Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.585 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Die Kunst des Staubsaugens
Foto: Frank Domahs

Bach und das akustische Monstrum

04. November 2013

Britta Lieberknecht choreographiert mit ungewohntem Maschinenpark – Tanz in NRW 11/13

Der Lärm ist zu einer der größten Plagen des modernen Lebens geworden. Mit dem technischen Fortschritt hat in jedem Winkel des Alltags ein technisches Gerät Einzug gehalten, das seine akustischen Hinterlassenschaften absondert. Eines der unangenehmsten Geräusche produziert der Staubsauger. Wo ein Staubsauger in Aktion ist, herrscht akustisch gesehen blanker Terror. Eine Herausforderung für Britta Lieberknecht, das Monstrum auf die Bühne der Alten Feuerwache zu holen. Und sie stellt dem monotonen Geräusch die komplexe Struktur der Musik von Johann Sebastian Bach und ihr neu gegründetes fünfköpfiges Tanz-Ensemble entgegen. So firmiert das Experiment dann unter dem Titel „Die Kunst des Staubsaugens“.

Aus allen Rohren wird nun gesaugt, geklappert, gequetscht und geklimpert. Ein Staubsauger vermag so allerhand Geräusche von sich zu geben, wenn er die entsprechende Behandlung erfährt. Man kann das Rohr schwingen, oder sich in den Schlauch verwickeln, die Tänzerinnen (Henar Fuentetaja, Claire Lavernhe, Photini Meletiadis) führen vor, wie das geht, während die beiden Tänzer Colas Lucot und Miguel Tornero Campos eher zurückhaltende Kostproben ihres großen Könnens geben.

Da stellt sich die Frage: Was verbindet Bach mit den Staubsaugern? Nichts, aber Bachs Musik, etwa die Toccata oder die Fuge in a Moll, unterlegen die Alltagsgeräusche mit einer Fülle, die das Dasein wieder spürbar und wertvoll erscheinen lässt. Eine der einprägsamsten Szenen der neuen Produktion zeigt nur die Staubsauger, wie sie da stehen und ihren Lärm von sich geben. Alleingelassen mit nichts als einer Maschine, die ihr monotones Geräusch produziert, wird die Sinnlosigkeit offenkundig, die elektrische Geräte ohne Nutzung ausstrahlen. Britta Lieberknecht beweist Humor, wenn sie das Publikum mit einer solchen Situation konfrontiert, während das Spiel mit dem Gerät selbst weniger ins Gewicht fällt. Ein Frauenkörper, der sich genüsslich um einen Staubsauger spannt, an ihm pocht und zerrt, produziert nur vorübergehende Originalität.

Bachs Musik verleiht hingegen der Dummheit monotoner Maschinengeräusche einen eigenen ironischen Charme, und die Inszenierung betont mit ihren szenischen Kontrasten auch immer wieder die strukturelle Vielfalt der Musik Bachs. Ihre Mischung aus verspielter Vitalität und Strenge nimmt Britta Lieberknecht in konsequent arrangierten Gruppenchoreographien auf, die Tänzer wie Soldaten in Linien agieren lässt. Die Musik trägt Anmut in eine Welt, die von Motorengeräusche beherrscht wird und in der wir uns gegen den Lärm in seiner Beliebigkeit behaupten müssen.

Am Ende strahlt das Konzept mitunter mehr Intensität aus als die Choreographie, die jedem der fünf in der letzten Szene die Möglichkeit zur Improvisation bietet. Eine Inszenierung mit Augenzwinkern bietet Britta Lieberknecht, die mit ihrem akustischen Hintergrund anregt und die Welt des Alltags auf kühne Weise zum Gegenstand eines Tanz-Experiments macht, das nach weiterer Entwicklung verlangt.

Thomas Linden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24

Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24

Im Korsett weiblicher Codes
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Prolog 06/24

Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24

Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in der Alten Feuerwache Köln – Bühne 01/24

Der Atem des Films
Das Festival „Edimotion“ holt die Monteure des Films ins Rampenlicht – Festival 10/23

Kunst und Leben des Michael Biel
„Abschied von der neuen Musik?“ in Köln – Klassik am Rhein 02/23

Authentisches Theater
„Hypocrites“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 01/23

Ambitionierte Fragen statt einfacher Lösungen
Antirassistisches Theaterprojekt „Bitter (Sweet) Home“ – Bühne 08/21

Alle inklusive
Festival „All In“ von Un-Label in der Alten Feuerwache – Festival 10/20

Fremd im eigenen Körper
Musiktheater „Jeder:Jederzeit“ von A.Tonal.Theater – Bühne 02/20

Die Todesliste der Braunkohle
„Verschwindende Orte“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 12/19

Tanz.

Hier erscheint die Aufforderung!