühne mit den Texten um?

Die Texte werden von Sprechern eingelesen und dann in der Inszenierung eingespielt. Die Schauspieler sollen darauf nicht verbal reagieren, sondern eher körperlich. Ich möchte, dass die Zuschauer zuhören und sich darauf konzentrieren. Daneben wird es eine inszenierte Ebene geben, die eine sehr strenge Form haben wird. Auf einer dritten Ebene werden die Schauspieler selbst die Möglichkeit haben, das Gehörte und den inszenierten Teil zu kommentieren und darüber zu diskutieren.

Werden Sie auch mit den Polizei-Autoren selber noch sprechen?

Definitiv. Außerdem habe ich einige Polizisten im Bekanntenkreis, mit denen ich spreche. Schließlich sind wir gerade dabei, eine Streife bei einem Nachteinsatz zu begleiten als Material für die Inszenierung.

Geht es auch darum, ein anderes Bild von Polizeiarbeit zu vermitteln?

Ich erhoffe mir, den Horizont der Zuschauer etwas zu erweitern, sowohl was den Job, aber auch was die Menschen bei der Polizei angeht. Mir fällt immer wieder auf, wie schnell das Wort „Bulle“ fällt. Ich erwische mich selber dabei. Diese Respektlosigkeit ist zu einem Gebrauchswort geworden, und ich frage mich, warum.

„ein.eins.null.| R: Niklas Schulz | Studiobühne | 29.2.(P)/1.-4.3., 20 Uhr | 0221 470 45 13 | studiobuehne-koeln.de

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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