Der Lärm ist zu einer der größten Plagen des modernen Lebens geworden. Mit dem technischen Fortschritt hat in jedem Winkel des Alltags ein technisches Gerät Einzug gehalten, das seine akustischen Hinterlassenschaften absondert. Eines der unangenehmsten Geräusche produziert der Staubsauger. Wo ein Staubsauger in Aktion ist, herrscht akustisch gesehen blanker Terror. Eine Herausforderung für Britta Lieberknecht, das Monstrum auf die Bühne der Alten Feuerwache zu holen. Und sie stellt dem monotonen Geräusch die komplexe Struktur der Musik von Johann Sebastian Bach und ihr neu gegründetes fünfköpfiges Tanz-Ensemble entgegen. So firmiert das Experiment dann unter dem Titel „Die Kunst des Staubsaugens“.
Aus allen Rohren wird nun gesaugt, geklappert, gequetscht und geklimpert. Ein Staubsauger vermag so allerhand Geräusche von sich zu geben, wenn er die entsprechende Behandlung erfährt. Man kann das Rohr schwingen, oder sich in den Schlauch verwickeln, die Tänzerinnen (Henar Fuentetaja, Claire Lavernhe, Photini Meletiadis) führen vor, wie das geht, während die beiden Tänzer Colas Lucot und Miguel Tornero Campos eher zurückhaltende Kostproben ihres großen Könnens geben.
Da stellt sich die Frage: Was verbindet Bach mit den Staubsaugern? Nichts, aber Bachs Musik, etwa die Toccata oder die Fuge in a Moll, unterlegen die Alltagsgeräusche mit einer Fülle, die das Dasein wieder spürbar und wertvoll erscheinen lässt. Eine der einprägsamsten Szenen der neuen Produktion zeigt nur die Staubsauger, wie sie da stehen und ihren Lärm von sich geben. Alleingelassen mit nichts als einer Maschine, die ihr monotones Geräusch produziert, wird die Sinnlosigkeit offenkundig, die elektrische Geräte ohne Nutzung ausstrahlen. Britta Lieberknecht beweist Humor, wenn sie das Publikum mit einer solchen Situation konfrontiert, während das Spiel mit dem Gerät selbst weniger ins Gewicht fällt. Ein Frauenkörper, der sich genüsslich um einen Staubsauger spannt, an ihm pocht und zerrt, produziert nur vorübergehende Originalität.
Bachs Musik verleiht hingegen der Dummheit monotoner Maschinengeräusche einen eigenen ironischen Charme, und die Inszenierung betont mit ihren szenischen Kontrasten auch immer wieder die strukturelle Vielfalt der Musik Bachs. Ihre Mischung aus verspielter Vitalität und Strenge nimmt Britta Lieberknecht in konsequent arrangierten Gruppenchoreographien auf, die Tänzer wie Soldaten in Linien agieren lässt. Die Musik trägt Anmut in eine Welt, die von Motorengeräusche beherrscht wird und in der wir uns gegen den Lärm in seiner Beliebigkeit behaupten müssen.
Am Ende strahlt das Konzept mitunter mehr Intensität aus als die Choreographie, die jedem der fünf in der letzten Szene die Möglichkeit zur Improvisation bietet. Eine Inszenierung mit Augenzwinkern bietet Britta Lieberknecht, die mit ihrem akustischen Hintergrund anregt und die Welt des Alltags auf kühne Weise zum Gegenstand eines Tanz-Experiments macht, das nach weiterer Entwicklung verlangt.
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