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Julian Pörksen
Foto: Presse

„Das Zukunftsangebot ist dystopisch“

15. Januar 2019

Regisseur Julian Pörksen über „La bella confusione“ am Schauspiel Köln – Premiere 01/19

choices: Julian, du hast erst vor kurzem deinen ersten Langspielfilm „Whatever Happens Next“ fertiggestellt und in deinem neuen Theaterstück geht es um drei Figuren, die daran scheitern, einen Film zu drehen. Sind die Probleme, an denen sie gescheitert sind, auch bei dir aufgetreten?
Pörksen
: (lacht) Nein, im Grunde nicht. Denn was die drei Figuren versuchen, ist, eine gemeinsame Geschichte zu finden, die sie erzählen wollen. Sie scheitern daran, verstricken sich in Diskussionen, zeigen immer wieder kleine Szenen und dann wird am Ende zwar ein Film draus – aber eben ein sehr seltsamer, fragmentierter. Bei mir war es so, dass ich das Drehbuch hatte, also die Erzählung war klar. Es gab natürlich andere Herausforderungen, die technischer oder logistischer Natur waren. Bei einem Roadmovie hat man eine ungeheure Vielzahl an Orten und Personen. Das heißt, man muss dauernd umziehen, hat dauernd neue Schauspieler. Man lebt im Grunde wie die Hauptfigur, die ja auch so ein Streuner ist, nur dass man mit einem Filmteam eben nicht so leicht streunen kann.                                                                                  

Du bist jetzt Anfang 30 und auch schon ein wenig durch die Welt gestreunt – in Freiburg geboren, kurz in Brasilien, dann Berlin, Leipzig – wie bist du in Köln gelandet?
Es gab schon länger eine Verbindung zur Stadt, zu dem Schauspiel Köln, über Carl Hegemann, bei dem ich studiert habe, der ein Mentor für mich war und ist. Hier wurde irgendwann gastweise ein Dramaturg gesucht, dann habe ich das gemacht und wir haben uns gut verstanden. Ich mochte das Haus, mochte die Stadt wahnsinnig gerne – es ist so lebendig und freundlich hier. Dann kam irgendwann die Frage, ob ich mir vorstellen könnte, längerfristig und fest hier zu arbeiten und ich empfand das als sehr schöne Möglichkeit.

Julian Pörksen
© Ines Marie Westernströer

Zur Person:
Julian Pörksen wurde 1985 geboren und ist als Dramaturg, Regisseur und Autor tätig. Er studierte Geschichte, Philosophie und Dramaturgie und arbeitete als Assistent von Christoph Schlingensief. Nachdem sein Stück „Wir wollen Plankton sein“ bereits für die Bühne inszeniert worden war, führt er bei seinem neuesten Werk nun selbst Regie.

Mit deiner App „The Ultimate Game“ können Nutzer aktiv Zeit verschwenden – eine Tätigkeit, der du bereits ein Plädoyer in Buchform gewidmet hast. Hast du zwischen Film und Theater denn noch Zeit, Zeit zu verschwenden?
Ich arbeite viel und es macht mir unglaublich Spaß, deswegen: Nein, habe ich nicht. Aber natürlich bleibt diese Sehnsucht. Es ist ja immer so: Wenn man das eine hat, wünscht man sich das andere.

Dein Stück wird in der Grotte aufgeführt, auf einer etwas ungewöhnlichen Bühne. Hattest du die schon beim Schreiben im Hinterkopf?
Ja. Ich hatte die Grundidee, worum es gehen soll: um einen Versuch, über Utopien zu reden und gleichzeitig über die Überforderung, in der man sich heute bewegt. Also mediale Überforderung, politische Überforderung. Irgendwann wusste ich dann, dass ich das in der Grotte machen darf. Habe lange überlegt: Was ist das eigentlich für ein Ort? Diese Container, was kann man damit machen? Und fand dann diese Filmstudioidee sehr reizvoll, dass man mit einer gewissen Grandezza behauptet, das seien große Studios, und in echt sitzt man in drei etwas kümmerlichen Schiffscontainern. Als ich dann wusste, welche Schauspieler mitmachen werden, habe ich die Texte nochmal für die umgeschrieben und angepasst. Also es ist ein bisschen maßgeschneidert, könnte man sagen.

Du hast gerade von der medialen Überforderung gesprochen – auch im Stück geht es um die Diskrepanz zwischen der realen „Schmuddelwelt“ und der perfekten medialen Welt. Gab es ein Erlebnis in deinem Leben, in dem die Diskrepanz besonders aufgetreten ist und dich dazu bewegt hat, das Stück zu schreiben?
Es gibt nicht das eine Erlebnis, das kann ich so nicht sagen. Es gibt die ständige Konfrontation mit Bildern, die vom besseren Leben erzählen oder behaupten vom besseren Leben zu erzählen. Meistens Bilder der Werbung, die aber letztlich nichts anderes sind als kitschige Individualversprechen. Bilder für ein kollektives besseres Leben gibt es ja eigentlich nicht mehr. Das Zukunftsangebot ist dystopisch. Die ganzen Erzählungen im Moment sind Erzählungen vom Niedergang und das ist einerseits richtig, weil sie aus der Beobachtung dessen kommen, was im Moment passiert. Auf der anderen Seite sind sie verhängnisvoll, weil man keine gemeinsamen Vorstellungen mehr hat von einer Zukunft, auf die man hinarbeitet.

Sowohl in deinem Film als auch in deinem Stück heißt der Protagonist Paul – ist das Zufall?
Das ist tatsächlich ein Zufall, denn in dem Stück heißen die Rollen so wie die Schauspieler mit Vornamen. Damit es diese Verwechslungsmöglichkeit gibt, zwischen der Person des Schauspielers und der Figur, die sie spielen. Wenn ein Schauspieler zu einer Schauspielerin sagt: „Gertrud, du nervst mich tierisch“, und die heißt auch im echten Leben Gertrud, entsteht eine andere Spannung, weil man so tut, als gäbe es einen authentischen Rest, den es natürlich nicht gibt, denn die Texte sind ja von mir und nicht von denen. Aber dadurch ist diese Fiktion, man habe sich in die Grotte zurückgezogen, um dort einen Film zu drehen, irgendwie stärker, irgendwie interessanter.

Und die Praktikantin Vivian gibt es auch?
(lacht) Die gibt es und heißt tatsächlich Vivian. Sie macht eigentlich ein freiwilliges soziales Jahr.

Um die Verwirrung für viele Zuschauer noch größer zu machen, spricht Paul teilweise Italienisch – warum gerade Italienisch?
Also den Titel des Stücks habe ich mir geliehen von Federico Fellini, der seinen wunderbaren Film „8 1/2“ eigentlich „La bella confusione“ nennen wollte. Das ist ein Film über einen Filmemacher, der daran scheitert einen Film zu machen. Und dieses Scheitern wird dann zum Film selber und die Realitätsebenen, die Traumebenen und so weiter gehen wunderbar durcheinander. Das Stück spielt immer wieder auf den Film an, er ist eine Folie. So kam’s zum Italienischen.

Die Verwirrung in der sich die Figuren in deinem Stück befinden – ist das eine Verwirrung, die ganz spezifisch ist für diese Zeit? Oder ist das eine Art von Verwirrung, die die Menschen schon immer geplagt hat?
Das kann ich schwer sagen, weil ich es sehr schwer finde, mir vorzustellen, wie Mensch im 19. Jahrhundert gelebt und empfunden hat. Das Dauerfeuer der Informationen und das Überangebot an Lebensweisen – das ist sicher stärker geworden. Man ist vernetzter und hat zu mehr Entwürfen und Bildern Zugang. Auf der anderen Seite gibt es ja so etwas wie eine metaphysische Verwirrung: Wozu bin ich eigentlich hier? Welche Erzählung ist eine Erzählung, in der ich mich aufgehoben fühlen kann und wie kann ich die begründen, wenn es ja doch viele Ungereimtheiten gibt? Alle Religionen, Wissenschaften usw. versuchen immer wieder aufs Neue, das Dasein zu erzählen und produzieren Geschichten, aber eben auch wieder neue Fragen. Die Fragen bleiben – verschieben sich zwar manchmal, aber im Grunde bleiben sie.

Ist dein künstlerisches Schaffen eine Art Versuch, für dich auch eine Antwort zu finden?
Ich glaube nicht, dass ich das kann. Ich glaube nicht, dass ich dazu in der Lage bin, eine Antwort darauf zu finden. Ich glaube, man kann die Fragen stellen und man kann sehen, wie sie von einzelnen beantwortet werden oder man kann die Sehnsucht formulieren, die in diesen Fragen steckt. Also die Sehnsucht nach einer Geschlossenheit oder auch die Sehnsucht nach einem Ausweg. Und ich finde es immer interessanter, gerade in der Kunst, Fragen zu stellen, anstatt Antworten zu liefern.

„La bella confusione“ | R: Julian Pörksen | 23.(P), 27.1., 2., 16.2. 20 Uhr | Schauspiel Köln: Grotte | 0221 221 284 00

„Whatever Happens Next“ (Film) | R: Julian Pörksen | 16.1. 20 Uhr | Schauspiel Köln: Depot 1 | 0221 221 284 00

Interview: Leo Lemke

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